1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

Moldau: Resilienz und russische Panzer

Vitalie Călugăreanu | Robert Schwartz
18. Februar 2022

Die Republik Moldau war lange Zeit stolz auf ihren Neutralitätsstatus. Doch der Ukraine-Konflikt hat die Diskussion über die Vulnerabilität des Landes im Falle einer möglichen russischen Aggression neu entfacht.

Republik Moldau und die EU
Die Republik Moldau sucht die Annäherung an die Europäische UnionBild: Imago/Itar-Tass

Die Republik Moldau ist neutral - wie die Schweiz, hört man Politiker in Chisinau oft sagen. Das Land verfügt weder über schweres militärisches Gerät noch über moderne Kampfflugzeuge. Mit einer Ausnahme: Die abtrünnige pro-russische Region Transnistrien strotzt vor Waffen - und vor russischem Militär. Das Gebiet gehört de jure zur Republik Moldau, de facto aber ist es durch den eingefrorenen Konflikt seit Anfang der 1990-er Jahre ein Staat im Staat. Alljährlich finden dort gemeinsame Manöver der separatistischen Armee mit russischem Militär statt, das "Ziel" ist immer die moldauische Hauptstadt Chisinau. Die Führung Transnistriens prahlt oft damit, innerhalb von 24 Stunden am Fluss Pruth zu sein - an der Grenze zu Rumänien und somit an der Ostgrenze der EU und der NATO.

30 Jahre Unabhängigkeit - Feier in der moldauischen Hauptstadt Chisinau, 27.08.2021Bild: Iulia Sarivan

Als die Republik Moldau 1994 - drei Jahre nach der Erringung der Unabhängigkeit - den Neutralitätsstatus in der Verfassung verankerte, verbarg sich dahinter die Hoffnung, die im Land stationierten russischen Truppen aus der Sowjetzeit loszuwerden. Das war ein Trugschluss. Auch 30 Jahre danach ist russisches Militär in Transnistrien stationiert, rund 20.000 Tonnen Munition der ehemaligen 14. sowjetischen Armee sind noch immer in Cobasna gelagert. Trotz mehrerer bilateraler und internationaler Abkommen weigert sich Moskau bis heute, das Lager zu räumen und die Truppen abzuziehen.

Der Preis der Neutralität

Eine journalistische Umfrage auf den Straßen der moldauischen Hauptstadt Chisinau am 16. Februar 2022, dem Tag, an dem der Westen mit der Invasion der Ukraine durch die russische Armee gerechnet hatte, zeigt ein Bild mit vielen Facetten. Die meisten Menschen sind ruhig an diesem Tag - und gut informiert. Einige sehen in der Ukraine einen Schutzschild für die Moldau. Andere wiederum erklären resigniert, dass die Moldau sowieso keine Chance im Falle einer russischen Intervention hätte, die eigene Armee sei viel zu schwach. "Gegen die Russen kann niemand Widerstand leisten", sagen sie. Ein Teil der Moldauer sieht die Rettung jenseits des Pruth, in Rumänien. Viele haben neben der moldauischen auch die rumänische Staatsbürgerschaft und somit einen EU-Pass. Sie hoffen, dass Rumänien als NATO-Mitglied die Moldau verteidigen würde - doch keiner weiß so richtig, wie das gehen könnte. Eine solche Hilfeleistung ist völlig unrealistisch, da der NATO-Verteidigungsfall nur zum Beistand für ein angegriffenes Partnerland verpflichtet.

Republik Moldau - ein Land zwischen der Ukraine im Osten und Rumänien im Westen

Politiker in Chisinau sehen das pragmatisch, so etwa der ehemalige Verteidigungsminister Anatol Salaru: "Niemand wird uns helfen können. Kein einziges NATO-Land wird auf dem Gebiet der Republik Moldau kämpfen."

Bereits 2014, während der Annexion der ukrainischen Krim-Halbinsel durch russische Truppen, hatte die NATO verkündet, nicht ins militärische Geschehen einzugreifen. Dennoch brauche die Moldau Sicherheitsgarantien, sagt Viorel Cibotari, Ex-Verteidigungsminister in Chisinau, und fordert ein Abkommen zur gemeinsamen Verteidigung zwischen der Republik Moldau und Rumänien: "Ein solches Abkommen besteht bereits zwischen dem NATO-Staat Türkei und Aserbaidschan. Das müsste möglich sein, wir brauchen zusätzliche Garantien für die Sicherheit unserer Staatsbürger."

Für die Führung der separatistischen Region Transnistrien ist die Diskussion eine weitere Gelegenheit, Drohungen auszusprechen: "Jede Zusammenarbeit der Moldau mit der NATO führt zu einer Eskalation", erklärte Wadim Krasnoselski, Präsident der international nicht anerkannten "Transnistrischen Moldauischen Republik". In der Moldau sei der "Wunsch zu töten" immer noch lebendig, so der pro-russische Politiker.

Energie-Krise bremst Politik

Trotz der kriegerischen Töne aus der abtrünnigen Region und der Zuspitzung an der ukrainisch-russischen Grenze zeigt sich die moldauische Regierung gelassen. Noch im August 2021 hatte die moldauische Präsidentin Maia Sandu beim Gipfeltreffen der sogenannten Ukraine-Plattform in Kiew klipp und klar gesagt, die Krim sei ein integraler Bestandteil der Ukraine. Die illegale Annexion der Halbinsel durch Russland stelle eine klare Verletzung des Völkerrechts dar. Die Republik Moldau, so die Präsidentin, sei und bleibe ein verlässlicher Partner der Ukraine. Maia Sandu fügte außerdem hinzu, ihr Land müsse sich von der Vergangenheit loslösen und der EU beitreten. 

Die pro-europäische Präsidentin der Republik Moldau, Maia Sandu, Chisinau, Juli 2021Bild: Vladislav Culiomza/REUTERS

Heute sind die Töne in Chisinau etwas leiser geworden. Das auch, weil Moskau mit überzogenen Preisforderungen für seine Gaslieferungen das Land in eine tiefe Krise gestürzt hat. Und dennoch - der moldauische Parlamentspräsident Igor Grosu ist vorsichtig optimistisch: "Wir verfolgen aufmerksam die besorgniserregenden Entwicklungen in der Region und hoffen weiterhin auf die Unterstützung der westlichen Partner, vor allem auf jene Rumäniens", sagt er der DW. Die Republik Moldau hat 2014 das Assoziierungsabkommen mit der EU unterzeichnet und ist seit dem politischen Wechsel in Chisinau wieder zu einem Vorbild der Östlichen Partnerschaft geworden. 

Militärschau in Tiraspol, der Hauptstadt der abtrünnigen Region Transnistrien, April 2019Bild: DW/Cristian Stefanescu

Doch allzu einfach wird die Annäherung an die EU nicht. Denn die Gesellschaft bleibt trotz der klaren pro-europäischen Orientierung der Präsidentin und ihrer Regierung weiterhin gespalten. Die Mehrheit der Moldauer ist rumänischsprachig, rund 40 Prozent der Bevölkerung wünschen sich eine Vereinigung mit Rumänien. In den vergangenen Jahren ist der Anteil der Menschen, die diese Vereinigung wollen, kontinuierlich gestiegen, auch dank der wirtschaftlichen Unterstützung und vor allem der Hilfe aus Rumänien während der Corona-Pandemie. In der abtrünnigen Region Transnistrien lebt eine starke russischsprachige Minderheit, in der autonomen Region Gagausien eine turksprachige Minderheit. Beide Regionen wollen eine Annäherung an Russland. Vor allem die junge Generation blickt skeptisch auf die Entwicklung im Land und sucht ihr Glück im europäischen Ausland. Seit der Unabhängigkeit ist die Bevölkerung der Republik Moldau um fast ein Drittel auf unter drei Millionen Einwohner geschrumpft.