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Republik Moldau: "Die wichtigste Wahl der Geschichte"

22. September 2025

Am 28. September wählt die Republik Moldau ein neues Parlament - und damit auch den zukünftigen Weg des kleinen Landes: nach Europa oder Richtung Russland. Reporter der DW waren in der Hauptstadt Chisinau unterwegs.

Moldau Chisinau 2025 | Kundgebung zum 35. Jahrestag der Souveränitätserklärung
Eine Kundgebung mit Moldaus Flaggen zum 35. Jahrestag der Souveränitätserklärung vor dem Parlamentsgebäude in der Hauptstadt Chișinău am 23. Juni 2025Bild: Vadim Denisov/TASS/ZUMA/picture alliance

Kurz vor den Parlamentswahlen ist das Wetter in Chisinau, der Hauptstadt der Republik Moldau, unbeständig. Der Herbst kämpft mit den letzten Ausläufern des Sommers, stundenlanger Dauerregen wechselt sich mit heißen, wolkenfreien Tagen ab. So unvorhersehbar wie das Wetter ist derzeit auch die politische Lage. Die Umfragen deuten auf ein enges Rennen zwischen der proeuropäischen Partei "Aktion und Solidarität" (PAS) von Präsidentin Maia Sandu und prorussischen Parteien hin.

In der Chisinauer Innenstadt ringen Wahlkampfhelfer der Präsidentinnen-Partei deshalb um jede Stimme, sprechen Passanten an und geben ihnen Zeitungen mit den Wahlversprechen mit.

Einer von ihnen ist Cristian. Er steht im Strom der Menschen, die den zentralen Stefan cel Mare-Boulevard hinuntereilen, und verteilt die gelben Wahlkampfzeitungen der regierenden PAS. "Ich hoffe, unser Land entscheidet sich dafür, Teil der EU zu werden - als ein demokratischer Staat, der Menschenrechte achtet. Die Menschen müssen Verantwortung für ihre Stimme übernehmen, denn sie entscheidet über unsere Zukunft und die Zukunft der nächsten Generationen." Für den 35-Jährigen ist klar: diese Zukunft muss in der Europäischen Union liegen. "Durch die EU steigen die Gehälter in unserem Land. Sie ermöglicht es uns, unabhängiger zu werden und verschiedene Projekte umzusetzen, etwa die Digitalisierung."

Wahlkampfzeitungen, die in der Republik Moldau von den Parteien verteilt werdenBild: Tobias Zuttmann/DW

Nur wenige Meter entfernt spricht Vitalie (50) Passanten an, um sie für die Partei des umstrittenen Geschäftsmanns Renato Usatii "Unsere Partei" (PN) zu gewinnen. Der Wind zerrt an den Broschüren, die er aushändigt. "Unser Land ist in den vergangenen vier Jahren ärmer geworden", sagt er. Den Weg Richtung EU, den die PAS einschlägt, hält er für einen Fehler: "Dieser sogenannte europäische Traum ist eine große Lüge. Die EU wird nicht bereit sein, die Republik Moldau aufzunehmen - egal ob in zwei, drei, vier oder zehn Jahren. Wir sollten genau hinschauen und den europäischen Lügen, den europäischen Versprechen kein Ohr schenken."

Fernsehen und TikTok

Cristian, Vitalie und ihre Kollegen sprechen jeden Tag hunderte Menschen an, um sie von ihren Positionen zu überzeugen. Im Fernsehen laufen Werbespots der Parteien in Dauerschleife, Politiker versuchen, die jüngsten Wähler auf Tiktok zu erreichen. Kurz vor der Wahl ist die Politik nicht um große Worte verlegen, Präsidentin Sandu spricht von nicht weniger als von der wichtigsten Wahl in der Geschichte des Landes.

Die Republik Moldau strebt in die Europäische Union - und zeigt das mit der Beflaggung ihrer RegierungsgebäudeBild: Tobias Zuttmann/DW

EU oder Russland, West oder Ost, für viele Moldauer scheint es bei der Wahl vor allem um diese Frage zu gehen. Kurz nach dem Überfall auf die Ukraine 2022 beantragte der kleine Staat zwischen Rumänien und der Ukraine den Beitritt zur Europäischen Union und bekam wenig später, im Juni 2022, den Status als Beitrittskandidat zugesprochen. Ziel der aktuellen Regierung ist der EU-Beitritt bis 2030 - sehr zum Unmut von Russland, das lange wirtschaftlich und politisch Einfluss auf das Land nehmen konnte. Selbst an den Chisinauer Hauswänden wird diese politische Debatte inzwischen ausgetragen. "Russen raus aus Moldau" steht an einer Wand in der Innenstadt - mit roter Farbe hat jemand darüber "Sandu - Schaf" gekritzelt.

Während viele für sich klare Antworten gefunden haben, sieht es die 26-jährige Alina anders. "Egal, wie die Wahl ausgeht, wir sind echt aufgeschmissen", sagt die Projektmanagerin. Sie hat ihre Kindheit in einem kleinen Ort im Süden Moldaus verbracht, lebt seit ihrem Studium in Chisinau. Sie hat Angst, dass sich die EU abwendet, wenn die prorussischen Parteien die Oberhand im Parlament gewinnen - und befürchtet, dass dadurch auch die finanzielle Unterstützung der EU aufhören könnte. Erst in diesem Jahr hat die EU beschlossen, bis 2027 1,9 Milliarden Euro in Form von Krediten und Zuschüssen an Moldau zu zahlen - Unterstützung, welche der Staat gut gebrauchen kann.

Doch auch bei einem Erfolg der proeuropäischen Partei macht sich Alina Sorgen - und zwar vor der Reaktion Russlands. "Chisinau ist klein und auch Moldau ist nicht besonders groß - man bräuchte keine riesige Armee, um unser Land einzunehmen."

Krieg im Nachbarland

Nur gut 50 Kilometer von Chisinau entfernt liegt die Grenze zur Ukraine. Seit der russischen Vollinvasion im Februar 2022 sind mehr als 1,3 Millionen Menschen aus dem Nachbarland nach Moldau geflüchtet. Rund 100.000 von ihnen sind geblieben - eine wirtschaftliche Belastungsprobe für das 2,4-Millionen-Einwohnerland.

Der Krieg in der Ukraine ist aber auch eine psychische Dauerbelastung. Immer wieder stürzen russische Drohnen über moldauischem Staatsgebiet ab. "Der Krieg fühlt sich nah an", sagt die 22-jährige Michelle, die als Verkaufsleiterin arbeitet. "Wir spüren den Druck. Inzwischen zwar nicht mehr ganz so stark, aber vielleicht haben wir uns auch einfach daran gewöhnt."

Die Angst vor einem Krieg mit Russland schwingt bei vielen mit - immerhin befinden sich schon jetzt rund 1500 russische Soldaten in Moldau. Sie sind in Transnistrien stationiert, einem abtrünnigen Teil des Landes, welcher seit 1990 als de-facto-Staat existiert, mit eigener Armee, Währung und Regierung. Wirtschaftlich und militärisch ist die Region von Russland abhängig und hat in der Vergangenheit bereits um eine Aufnahme in die Russische Föderation gebeten.

Transnistrien: Die Einsamkeit der Moldau-treuen Dörfer

06:30

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Die aktuelle moldauische PAS-Regierung bekundet immer wieder Solidarität mit der Ukraine - anders als der "Patriotische Wahlblock" (BEP). In den aktuellen Umfragen liegt das prorussische Wahlbündnis auf Platz 2. "Neutralität ist unser Schutzschild. Die Republik Moldau muss eine Brücke sein zwischen Ost und West, kein Schlachtfeld", schürt BEP in seiner Wahlzeitung Ängste vor einer möglichen russischen Invasion im Fall einer weiteren EU-Annäherung.

Ängste, die auch im Netz verbreitet werden. Anastasia Nani arbeitet für das Centrul Pentru Jurnalism Independent (Zentrum für unabhängigen Journalismus). Die Einrichtung hat in den vergangenen Jahren die sozialen Medien genau beobachtet - und eine enorme russische Einflussnahme festgestellt. Eines der häufigsten Narrative: "Die NATO und die Ukraine wollen uns in den Krieg ziehen und unsere Männer müssen an die Front", sagt Nani. "Auch die Legitimität der Wahl wird bereits jetzt angezweifelt." So wolle Russland das Vertrauen der moldauischen Bevölkerung in die Wahl und den Rechtsstaat untergraben.

Lebensmittel und Wohnungen teuer

Doch nicht nur der Krieg in der Ukraine ist großes Wahlkampf-Thema. Wie in ganz Europa ist auch in Moldau die Inflation eines der drängendsten Probleme. "Gestern habe ich für 70 Moldauische Lei (3,50 Euro) ein paar Tomaten und Brot gekauft - das ergibt einfach keinen Sinn", erzählt Alina.

Der zentrale Markt in der Hauptstadt Chisinau - die Menschen leiden unter den steigenden PreisenBild: Tobias Zuttmann/DW

Als Russland 2022 die Ukraine angriff, explodierte in Moldau die Inflation auf fast 29 Prozent. Inzwischen ist sie zwar wieder etwas gesunken, lag im August dieses Jahres aber mit 7,3 Prozent noch immer deutlich über dem EU-Durchschnitt.

"Ich gebe nicht viel aus und achte sehr auf meine Finanzen", sagt Michelle. "Ich fahre nicht in den Urlaub, gebe kaum Geld für Kleidung aus, sondern nur für die Sachen, die ich unbedingt brauche: Essen, Haushalt - das war's."

Der Preisanstieg ist durch alle gesellschaftlichen Schichten hindurch spürbar. Besonders hart trifft es aber diejenigen, die schon vor dem Krieg im Nachbarland wenig hatten, etwa Rentner. Inzwischen lebt fast ein Drittel der Moldauer unter der Armutsgrenze, vor allem im ländlichen Raum. Vor vielen Chisinauer Supermärkten stehen ältere Frauen, die betteln. Auf den Märkten verkaufen alte Männer und Frauen Obst und Gemüse.

In diesem Jahr sind besonders die Preise für Wohnungen gestiegen, sowohl zum Kaufen als auch zum Mieten. Für eine Ein-Zimmer-Wohnung zahlt man in Chisinau inzwischen oft 500 Euro Miete pro Monat - und das bei einem durchschnittlichen Monats-Einkommen von gerade einmal 800 Euro. Die Immobilienpreise sind in diesem Jahr so stark gestiegen wie noch nie zuvor.

"Ich bin 26 und würde mir gern in Zukunft eine Wohnung kaufen", sagt Alina. "Aber wie? Die sind zurzeit so extrem überteuert. Das ist einfach Wahnsinn." Alinas Hoffnung und die der meisten Moldauer ist klar: ein Ende der Preisspirale. Am Sonntag wird sich zeigen, welcher politischen Partei die Wählerinnen und Wähler das zutrauen.

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