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Republik Moldau: So funktionierte der russische Wahlbetrug

29. Oktober 2024

In der Republik Moldau wurden bei der Präsidentschaftswahl und dem EU-Referendum hunderttausende Stimmen gekauft - mit massiver russischer Hilfe. Wie genau der Betrug ablief, legte nun die moldauische Polizei offen.

50-Euro-Scheine liegen auf einem Tisch mit einer spitzenbesetzten Tischdecke
Die Polizei in der Republik Moldau hat Geldscheine sichergestellt, die für den Wahlbetrug eingesetzt wurdenBild: Elena Covalenco

Am späten Abend des 20. Oktober 2024, kurz nach dem Ende des EU-Referendums und der ersten Runde der Präsidentschaftswahl, trat die moldauische Staatschefin Maia Sandu mit versteinerter Miene vor die Presse - und sprach gerade einmal anderthalb Minuten. Es habe einen "nie dagewesenen Angriff auf die Freiheit und die Demokratie in unserem Land" gegeben, sagte Sandu. Der Wahlbetrug habe ein "beispielloses Ausmaß" erreicht, es habe einen Versuch gegeben, bis zu 300.000 Stimmen zu kaufen. Sandu beantwortete keine Fragen und ging mit ebenso versteinerter Miene, wie sie gekommen war.

Staatspräsidentin Maia Sandu am Abend nach der Wahl und dem EU-Referendum am 20.10.2024Bild: Vadim Ghirda/dpa/AP/picture alliance

Zu diesem Zeitpunkt zeichnete sich bereits ab, dass Sandu - die proeuropäische Amtsinhaberin - die klare Gewinnerin der ersten Runde der Präsidentschaftswahl sein würde. Allerdings erreichten ihre überwiegend prorussischen Kontrahenten deutlich mehr Stimmen, als die Umfragen vorausgesagt hatten. Und dann waren da noch die Ergebnisse des EU-Referendums: Ganz anders als alle Umfragen vorhergesagt hatten, schien es am späten Abend des 20. Oktober, als würde eine klare Mehrheit der moldauischen Wähler eine EU-Perspektive des Landes ablehnen. Zwar stieg die Zahl der EU-Befürworter am nächsten Morgen dank der Stimmen aus der Diaspora noch auf eine hauchdünne Mehrheit. Doch auch so lag das Endergebnis deutlich unter den Vorhersagen.

Seitdem rätseln Wahlbeobachter: Ist die Republik Moldau weitaus gespaltener in ein proeuropäisches und ein prorussisches Lager als angenommen? Oder sind die von den Umfragen so weit abweichenden Ergebnisse tatsächlich einem "beispiellosen Wahlbetrug" geschuldet, wie Maia Sandu sagte.

Testgelände für hybriden Krieg

Inzwischen ist die Antwort klar: Es war größtenteils Wahlbetrug. Und zwar nicht nur von beispiellosem Ausmaß - sondern auch mit bisher in Europa beispiellosen Methoden. Dieses Bild ergibt sich aus den Ermittlungsergebnissen, die von der moldauischen Polizei der Öffentlichkeit präsentiert wurden. Die Republik Moldau ist damit das Testgelände eines hybriden, aus Russland gesteuerten Kriegs, auf dem sich zeigt, was auch anderswo stattfinden könnte.

Protest vor der moldauischen Botschaft in Moskau: Auf dem Transparent steht "Ruhe in Frieden, Demokratie in Moldau"Bild: Vladimir Gerdo/ITAR-TASS/IMAGO

Dem moldauischen Polizeichef Viorel Cernauteanu zufolge hat eine kriminelle Gruppierung um den moldauisch-israelischen Geschäftsmann Ilan Shor, der in Russland lebt, seit April 2024 rund 138.000 moldauische Staatsbürger in ein Netzwerk zum Stimmenkauf eingebunden. Für die Betreffenden wurden Konten bei der russischen Promswjasbank (PSB) eröffnet. Die einst private PSB ist seit 2018 in russischem Staatsbesitz; sie gilt als Bank der russischen Rüstungsindustrie und unterlag bereits vor dem vollständigen russischen Krieg gegen die Ukraine westlichen Sanktionen.

Mutmaßlicher Strippenzieher: Der israelisch-moldauische Geschäftsmann Ilan ShorBild: Maksim Blinov/SNA/IMAGO

Über eine PSB-App hatten moldauische Bürger Zugriff auf das Geld auf ihren PSB-Konten, das ihnen für ihre Wählerstimmen sowie für die Stimmen von Angehörigen gezahlt wurde. Bei der Präsidentschaftswahl und dem EU-Referendum erhielten Einzelpersonen jeweils umgerechnet rund 100 Euro für eine Stimme zugunsten eines prorussischen Kandidaten und gegen die EU-Integration der Republik Moldau.

Zehn Prozent der Wähler im Inland

Ausgezahlt wurde das Geld über hunderte so genannter "lokaler Koordinatoren", die zuvor prüfen mussten, ob die Personen in ihrer jeweiligen Gruppe vereinbarungsgemäß gestimmt hatten. Die Betreffenden konnten ihr Votum mittels Fotos von Wahlzetteln aus der Wahlkabine nachweisen. Die moldauische Polizei dokumentierte seit April 2024 etwa 1,4 Millionen Transaktionen über die PSB-App von in der Republik Moldau ansässigen Personen. Das meiste Geld wurde in den Wochen vor den Abstimmungen an PSB-Konten von moldauischen Bürgern überwiesen: insgesamt rund 39 Millionen Dollar.

Ein Wahlhelfer bei der Auszählung der Stimmen in Moldau am 20.10.2024Bild: Stringer/REUTERS

Schätzungen zufolge sollen zusätzlich zu den bekannten 138.000 App-Nutzern jeweils weitere zwei bis vier Personen pro Nutzer eingebunden gewesen sein, wohl zumeist Familienangehörige. Dabei entspricht allein die Zahl der App-Nutzer mehr als zehn Prozent der Zahl der Wähler, die am 20. Oktober in der Republik Moldau selbst zur Abstimmung gingen, die also nicht im Ausland abstimmten.

Der moldauische Polizeichef Cernauteanu ließ bei einer Pressekonferenz vergangene Woche keinen Zweifel daran, dass "die Wahlkorruptionsaktionen von Mitgliedern der kriminellen Organisation Ilan Shors durchgeführt" worden seien. Shor wurde wegen des sogenannten Milliardenraubs in der Republik Moldau rechtskräftig zu 15 Jahren Haft verurteilt, floh aber bereits 2019 nach Israel.

Anfang 2024 zog er nach Russland. Beim "Milliardenraub" wurden von 2012 bis 2014 mittels verschachtelter Kreditkonstruktionen rund eine Milliarde Euro aus moldauischen Banken gestohlen. Ilan Shor gilt als Hauptorganisator des Raubs. Er steht auf Sanktionslisten der USA und der EU und wird mit Haftbefehl von Interpol gesucht. Russland weigert sich, ihn auszuliefern.

Geld- und Gefängnisstrafen

Trotz seiner Flucht aus der Republik Moldau ist Shor im Land politisch weiterhin aktiv. Seine ursprüngliche Partei, die seinen Familienamen trug (Partidul Politic Sor), wurde 2023 verboten, ebenso wie weitere Parteien, die Shor später gründete. Er finanziert seit Jahren antieuropäische Kampagnen und bezahlt Leute für die Teilnahme an prorussischen Protesten in der Republik Moldau.

In der jetzigen Wahlkampagne war Shor mitverantwortlich für massive Desinformationskampagnen. Ein verbreitetes Narrativ dabei lautete, dass die EU-Integration für die Republik Moldau bedeuten würde, von der NATO in einen Krieg gegen Russland hineingerissen zu werden.

Proeuropäische Demonstranten versammeln sich am Abend nach der Wahl in der Hauptstadt ChisinauBild: Nieweler/Fotostand/IMAGO

Laut Angaben der moldauischen Polizei wurden wesentliche technische Einzelheiten der Wahlbetrugsaktion von Ermittlern erst wenige Tage vor der Wahl entdeckt. Ob das glaubwürdig ist, kann durchaus bezweifelt werden. Präsidentin Maia Sandu höchstselbst sagte am Tag nach der Wahl, dass im Justizsystem nicht genug getan worden sei, um den Wahlbetrug zu verhindern. Indirekt machte Sandu die verbreitete Korruption dafür verantwortlich, dass der Wahlbetrug überhaupt möglich wurde.

Nun legte der moldauische Generalstaatsanwalt Ion Munteanu zum Thema nach: Er beschuldigte russische Geheimdienste, den Mechanismus des Kaufs von Wählerstimmen mittels der PSB-App ausgearbeitet zu haben. Zudem seien Experten und Spezialisten aus der Republik Moldau, die zuvor als "Polizisten, Richter, Staatsanwälte und Anwälte" gearbeitet hätten, dabei behilflich gewesen, den Mechanismus im Land zu etablieren.

Knappe Stichwahl

Am kommenden Sonntag findet die Stichwahl um das Präsidentenamt in Moldau statt. Maia Sandu tritt dabei zwar, wie bereits in der ersten Runde, als Favoritin an. Ihr Kontrahent, Alexandr Stoianoglo, ehemaliger moldauischer Generalstaatsanwalt, der seines Postens 2021 wegen Korruptionsvorwürfen enthoben wurde, lag zwar in der erste Wahlrunde deutlich hinter Sandu, könnte jedoch die Stimmen anderer hinter ihm platzierter Kandidaten auf sich vereinen. Dadurch könnte es für Sandu sehr eng werden.

Präsidentin Maia Sandu bei der Stimmabgabe in Chisinau am 20.10.2024Bild: Elena Covalenco/DW

Stoianoglo wird von der prorussischen, EU-feindlichen Partei der Sozialisten (PSRM) unterstützt. Er selbst spricht sich nicht direkt gegen eine EU-Integration der Republik Moldau oder für eine formale Anbindung an Russland aus, betont jedoch, dass Chisinau enge Beziehungen zu Russland haben sollte.

Trotz allem vermied es Maia Sandu in der bisherigen Wahlkampagne, Russland für den Wahlbetrug verantwortlich zu machen. Sie spricht lediglich von "Banditen" - und erhofft sich davon offenbar, unentschiedene und skeptische Wähler auf ihre Seite zu ziehen.

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