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Genozid-Resolution kommt

Wolfgang Dick22. Mai 2016

Am 2. Juni will der Deutsche Bundestag eine Resolution verabschieden, die die Verbrechen des Osmanischen Reichs an Armeniern vor 100 Jahren als Völkermord verurteilt. Erdogans Regierung ist darüber sehr zornig.

Gedenkstunde im Plenarsaal des Bundestags (Archivbild). (Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Wenn Kanzlerin Angela Merkel auf den türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan trifft, dann dürfte sie seine Verärgerung über das Vorhaben einer breiten Koalition im Bundestag zu spüren bekommen: Zum ersten Mal nämlich wollen Union, SPD und Grüne in einer offiziellen Erklärung die Verbrechen des Osmanischen Reiches von 1915 an der armenischen Bevölkerung als Völkermord bezeichnen.

Bisher gab es zu diesem Thema nur Debatten im Rahmen des historischen Gedenkens im vergangenen Jahr. Bundestagspräsident Norbert Lammert und Bundespräsident Joachim Gauck verwendeten bereits den Begriff "Völkermord" und ernteten Protest aus Ankara. Mehrere Anläufe zu einem gemeinsamen offiziellen Bekenntnis in dieser Angelegenheit verzögerten sich.

Kleine Zugeständnisse

Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier ist nach wie vor skeptisch, ob die Positionierung des Bundestags mit Begriffen wie "Völkermord" hilfreich für die Aufarbeitung und die Aussöhnung sein kann. Um die Beziehungen zur Türkei und die Verhandlungen zur EU-Flüchtlingsregelung mit der Regierung Erdogan in diesem Frühjahr nicht zu torpedieren, wurde eine von den Grünen bereits für Februar 2016 geplante Resolution verschoben. Damals sicherte Unionsfraktionschef Volker Kauder dem Abgeordneten Cem Özdemir (Grüne) per Handschlag im Gegenzug vor, auf jeden Fall im ersten Halbjahr 2016 eine gemeinsame Resolution mit auf den Weg zu bringen. Kauder hat Wort gehalten.

Kritiker sehen in dieser ersten Verschiebung ein erneutes Einknicken gegenüber der türkischen Regierung. Doch bei dem Termin 2. Juni soll es jetzt bleiben.

Von der türkischen Regierung verleugnet: der Genozid an Armeniern während des Ersten WeltkriegsBild: picture alliance/CPA Media

Datum der Erklärung steht

Raffi Kantian, Vorsitzender der Deutsch-Armenischen Gesellschaft in Hannover, erklärte im Gespräch mit der Deutschen Welle, er habe keine Hinweise auf eine Verschiebung der Resolution. "Ich gehe von dem Zeitplan aus, den der Bundestag veröffentlicht."

Tatsächlich ist auf der Internetseite des Deutschen Bundestags nach wie vor für den 2. Juni unter dem Tagesordnungspunkt Nummer fünf eine Stunde vorgesehen - für den Antrag von Union, SPD und Grünen mit dem offiziellen Titel: "Erinnerung und Gedenken an den Völkermord an den Armeniern und anderen christlichen Minderheiten vor 101 Jahren". Auch die Unionsfraktion im Bundestag bestätigte durch eine Sprecherin, dass es bei der Veranstaltung bleiben werde. Schließlich sei der Text der Resolution fertig - vorbereitet in immerhin drei Arbeitsgruppen des Bundestages.

Allerdings soll es zu der Erklärung am 2. Juni keine so genannte namentliche Abstimmung geben. Das heißt, es bestünde keine Anwesenheitspflicht für die Abgeordneten. Abgestimmt würde über die Resolution lediglich mit einfachem Handzeichen.

Widerstand gegen jede Erpressung

Von den meisten Außenpolitikern der Parteien kommen eindeutige Signale für die Resolution. Der Initiator des Antrags, der Grünen-Abgeordnete Cem Özdemir, wurde gegenüber der Zeitung "Bild am Sonntag" am deutlichsten: "Es kann schon sein, dass es Ärger aus Ankara gibt. Aber der Bundestag lässt sich nicht von einem Despoten wie Herrn Erdogan erpressen."

Auch SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann betonte: "Wir sollten keine falschen Rücksichten nehmen." Franz-Josef Jung, außenpolitischer Sprecher der Unionsfraktion und Bernd Fabritius, für die CSU im Ausschuss für Menschenrechte, erinnerten gemeinsam an die historische Verantwortung Deutschlands an dem Genozid.

Prominente wie George Clooney (Mitte) und Charles Aznavour (rechts) gedachten im April des Genozids an den ArmeniernBild: Reuters/H. Baghdasaryan

Deutsche Mitverantwortung

Deutschlands Rechtsvorgängerin - das Deutsche Reich - war 1915 über ein Kriegsbündnis militärische Schutzmacht des Osmanischen Reiches. Es gab zahlreiche Hinweise an die deutsche Seite auf Greueltaten, auf ethnische Säuberungen der damaligen jungtürkischen Regierung. Nach wissenschaftlichen Schätzungen sollen bis zu 1,5 Millionen Armenier im Osmanischen Reich deportiert und umgebracht worden sein. Das Deutsche Reich schritt damals nicht ein und gewährte nach Ende des ersten Weltkriegs auch noch entmachteten Verantwortlichen der türkischen Regierung Asyl.

Nun soll sich Deutschland dafür offiziell entschuldigen. Raffi Kantian von der Deutsch-Armenischen Gesellschaft hofft, dass diese Entschuldigung im endgültigen Text am 2. Juni verabschiedet wird. Sicher ist das noch nicht, aber die Fraktionen der Linken und der Grünen haben in ihren ersten Anträgen für die Resolution darauf bestanden. Neben der Verwendung des Begriffs "Völkermord" fordern sie, dass sich Deutschland entschuldigt.

So hieß es im Antrag der Grünen vom 24. Februar 2016 (Drucksache 18/7648): "Der Deutsche Bundestag bedauert die unrühmliche Rolle des Deutschen Reiches, das trotz eindeutiger Informationen auch durch deutsche Diplomaten und Missionare über die organisierte Vertreibung und Vernichtung der Armenier nicht versucht hat, diese Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu stoppen."

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