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KatastropheTürkei

Retter finden weiterhin Erdbeben-Überlebende

11. Februar 2023

Auch mehrere Tage nach den Erdbeben in der türkisch-syrischen Grenzregion werden noch einige Überlebende gerettet. Damaskus kündigt Hilfslieferungen auch in Rebellengebiete an und die USA lockern die Syrien-Sanktionen.

Türkei Erdbeben in Hatay
Menschen im türkischen Hatay verbringen die Nächte bei Minustemperaturen im FreienBild: Alican Uludag/DW

Fünf Tage nach den verheerenden Erdbeben in der Grenzregion zwischen der Türkei und Syrien ist die Zahl der Toten auf mehr als 24.000 gestiegen. Allein in den betroffenen Gebieten in der Türkei wurden 20.665 Tote geborgen, wie die Katastrophenschutzbehörde AFAD an diesem Samstag mitteilte. In Syrien wurden mehr als 3500 Todesopfer gemeldet. Viele Menschen werden noch unter den Trümmern vermisst. Hunderttausende wurden obdachlos.

In der Türkei wurden den Behördenangaben zufolge zudem fast 93.000 Menschen aus den Erdbeben-Gebieten herausgebracht. Mehr als 166.000 Einsatzkräfte beteiligen sich an den Rettungs- und Hilfseinsätzen. Seit dem ersten Beben am Montagmorgen gab es fast 1900 Nachbeben.

Rettungskräfte und Helfer, darunter Spezialisten aus Dutzenden Ländern, arbeiten rund um die Uhr, um im Wettlauf gegen die Zeit mögliche Überlebende in den Schuttbergen zu finden. Immer wieder hielten sie inne, riefen dazu auf, still zu sein, und horchten gespannt, ob vielleicht doch noch Lebenszeichen aus den Trümmerhaufen zu vernehmen waren. Manchmal mit Erfolg: Mehrere Menschen konnten auch am Freitag noch gerettet werden, darunter ein zehn Tage altes Baby.

Baby nach vier Tagen lebend aus einer Ruine gezogen

Die Helfer zogen den Jungen zusammen mit seiner Mutter im türkischen Bezirk Samandag aus einer Häuserruine. Das Baby wurde in einer Wärmedecke eingewickelt in ein Feldhospital gebracht. Auch die Mutter war bei Bewusstsein und wurde auf einer Trage in Sicherheit gebracht, wie auf Videoaufnahmen der türkischen Katastrophenschutzbehörde zu sehen ist.

Zerstörter Wohnblock in ​​​​der südanatolischen Provinzhauptstadt KahramanmarasBild: Stoyan Nenov/REUTERS

In der Großstadt Kahramanmaras zogen Helfer 112 Stunden nach dem Beben einen 46 Jahre alten Mann aus der Ruine eines siebenstöckigen Gebäudes, wie die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu berichtete. In der Provinz Gaziantep wurde eine verschüttete Schwangere nach 115 bangen Stunden vor dem Tod bewahrt. Ebenfalls in Gaziantep bargen Retter ein neunjähriges Mädchen nach 108 Stunden aus dem Schutt - für ihre beiden Eltern und ihre Schwester kam jedoch jede Hilfe zu spät.

Harim in der syrischen Region Idlib - nur ein Bagger und viele Menschen suchen nach ÜberlebendenBild: OMAR HAJ KADOUR/AFP/Getty Images

Auf der anderen Seite der Grenze in Syrien wühlten sich Weißhelm-Rettungskräfte mit Händen durch Gips und Zement, bis sie den nackten Fuß eines jungen Mädchens erreichten, das einen rosa Pyjama trug. Das Kind war verschmutzt, aber lebendig und nun frei.

Doch die Hoffnung schwindet, noch Überlebende zu finden - zahlreiche weitere Opfer wurden unter den Trümmern Tausender zerstörter Häuser befürchtet. 72 Stunden gelten als Richtwert, die ein Mensch längstens ohne Wasser auskommen kann. Das bedeutet, dass mögliche Überlebende unter den Trümmern Zugang zu Wasser haben müssen.

Damaskus will auch in Rebellengebieten helfen

Syriens Präsident Baschar al-Assad reiste staatlichen Medien zufolge erstmals in das Katastrophengebiet. Er besuchte demnach ein Krankenhaus in Aleppo. In Syrien ist der Hilfseinsatz besonders schwierig. Das Land steckt seit fast zwölf Jahren im Bürgerkrieg. Zur Erdbebenkatastrophenregion zählen Landesteile, die von der Regierung kontrolliert werden, aber auch Rebellengebiete. Auch Damaskus bewegt sich nun bei der Frage der Hilfen für die Bebenopfer. Wie staatliche Medien berichten, genehmigte die syrische Regierung Hilfslieferungen auch in Gebiete außerhalb der Regierungskontrolle. Diese sollen in Zusammenarbeit mit dem Internationalen Roten Kreuz, dem syrischen Roten Halbmond und der UN organisiert werden.

Am Freitag trafen nach Angaben der Internationalen Organisation für Migration (IOM) 14 Lkw mit Hilfsgütern im Norden Syriens ein. Sie hatten unter anderem Heizgeräte, Zelte und Decken geladen. Doch das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen warnte, dass seine Lagerbestände im Nordwesten Syriens zur Neige gingen. 90 Prozent der Bevölkerung sind dort auf humanitäre Unterstützung angewiesen.

UN: 24,4 Millionen Menschen vom Erdbeben betroffen

Insgesamt sind nach Angaben der Vereinten Nationen gut 24,4 Millionen Menschen von der Katastrophe betroffen, die sich über ein etwa 450 Kilometer breites Gebiet erstreckt. Allein in Syrien könnten bis zu 5,3 Millionen Menschen nach dem Beben obdachlos sein, sagten die UN. Unzählige Menschen müssen bei eisigen Temperaturen im Freien oder in Zeltnotlagern ausharren, weil sie obdachlos wurden oder ihre Häuser einsturzgefährdet sind. Vielerorts mangelt es an Lebensmitteln, Trinkwasser und funktionierenden Toiletten.

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan im Erdbebengebiet - hier AdiyamanBild: Ozkan Bilgin/AA/picture alliance

In der Türkei sieht sich Präsident Erdogan mit immer größerer Wut der Bevölkerung konfrontiert. Viele werfen ihm und den Behörden vor, viel zu langsam und unzureichend auf die Katastrophe reagiert zu haben. Bei den im Mai anstehenden Wahlen könnte das eine entscheidende Rolle dabei spielen, ob Erdogan sich im Amt halten kann.

Der Präsident hat die Kritik zurückgewiesen. Bei einem Besuch im Katastrophengebiet erklärte er, dass die Hilfe nicht so schnell geleistet werde, wie die Regierung dies gerne wolle. Zudem sagte er, dass einige Menschen Märkte ausraubten und Geschäfte angriffen. Der verhängte Ausnahmezustand werde es dem Staat ermöglichen, die nötigen Strafen zu verhängen.

Öffnung eines Grenzübergangs zu Armenien 

Zur besseren Versorgung der Überlebenden nach der Erdbebenkatastrophe öffnet die Türkei auch einen Grenzübergang zu Armenien - trotz einer tiefen Feindschaft zum Nachbarland. Wie die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu berichtete, passierten fünf Lastwagen mit humanitärer Hilfe einen Grenzposten in der türkischen Provinz Igdir. Zuletzt sei das 1988 nach einem Beben in der Ex-Sowjetrepublik Armenien möglich gewesen. 

Die Landgrenze zwischen der Türkei und Armenien ist seit 1993 geschlossen. Das Verhältnis zwischen Ankara und Eriwan ist sowohl aus historischen Gründen als auch wegen des Konflikts um die Gebirgsregion Berg-Karabach schwer belastet. Die beiden Nachbarn unterhalten aber seit Ende 2021 wieder diplomatische Kontakte.

PKK wird Kämpfe einstellen

Die verbotene Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) kündigte an, vorläufig alle Angriffe in der Türkei einzustellen, um Kräfte für den Rettungseinsatz zu bündeln. "Wir haben entschieden, keine Angriffe auszuführen, solange uns der türkische Staat nicht angreift", sagte PKK-Führer Cemil Bayik.

Die USA werden für dringend benötigte humanitäre Hilfe 85 Millionen Dollar bereitstellen. Die Hilfe solle unter anderem Lebensmittel, Unterkünfte, Medizin und Versorgung von Familien umfassen, schrieb US-Präsident Joe Biden auf Twitter. "Unsere Herzen sind bei den Menschen in der Türkei und Syrien", fügte er hinzu.

USA lockern Sanktionen gegen Syrien

Damit die Erdbebenhilfe für das vom Bürgerkrieg zerrüttete Syrien trotz der Sanktionen gegen Machthaber Assad möglich ist, erlaubte das US-Finanzministerium für eine Dauer von 180 Tagen alle entsprechenden Transaktionen. Diese Lockerung werde nicht die langjährigen strukturellen Herausforderungen und die brutalen Taktiken des Assad-Regimes rückgängig machen, sagte Wally Adeyemo, der stellvertretende Finanzminister, in einer Mitteilung. Sie könne aber sicherstellen, dass Sanktionen die jetzt benötigte lebensrettende Hilfe nicht behinderten.

sti/nob/qu (dpa, afp, rtr)

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