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Retter in der Ägäis unerwünscht

Viktoria Kleber21. Februar 2016

Private Hilfsorganisationen haben Hunderte Boots-Flüchtlinge vor dem Ertrinken gerettet. Nun erschwert ihnen die griechische Küstenwache die Arbeit durch Bürokratie. Eine Reportage von der Insel Lesbos.

Hammamy ruft Flüchtlingen in einem Boot etwas zu (Foto: DW/V. Kleber)
Bild: DW/V. Kleber

Sea-Watch: Rettung von Flüchtlingen vor Lesbos

12:06

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Sandra Hammamy hält Ausschau nach Flüchtlingen. Sie hat einen gelben Taucheranzug an, der sie vor Kälte schützt - im Wasser und an Bord des Bootes, auf dem sie und ihre Crew die Ägäis vor der Insel Lesbos durchkreuzen. Heute stürmt es. Der Wind peitscht Hammamy ins Gesicht und immer wieder schwappen kleine Wellen in das motorisierte Schlauchboot. Vier Grad Celsius ist das Wasser kalt. "An solchen Tagen hoffen wir, dass in der Türkei wirklich keiner ablegt", sagt Hammamy. "Das würde nicht gut gehen."

Hammamy arbeitet ehrenamtlich, wie fast alle bei der privaten Initiative "Sea-Watch". Derzeit ist sie mit drei Kollegen unterwegs. Nicht immer sind die Flüchtlingsboote in akuter Seenot. Wenn sie eins sichten, genügt es meist, ihm den Weg zu einem sicheren Strand zu weisen. Das aber ist nötig, denn die Küsten von Lesbos sind steinig und gefährlich.

Bevor die freiwilligen Helfer hier waren, sind viele Boote auf die Felsen geprallt und gekentert, dabei sind immer wieder Flüchtlinge gestorben. "Es macht mich wütend, dass unsere Politiker das Sterben der Flüchtlinge so hinnehmen", sagt Hammamy. "Dem will ich etwas entgegensetzen."

Wenn ein Boot sinkt, wird es vorerst ruhiger

Erst am Tag zuvor ist ein großes Flüchtlingsboot vor der türkischen Küste gesunken. "Wenn so etwas passiert, ist es meistens für kurze Zeit ruhig", sagt Hammamy. Denn dann schicken die Schlepper erst einmal keine Flüchtenden aufs Wasser - aus Angst, zu viele negative Schlagzeilen könnten härtere Razzien nach sich ziehen.

Trotzdem geht es für die Helfer von Sea-Watch jeden Tag früh morgens los. Acht Stunden lang bleibt die Crew auf See, bevor sie in den Heimathafen in dem kleinen Fischerdorf Tsonia zurückkehrt. "Wenn keine Menschen gestorben sind", sagt Hammamy, "war es ein guter Tag."

Sandra Hammamy von der Hilfsorganisation Sea-Watch hält Ausschau nach Flüchtlings-BootenBild: DW/V. Kleber

Für solche Tage ist Hammamy sehr dankbar. Seit sieben Wochen ist sie nun schon auf der Insel. Von ihrer eigentlichen Arbeit als Politikwissenschaftlerin hat sie sich freistellen lassen. Ihren bislang schwierigsten Einsatz hatte sie gleich zu Beginn.

"Es waren schlechte Wetter-Bedingungen so wie heute", erzählt Hammamy. Die Funkeinsatzstelle der Freiwilligen, die alle Boote koordiniert, informierte ihre Crew über ein sinkendes Schlauchboot. Andere Helfer waren bereits vor Ort, doch nicht genügend. "Es waren Flüchtlinge im Wasser und ich habe einfach gleich nach dem ersten gegriffen. Es war ein kleines Mädchen." Eine solche Rettung ist ein Kraftakt: Die Kleidung der Flüchtlinge ist durchnässt, auch Erwachsene sind meist völlig erschöpft und können kaum noch mithelfen. Am Ende haben Hammamy und die anderen Crew-Mitglieder rund 20 Menschen auf das Sea-Watch-Boot geholt und vor dem Ertrinken bewahrt. Zwei Menschen aber ertranken an dem Tag.

Behörden blockieren die Arbeit der Helfer

Inzwischen werden solche Aktionen immer schwieriger. Denn die Behörden blockieren die Arbeit der Hilfsorganisationen auf Lesbos. Sea-Watch und die anderen, die über Rettungsboote verfügen, dürfen offiziell nicht mehr patrouillieren. Das hat ihnen die griechische Küstenwache in einem Schreiben mitgeteilt. Demnach dürfen sie nur noch zum Rettungseinsatz ausrücken, wenn sie offiziell darum gebeten werden. Mitte Januar haben die griechischen Behörden fünf Seenotretter von einer befreundeten Organisation verhaftet und einen Aussichtsposten der freiwilligen Funkeinsatzstelle geschlossen.

Der Grund liegt in der Politik: Der Druck auf die griechischen Behörden wächst. Viele Politiker in Europa werfen ihnen vor, unfähig oder nicht willens zu sein, den Flüchtlingsstrom zu begrenzen. Die Arbeit der Seenotretter trage dazu bei, dass mehr Flüchtlinge die Gefahr auf sich nehmen, da sie das Risiko auf dem Mittelmeer für Flüchtlinge kalkulierbar mache, heißt es. Hammamy hält das für einen Trugschluss: "Wer vor Krieg und Terror flieht, nimmt alles in Kauf. Ob wir da sind oder nicht."

Aufhören kommt für sie nicht in Frage: Die vierköpfige Sea-Watch-CrewBild: DW/V. Kleber

Auch ihr und ihren Kollegen wurde bereits mit Verhaftung gedroht. Ab sie machen weiter: "Wir retten hier Menschenleben und wir werden gebraucht." Das wisse auch die griechische Küstenwache.

Bürokratie könnte Menschenleben kosten

Als Hammamy am nächsten Morgen mit der Crew aufs Wasser fährt, sehen sie gleich ein Boot und fahren heran: Alle Insassen sind wohlauf. Die Helfer wollen ihnen den Weg an einen sicheren Strand weisen. Doch auf halber Strecke fällt der Motor des Flüchtlingsboots aus.

Nun müssten sie eigentlich die griechische Küstenwache anfordern. Doch dafür bleibt keine Zeit: "Das würde mindestens eine Stunde dauern", sagt Hammamy. Auf offenem Meer ohne Motor sei das zu gefährlich. Die Crew entschließt sich, das Schlauchboot abzuschleppen. Sie reichem ein Seil in das Boot. Alle Insassen müssen es festhalten, damit die Aktion gelingt.

Dass die Behörden ihnen deswegen Ärger bereiten könnten, weiß Hammamy. "Schlimmere Konsequenzen hätte es aber wohl, wenn dem Boot hier etwas passiert", sagt sie. Zwei Stunden später erreichen die Flüchtlinge den Strand in Tsonia auf Lesbos. "Wenn wir auf die Küstenwache gewartet hätten, wären sie vielleicht nie lebend hier angekommen."