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KonflikteIsrael

Rettet Bidens Gaza-Plan die Hamas-Geiseln?

7. Juni 2024

Weder Israel noch die Hamas wollen sich auf einen neuen Plan für eine Waffenruhe und die Freilassung der Geiseln einlassen. Die Familien der Geiseln fürchten, dass eine weitere Chance auf Befreiung verstreicht.

Demonstration, Demonstrant mit großer israelischer Flagge
Täglich gehen Familienangehörige von Geiseln auf die Straße, um die israelische Regierung unter Druck zu setzenBild: Tania Kraemer/DW

Seit acht Monaten kreisen die Gedanken von Shahar Mor hauptsächlich um seinen Onkel Avraham Munder, der im Gazastreifen als Geisel gefangen gehalten wird. Fast täglich nimmt der Datenanalyst an Protesten in seiner Heimatstadt Tel Aviv teil, um Druck auf die israelische Regierung auszuüben. Er fordert eine Vereinbarung über die Freilassung der restlichen Geiseln, die am 7. Oktober 2023 von militanten Hamas-Kämpfern entführt wurden. Am meisten befürchtet Mor, dass eine Waffenruhe zu spät kommen könnte.

"Wir machen uns auf weitere schlechte Nachrichten gefasst, denn es hat schon zu lange gedauert. Selbst wenn es morgen zu einer Einigung käme, würde es für viele der Geiseln zu spät sein. Viele von ihnen sind bereits tot", vermutet er im Gespräch mit der DW. Kurz zuvor hatte das israelische Militär den Tod von vier weiteren Geiseln im Alter zwischen 51 und 84 Jahren während ihrer Gefangenschaft in Khan Yunis bekanntgegeben.

Am 31. Mai hatte US-Präsident Joe Biden neue Pläne für einen Waffenstillstand vorgestellt. Auch die Freilassung der Geiseln ist darin vorgesehen. Doch weder die Hamas noch die israelische Regierung haben nach Ansicht von Mor großes Interesse gezeigt.

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"Beide Seiten würden gerne noch ein wenig weiter kämpfen, um ihrer Basis zu gefallen, mutmaßt der Angehörige. Präsident Bidens Initiative würde sie allerdings zwingen, innezuhalten und diese Qualen zu beenden. "Und das keine Minute zu früh", meint Mor. Er habe jedoch nur wenig Vertrauen in seine Regierung: "Sie tun alles, was möglich ist, um eine Vereinbarung zu torpedieren."

Den Sohn verloren, die übrige Familie gefangen

Seinen 79. Geburtstag habe sein Onkel Avraham, den zahlreiche gesundheitliche Probleme plagten, in Gefangenschaft durchleben müssen, erzählt Mor. Am 7. Oktober wurde er zusammen mit seiner Frau Ruti, seiner Tochter Keren und dem neunjährigen Enkel Ohad Munder-Zichri aus dem Kibbuz Nir Oz entführt. Der Sohn von Avraham und Ruti, der ebenfalls im Kibbuz lebte, wurde an diesem Tag getötet. Ruti, Keren und Ohad kamen im November, im Zuge der ersten Geiselfreilassungen, wieder frei.

"Meine Tante, meine Cousine und der Enkel wurden gemeinsam nach Gaza entführt. Avraham brachten sie an einen anderen Ort", berichtet Mor. "Er läuft mit einem Stock und seine Augen sind sehr schlecht. Wie kann jemand wie er, der Minuten braucht, um von hier nach dort zu gehen, nach Gaza entführt werden?"

Eine der mittlerweile befreiten Geiseln, eine ausgebildete Krankenpflegerin, erzählte, dass sie sich um Avraham Munder gekümmert habe. Es ist die letzte Nachricht, die Mor von seinem Onkel hat. 34 der Geiseln, die noch immer in Gaza gefangen gehalten werden, wurden vom israelischen Militär inzwischen für tot erklärt.

US-Plan setzt auf "dauerhafte Einstellung der Kampfhandlungen"

Der in der vergangenen Woche vorgestellte Vorschlag zu einer Waffenruhe und einer Freilassung der Geiseln soll drei Phasen umfassen. Biden beschrieb sie als "israelischen Vorschlag". Die erste Phase sieht eine vorübergehende Waffenruhe vor. Außerdem die Freilassung einiger Geiseln im Tausch gegen die Freilassung von Palästinensern, die in israelischen Gefängnissen inhaftiert sind. Und auch die Rückkehr von palästinensischen Zivilisten in ihre Heimat im Norden Gazas gehört zu dieser ersten Phase. Währenddessen  soll eine "dauerhafte Einstellung der Kampfhandlungen" ausgehandelt werden, die zweite Phase des Plans.

Große Teile des Gazastreifens sind zerstörtBild: Bashar Taleb/AFP/Getty Images

Den Menschen in Gaza gäbe eine solche Waffenstillstandsvereinbarung eine dringend benötigte Atempause. Mehr als 36.000 Menschen sind laut nicht überprüfbaren Zahlen des von der Hamas kontrollierten Gesundheitsministeriums bisher im Gazastreifen umgekommen. Der überwiegende Teil der 2,3 Millionen Menschen, die in dem Küstengebiet leben, musste fliehen und ist obdachlos. Große Teile des Gazastreifens sind zerstört, die Grundversorgung ist nicht mehr gewährleistet.

Netanjahu spürt den Druck von allen Seiten

Premierminister Benjamin Netanjahu jedoch, der sich international und zuhause großem Druck ausgesetzt sieht, bekräftigt immer wieder, dass Israel den Krieg in Gaza erst beenden würde, wenn die Hamas besiegt und entmachtet sei. Zwar unterstützen seine ultra-orthodoxen Koalitionspartner Shas und Vereinigtes Thora-Judentum den US-Plan, zwei rechtsextreme Kabinettsmitglieder aber haben gedroht, die Regierung zu verlassen, sollte der Krieg beendet werden. Diese Rücktritte könnten das Ende der Regierung Netanjahu bedeuten.

Nach einem Bericht des israelischen Militärsenders hat das Kriegskabinett entschieden, keine israelische Delegation in die katarische Hauptstadt Doha zu entsenden, solange die Hamas keine offizielle Stellungnahme zum aktuellen Vorschlag abgebe. Die Hamas, die von den USA, der EU, Deutschland und anderen Staaten als Terrororganisation eingestuft wird, hat sich noch nicht offiziell geäußert. Sie werde den Vorschlag wohlwollend prüfen, heißt es bislang. Einige Hamas-Sprecher wiederholten in den vergangenen Tagen die Forderung, Israel müsse sich zu einem vollständigen Rückzug aus dem Gazastreifen und zur Beendigung des Krieges verpflichten.

Kommt der Vorschlag zu spät für die Geiseln?

In Tel Aviv kleben an vielen Ladentüren, Bänken und Mauern die Fotos der Geiseln sowie Plakate und Aufkleber mit der Aufforderung "Bring them Home". Viele Bewohner der Stadt tragen gelbe Anstecknadeln und Schleifen, um ihre Solidarität auszudrücken.

"Wir müssen um jeden Preis zu einer Einigung kommen, um die Geiseln nach Hause zu bringen, auch wenn wir dafür den Krieg stoppen", sagt Orly, eine junge Frau, die ihren Nachnamen nicht nennen möchte. Ein junger Mann, Adar, meint: "Den Geiseln muss Priorität gegeben werden. Über die Kosten können wir uns später Gedanken machen." Er betont, dass er auf die richtige Entscheidung der Regierung vertraue.

Seit Monaten beteiligt sich Shahar Mor an Protesten für die Freilassung der israelischen GeiselnBild: Tania Kraemer/DW

Shahar Mor wurde bereits mehrmals wegen "Störung der öffentlichen Ordnung" festgenommen, weil er Straßen blockiert hatte. Dennoch er will nicht aufgeben und so lange weiter demonstrieren, bis eine Einigung erzielt wird. Die Nachricht von vier weiteren toten Geiseln hat das Gefühl der Dringlichkeit und Verzweiflung bei ihm noch verstärkt.

"Sie haben drei oder vier Monate der Geiselhaft überlebt und wurden von ihrem Land völlig im Stich gelassen. Es ist furchtbar. Wir sprechen hier von Menschen, die dieses Land von Anbeginn auf mit aufgebaut haben", betont er. "Wir haben versagt. Wir haben es nicht geschafft, sie zurückzubringen. Das ist ein furchtbares Gefühl."

Das Hostages Families Forum vertritt die Angehörigen mehrerer Geiseln. In einer öffentlichen Erklärung der Organisation heißt es, der Tod so vieler Geiseln "erinnert uns daran, dass jeder Tag in Gefangenschaft das Leben der verbleibenden Geiseln in Gefahr bringt". Die Verhandlungsparteien werden aufgefordert, "umgehend zusammenzukommen, um Gräben zu überbrücken und ohne Verzögerung eine Vereinbarung abzuschließen".

Adaptiert aus dem Englischen von Phoenix Hanzo.

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