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Gesellschaft

Revolte für krauses Haar in der Karibik

Michaela Cavanagh ehl
5. Januar 2019

In der Dominikanischen Republik galten die krausen Haare der afrikanischstämmigen Bevölkerung lange als Makel. Eine Afro-Bewegung will das ändern. Michaela Cavanagh war im ersten Friseursalon für natürliche Haarpracht.

Natürliches Haar Santo Domingo Dominikanische Republik
Bild: DW/F. Afonso

Die Keimzelle der Bewegung befindet sich in der zweiten Etage in einem alten Kolonialgebäude in Santo Domingo. Mitten im Herzen des historischen Kolonialviertels in der Hauptstadt der Dominikanischen Republik betreibt Carolina Contreras ihren Friseursalon. Raumhohe Fenster lassen viel Licht in den luftigen Salon, aus den Frisierstühlen blicken die Kundinnen und Kunden in große Spiegelglasscheiben. Topfpflanzen stehen auf Holzpaletten-Regalen, daneben ein Arsenal an Haarpflegeprodukten und Werbematerialien von Miss Rizos, bedruckt mit dem Spruch "Yo amo mi pajon", "Ich liebe meinen Afro".

Mit ihren Haaren im Reinen zu sein, fällt vielen Menschen in der Dominikanischen Republik nicht leicht. "Ich muss bei meinen Kunden Überzeugungsarbeit leisten, dass ihre natürlichen Haare schön sind und sie sie schneiden dürfen", sagt Contreras.

Die Aktivistin, Unternehmerin und Influencerin mit dominikanischen und US-amerikanischen Wurzeln gründete Miss Rizos 2014. Ihr Salon, dessen Name sich mit "Frau Kraushaar" übersetzen lässt, ist der erste seiner Art auf der Karibikinsel Hispaniola: Ein Friseursalon, der sich speziell an Afro-Latinas und -Latinos richtet, die ihre Haare so kraus tragen wollen, wie sie wachsen. Für viele ist das unvorstellbar, deshalb glätten sie sich die Haare mithilfe von Chemie.

"Yo amo mi Pajon", "Ich liebe meinen Afro", lautet das Motto bei Miss Rizos und Inhaberin Carolina Contreras (links)Bild: DW/F. Afonso

Carolina Contreras hegt und pflegt mit ihrem Salon nicht nur Frisuren, sondern gleichzeitig auch eine wachsende Bewegung, die sich online und offline formiert. Gemeinsam mit ihren Mitstreitern in der Dominikanischen Republik und anderen Teilen Lateinamerikas rüttelt sie an gesellschaftlichen Konventionen und ermutigt Frauen, vom tradierten Schönheitsideal abzuweichen und gesellschaftliche Erwartungen zu unterlaufen.

Karibische Haarspaltereien

Wie ein Mittelscheitel trennt die Haarmode der Dominikanischen Republik gute, also glatte, und schlechte Haare voneinander. Ein "pajon", wie ein fülliger Afro in der Karibik heißt, wurde historisch als hässlich und widerspenstig angesehen und gilt als Zeichen für afro-dominikanische Wurzeln. Auf der Straße müssen Frauen, die ihre Haare natürlich tragen, häufig Beleidigungen über sich ergehen lassen, sie werden als hässlich und abstoßend beschimpft. Frauen, die gehobene Berufe anstreben, zum Beispiel als Lehrerin, Anwältin oder in einer Bank, werden angehalten, ihre Haare zu glätten. Eine Studie des Perception-Instituts aus dem Jahr 2016 belegte, dass schwarze Frauen in den USA am Arbeitsplatz häufiger rassistischen Vorurteilen ausgesetzt sind, wenn sie ihre Haare natürlich tragen.

In der Dominikanischen Republik hängen solche Einstellungen mit der komplizierten Geschichte der afrikanisch-stämmigen Bevölkerungsteile und dem Einfluss der europäischen Kolonialisierung zusammen. Welche Hautfarbe man hat und aus welcher sozialen Schicht man kommt, spielt für die Frisur genauso eine Rolle wie westlich geprägte Schönheitsideale. Der Ausdruck "pelo malo", schlechte Haare, hat sich im Laufe der Zeit gefestigt als Bezeichnung für krauses, dicht gelocktes Haar, während das Gegenstück "pelo bueno", gute Haare, mit seidig glatten Strähnen assoziiert ist.

Es ist aber noch komplizierter, sagt Contreras: "Ich denke, es geht für Dominikanerinnen um mehr, als die Negritude zu tilgen und ihr Europäischsein einzufordern. Vielmehr geht es um die Botschaft, die die Gesellschaft vermittelt, wie Erfolg auszusehen hat - nicht nur in der Dominikanischen Republik, sondern weltweit."

Glatte Haare sind teuer und schmerzhaft

Dieser "Erfolg" hat seinen Preis: Die chemische Prozedur zum Glätten der Haare ist schmerzhaft, teuer und zieht sich oft über Stunden. Contreras erinnert sich, wie sie früher ihren Schwestern die Haare glättete: "Es waren nicht nur meine Mutter und diese Stylisten, die mir weh getan haben. Ich habe meinen drei Schwestern genauso weh getan." Es sei noch nicht allzu lange her, dass sie ihren Schwestern gesagt habe: "'Eure Haare sehen hässlich aus, lasst uns das ändern, ihr müsst morgen zur Schule.' Und jetzt führe ich eine Bewegung für natürliche Haare an."

Miss Rizos bedeutet frei übersetzt "Frau Kraushaar" - der Name ist ProgrammBild: DW/F. Afonso

Bei Miss Rizos genießen es Kundinnen wie Larissa Lembert Archivald, wie Contreras und ihre Angestellten die "guten" und "schlechten" Haare auf ihren Köpfen bearbeiten. "Die Frauen sind so warm und enthusiastisch, sie sind so einfühlsam zu uns", sagt Lembert Archibald. "Sie hören genau zu, wenn man sagt, was man will. Ich fühle mich hier wie zu Hause."

Zum politischen Statement waren natürliche Haare von Afroamerikanern in den USA schon mit der "Black is beautiful"-Bewegung rund um 1968 geworden - eine ihrer Ikonen wurde die Bürgerrechtsaktivistin Angela Davis mit ihrer krausen Haarpracht. 

Die neue Naturhaarbewegung nahm ihren Ursprung Anfang der 2000er Jahre in den USA. Seitdem hat sie sich in die Karibik, nach Lateinamerika und in Teile Afrikas ausgebreitet. Mittlerweile haben sich Frauen auf der ganzen Welt der Ablehnung europäischer Schönheitsideale und die Kehrtwende zu natürlichen Haaren angeschlossen.

Lembert Archivald wurde in der Dominikanischen Republik geboren und arbeitet als Ärztin im spanischen Sevilla. Wenn sie ihre alte Heimat besucht, ist sie überwältigt von den großen Veränderungen: "Es ist total magisch, anzukommen und zu sehen, wie Frauen von den Zollhäuschen am Flughafen bis hin zu förmlichen Büros ihre schönen Haare zeigen", sagt sie. "Als ich ein Kind war, gab es hier keine Salons für natürliche Haare und nichts, woran wir lernen konnten, wie wir nach vorne schauen und unsere verpönte Farbigkeit lieben lernen."

Ein krauses Tabuthema

Auch, als Carolina Contreras ihre chemieglatten Haare abschnitt und krause Haare nachwachsen ließ, waren kaum Informationen verfügbar. Sie sagt, sie wurde mit Schimpfnamen bedacht und beleidigt - aber eben auch von Menschen auf der Straße, bei der Arbeit, beim Einkaufen auf ihre Haare angesprochen.

Jedes Jahr feiern die Besucher der "Afro Feria" in Santo Domingo die Natur ihrer HaareBild: DW/F. Afonso

"Die Leute stellten mir Fragen wie 'Wie hast du das gemacht?', 'Wie ist das abgelaufen?' oder 'Welche Produkte hast du benutzt?' Wildfremde fragten mich diese Sachen auf der Straße, weil Haare so ein großes Tabuthema waren. Also dachte ich mir, ich eröffne ein Blog." Während sie immer tiefer in das Thema eintauchte, stellte Contreras gleichzeitig fest, wie groß der Bedarf an Informationen auf Spanisch war, wie und mit welchen Produkten man natürliche Haare pflegt und stylt.

Irgendwann war es für Contreras ein logischer nächster Schritt, einen eigenen Salon zu eröffnen. Miss Rizos ist viel mehr als ein Frisiersalon: Es ist ein Freiraum für Frauen und Männer, in dem sie Informationen und Tipps austauschen, die Gesellschaft Gleichgesinnter suchen und erfahren können, wie sie der Diskriminierung gegen ihre eigenen "Pajones" entgegentreten können. Rund um den Salon gruppiert sich mittlerweile eine komplette Szene mit Gesprächsrunden und Workshops und einer Online-Community mit 130.000 Followern.

Mut zur Haarpracht

Contreras erzählt die Geschichte einer 16-Jährigen aus Santiago de los Caballeros, einer Stadt im Norden des Landes: "Sie wollte einen Rat. Ihr Schuldirektor warf ihr vor, dass nur Prostituierte ihre Haare so tragen." Sie habe der Schülerin gesagt, was sie antworten könne, und der Direktor gab nach. Contreras ist überzeugt: "Manchmal brauchen Menschen einfach nur die richtigen Werkzeuge."

Ihr Friseursalon wird manchmal zum Schauplatz eines Kampfes, in dem sich afrikanischstämmige Menschen gegen den kulturellen Status Quo auflehnen. "Ich versuche, Frauen zu bestärken, indem ich ihnen beibringe, wie sie etwas lieben, von dem wir beigebracht bekommen haben, es zu hassen", sagt Contreras. "So können sie sich besser damit fühlen, wer sie sind."

Dem pflichtet auch die Ärztin Larissa Lembert Archivald bei: "Wir sollten uns so lieben, wie wir sind: als eine schöne Mischung. Darin spiegeln sich die Bemühungen und die Geschichte unserer Insel."

Aus dem Leben einer jungen Dominikanerin

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