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Mehr Ärzte fürs platte Land

Janine Albrecht
21. Februar 2017

Immer mehr Ärzte auf dem Land finden keine Nachfolger. Junge Mediziner zieht es vor allem in die Städte. Ein Modellprojekt aus Schleswig-Holstein hat es gegen den Trend geschafft, Arztnachwuchs aufs Land zu holen.

Deutschland Rezept gegen Landarztmangel - Eingangsbereich des Gesundheitszentrum Büsum
Bild: DW/J. Albrecht

Die orangefarbene Mappe auf dem Tresen ist leer. Kerstin Weiser-Hagelstein hat bereits am frühen Morgen einige Patienten behandelt, jetzt ist das Wartezimmer leer. Obwohl in Norddeutschland derzeit die Grippe grassiert, warten um 10 Uhr im Büsumer Gesundheitszentrum nur wenige Patienten. Büsum ist eine kleine Gemeinde an der Nordseeküste von Schleswig-Holstein. Da hält sich selbst in Zeiten der Grippewelle die Zahl der Erkrankten in Grenzen. Die Allgemeinmedizinerin Weiser-Hagelstein arbeitet in den Praxisräumen gemeinsam mit fünf weiteren Kollegen. 

Ärzte sind Angestellte der Gemeinde

Anders als in anderen ländlichen Regionen ist die medizinische Versorgung im Nordseebad Büsum auch in Zukunft gesichert. Grund ist ein deutschlandweit einzigartiges Modell: Die Ärzte sind Angestellte der Gemeinde, verwaltet wird das Gesundheitszentrum von der Ärztegenossenschaft Nord, die auch die Idee dazu hatte.
Aus vier Einzelpraxen, die bereits in einem Gebäude untergebracht waren, wurde eine Gemeinschaftspraxis gegründet. In den Umbau investierte die Gemeinde etwa vier Millionen Euro. Die früher selbständigen Ärzte bekamen schicke moderne Räume, ohne eigenes finanzielles Risiko.

Teilzeit-Ärztin und Mutter - Kerstin Weiser-Hagelstein ist von der Gemeinde angestellte LandärztinBild: DW/J. Albrecht

Das lockte offensichtlich auch junge Ärzte an. Seit Gründung des Gesundheitszentrums vor bald 2 Jahren sind drei Mediziner dazu gekommen. Die 39 Jahre alte Kerstin Weiser-Hagelstein ist seit knapp einem Jahr in der Praxis - in Teilzeit, damit sie sich am Nachmittag um ihre drei Kinder kümmern kann. Eine eigene Praxis wollte sie jetzt nicht. "Die finanzielle Verantwortung möchte ich momentan nicht übernehmen", sagt Weiser-Hagelstein.

Büsumer Modell als Worst-Case-Szenario

Den regelmäßigen Austausch mit ihren älteren Kollegen empfindet sie als gute Chance, von ihnen zu lernen. Um wirtschaftliche Belange oder bürokratische Aufgaben müssen sich die Ärzte im Gesundheitszentrum Büsum nicht kümmern. Dafür ist Thomas Rampoldt von der Ärztegenossenschaft Nord zuständig. "Wir kümmern uns um das Kaufmännische, die Ärzte um das Medizinische", sagt Rampoldt. 

Beschauliche Szenerie - Weil im Winter nur wenige Touristen an die Küste kommen, bleiben auch die Krabbenkutter im HafenBild: DW/J. Albrecht

Auch wenn das Büsumer Modell den drohenden Landarztmangel erfolgreich verhindert hat, ist es nach Ansicht Rampoldts nicht die Königslösung für das Problem. "Das, was wir hier in Büsum realisiert haben, ist ein Worst-Case-Szenario, weil die medizinische Versorgung nicht mehr gesichert war", betont Rampoldt. Einmal pro  Woche ist er zur Mitarbeiterbesprechung im Gesundheitszentrum. Dann wird die Woche ausgewertet und überlegt, welche Arbeitsabläufe optimiert werden können. 
Für die Patienten hat sich nichts verändert. Sie sind weiterhin bei einem ihrer früheren Ärzte in Behandlung. Lisa Kutzinski kommt schon seit Jahren zu Dr. Lindemann. Die 81 Jahre alte Frau fragt sich, wie sie zum Arzt kommen sollte, wenn es in Büsum keinen mehr gäbe.

Erledigt den "Papierkram": Thomas Rampoldt von der GenossenschaftBild: DW/J. Albrecht

Vor allem alte Leute brauchen Arzt vor Ort

"Ich habe vor drei Jahren mein Auto abgegeben", sagt sie. Vor ihr steht ein Rollator als Gehhilfe. Neben ihr sitzt Emma Peters. Auch sie ist 81 Jahre alt und darauf angewiesen, dass ihr Arzt in der Nähe ist. "Ich kann gar kein Auto fahren", sagt die Seniorin. Es sind vor allem alte Menschen, die in die Praxis kommen, zumindest jetzt im Winter. Hinter dem weißen Empfangstresen zeigt ein großes Foto Strandkörbe am Meer. Im Sommer ist Büsum ein beliebter Badeort an der Nordsee.
 Für die Ärzte bedeutet das Saisonbetrieb. "Jetzt kümmern wir uns um etwa 5000 Menschen, das sind die Büsumer, die hier leben. Im Sommer sind es mit den Touristen schnell 25.000", sagt Volker Staats, der sich 1993 in Büsum als Arzt niedergelassen hat. Jetzt gehört er zum Team der angestellten Ärzte.

Hausbesuch per Bluetooth und Tablet

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An eigenen Urlaub konnte er in der Hauptsaison als selbständiger Arzt nicht denken. "Ich kann ja nicht in der Zeit, in der das meiste Geld verdient wird, wegfahren", sagt Staats. Jetzt in der Gemeinschaftspraxis mit den anderen Kollegen verteile sich die Arbeit auf mehrere Schultern, das mache die Urlaubsplanung leichter. Ohne das neue Modell wäre Büsum für Weiser-Hagelstein nicht attraktiv gewesen. "Gerade im Sommer, wenn man die Schulferien der Kinder überbrücken muss, wäre das für mich nicht in Frage gekommen", sagt die Ärztin und dreifache Mutter.

Hohe Arztdichte, geringe Verteilung

Auf dem Land lassen sich immer weniger Ärzte nieder. Dabei ist die Arztdichte bundesweit sehr hoch, auf 1000 Einwohner kommen 4,1 Mediziner. Damit liegt Deutschland nach Angaben der OECD im internationalen Vergleich nach Griechenland, Österreich, Norwegen und Portugal auf Platz fünf von insgesamt  34 Staaten. Schlusslichter der Statistik sind die Türkei mit 1,8  und Chile mit 1,9 Medizinern, die 1000 Menschen versorgen sollen.
Allerdings verteilen sich die Ärzte in Deutschland regional sehr unterschiedlich. Im letzten Ärzteatlas des Wissenschaftlichen Instituts der AOK haben die populären Stadtstaaten Hamburg, Bremen und Berlin die meisten Mediziner. In Bundesländern mit vielen ländlichen Regionen wie Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen und Brandenburg ist die Arztdichte deutlich dünner. Dazu kommt, dass bundesweit ein Drittel der Hausärzte 60 Jahre oder älter ist.

Auf dem Land müssen vor allem ältere Patienten versorgt werdenBild: DW/J. Albrecht

Im Gesundheitszentrum Büsum kann Volker Staats beruhigt auf seinen Ruhestand in ein paar Jahren blicken. Vor zwei Jahren war er, wie Staats selber sagt, mit damals 58 Jahren in Büsum das ärztliche "Küken". Diesen Platz haben jetzt seine deutlich jüngeren Kollegen eingenommen. Dass er sich keine Sorgen mehr über eine Nachfolge machen muss, war für ihn die größte Motivation, seine Selbständigkeit gegen die Anstellung einzutauschen.

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