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Rezession im Schatten der Krim-Euphorie

Andrey Gurkov16. Mai 2014

Ein ganzes Jahrzehnt lang galt das Schwellenland als eine Lokomotive der Weltwirtschaft. Doch nun ist das Wachstum in Russland zu Ende. In Deutschland beginnt eine Neubewertung des russischen Marktes.

Kurse an der Börse in Moskau (Foto: REUTERS/Maxim Shemetov)
Bild: Reuters

In den Nachrichtensendungen des russischen Fernsehens zeigt sich das heutige Russland kraftvoll. Wladimir Putin hat am 9. Mai 2014 gleich zwei kostspielige Militärparaden abgenommen - die eine auf dem Roten Platz in Moskau, die andere im Hafen von Sewastopol auf der Krim.

Militärparade am 9. Mai 2014 in SewastopolBild: Reuters

Hinter der Fassade militärischer Stärke häufen sich ernste wirtschaftliche Probleme. Russland befindet sich gegenwärtig in der Rezession. Anfang Mai stellte das der Internationale Währungsfonds (IWF) fest, Mitte des Monats musste auch der russische Wirtschaftsminister Alexej Uljukajew nachziehen. Noch versucht er zu beschwichtigen: "Wir hatten im ersten Quartal saisonbereinigt einen Rückgang der Wirtschaftsleistung um 0,5 Prozent. Theoretisch könnte es im zweiten Quartal einen Rückgang zwischen 0,0 und 0,1 Prozent geben."

Ein Schwellenland in der Stagflation

Ein Jahrzehnt lang galt Russland zusammen mit den anderen BRIC-Staaten Brasilien, Indien und China als eine der neuen großen Lokomotiven der Weltwirtschaft. Schließlich hatte es in den Jahren 2006 und 2007 ein Wachstum des Bruttoinlandsprodukts von mehr als acht Prozent vorzuweisen. Selbst nach dem schweren Einbruch der Wirtschaftsleistung während der weltweiten Krise 2009 erreichte Russland in den Jahren 2011 und 2012 einen recht ansehnlichen Zuwachs von 4,3 beziehungsweise 3,4 Prozent.

Doch schon damals setzte der Abwärtstrend ein, der sich 2013 rapide beschleunigte. Statt der erwarteten 3,3 wurden es am Ende 1,3 Prozent. Eine Stagflation zeichnet sich ab. Der Preisauftrieb beschleunigt sich zusehends und wird laut Wirtschaftsminister Uljukajew seinen Höhepunkt im Juni mit einer Inflationsrate von 7,5 bis 7,6 Prozent erreichen. Gegen Ende des Jahres, so hofft die Regierung in Moskau, könnte die Teuerungsrate auf 6,0 bis 6,5 Prozent zurückgehen. Das Inflationsziel der russischen Zentralbank für 2014 lag ursprünglich bei 5,0 Prozent.

"Die Korruption hat die russische Wirtschaft ruiniert"

Auf die Frage, warum das Wirtschaftswachstum zum Stillstand gekommen ist, antwortet der bekannte russische Ökonom Sergej Gurijew, Russland habe die bisherigen Quellen seines Wachstums wie billige Arbeitskräfte, steigende Preise für Konsumartikel oder Ausweitung des Marktes für Verbraucherkredite bereits ausgeschöpft. Nun ginge es darum, Investitionen zu fördern, aber das erfordere konsequenten Schutz der Eigentumsrechte und Vertragstreue. Doch genau diese seien durch die Korruption in der Exekutive und im Gerichtssystem zerstört, schrieb Gurijew kürzlich in der Londoner Financial Times.

"Die Korruption hat die russische Wirtschaft ruiniert." So lautet das Fazit des ehemaligen Rektors der renommierten Moskauer Privathochschule New Economic School und Regierungsberaters, der wegen seiner unabhängigen und kritischen Haltung im vorigen Jahr nach Frankreich emigrieren musste. Praktisch alle Experten verweisen zudem auf die Ölpreise. Solange diese stiegen, wuchs auch das russische Bruttoinlandsprodukt. Seit etwa drei Jahren stagnieren sie auf hohem Niveau mit leicht rückläufiger Tendenz und die Leistungskraft nimmt ab.

Russland braucht dringend eine Diversifizierung seiner Wirtschaft. Doch das in- und ausländische Kapital spürt das fehlende Interesse des Kremls an Reformen und flieht. Bereits im vorigen Jahr beliefen sich die Kapitalabflüsse laut russischer Zentralbank auf 59,7 Milliarden Dollar, allein im ersten Quartal dieses Jahres waren es bereits 50,6 Milliarden.

Exporte fallen seit einem Jahr

Der russische Rubel verliert deutlich an Wert und die Kaufkraft der Russen sinktBild: Reuters

Eine der Folgen dieser Kapitalflucht war die Abwertung des Rubels innerhalb eines Jahres um etwa 20 Prozent. Das hat zwar den auf Petro-Dollar basierenden russischen Haushalt etwas entlastet, gleichzeitig aber zu einem Preisschub bei importierten Waren und einem Kaufkraftverlust unter der russischen Bevölkerung geführt. Das registrierten auch zahlreiche deutsche Exporteure und Investoren. Über Währungsverluste und zum Teil deutlich fallende Verkaufszahlen im ersten Quartal beschwerten sich in der laufenden Berichtssaison in Russland engagierte Unternehmen wie Adidas, Daimler, E.ON, Henkel, MAN, Stada und Volkswagen.

Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes geht der deutsche Export nach Russland bereits seit Mai 2013 Monat für Monat zurück. Im Januar und Februar dieses Jahres, als Sanktionen des Westens gegen Russland noch nicht diskutiert wurden, fielen die Ausfuhren im Jahresvergleich um 14,2 beziehungsweise 17,7 Prozent. Es sind also nicht die möglichen Sanktionen, die der bilateralen wirtschaftlichen Zusammenarbeit schaden, wie einige deutsche Unternehmenslenker und Verbände Glauben machen wollen.

Überschätztes Potenzial

In Deutschland kam es bereits zu einer Neubewertung der Perspektiven des russischen Marktes - wenn nicht in den Chefetagen, so zumindest bei den Analytikern. Die Unternehmensberatung Roland Berger Strategy Consultants beispielsweise hat eine Studie veröffentlicht, in der vorgerechnet wird, dass Russland die früheren Erwartungen der Automobilhersteller nicht erfüllen können wird. "Die bisherige Vorhersage von über vier Millionen verkauften Fahrzeugen im Jahr 2020 ist selbst im optimistischen Szenario nicht länger zu halten", ist sich Uwe Kumm, Managing Partner des Moskauer Büros von Roland Berger, sicher.

Noch viel weiter geht in seinen Schlussfolgerungen David Folkerts-Landau, Chefvolkswirt der Deutschen Bank. "Der Blick auf Russland wird sich grundlegend ändern. Die strukturellen Schwächen des Landes werden mit der Zeit zutage treten", prognostizierte er vor kurzem in einem Interview mit der "Welt". Sein Urteil klingt sehr ernüchternd: "Russlands wirtschaftliches Potenzial wird im Ausland massiv überschätzt."

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