Lützerath wird geräumt
11. Januar 2023Gegen diese Übermacht haben die Klima-Aktivisten praktisch keine Chance: Über tausend Polizisten aus ganz Deutschland sind im rheinischen Braunkohlerevier zusammengezogen worden, um den kleinen Ort Lützerath zu räumen. Hier haben sich seit Monaten mehrere hundert Aktivisten verschanzt. Die einen hausen in selbst gezimmerten Baumhütten, andere haben sich zu Dutzenden untergehakt und auf den Boden gesetzt. Weitere Gruppen verbarrikadieren sich in den letzten verbliebenen Bauernhöfen. Die früheren Einwohner von Lützerath haben ihr Dorf längst verlassen und ihre Häuser und Grundstücke an den Energiekonzern RWE verkauft.
Gut organisierter Einsatz
Die meisten Aktivisten sind zwischen 20 und 30 Jahre alt. Sie leisten Widerstand, weil sie dagegen sind, dass RWE die Braunkohle unter dem Dorf abträgt. Angesichts der Übermacht der Ordnungskräfte kann die Sprecherin der Widerständler, Lakshmi Thevasagayam, nur den Kopf schütteln: "Wenn Deutschland den Übergang zu den erneuerbaren Energien genauso gut organisieren würde wie diesen Polizeieinsatz, wären wir weiter", sagt sie der DW.
Die Polizei geht systematisch vor und weicht zunächst den Barrikaden der Widerständler am Eingang des Dorfes aus. Die Beamten dringen in den Wald ein, in dem viele Aktivisten auch in Zelten wohnen. Mit schwerem Gerät werden Bäume gefällt. Danach erst tragen die Ordnungshüter mit Baggern die Barrikaden ab, die aus Holz und Steinen bestehen. Was immer die Polizisten tun: Die Aktivisten beobachten sie genau - und können eine gewisse Schadenfreude nicht verbergen, wenn etwas schief geht. Etwa als ein riesiger Radlader im Schlamm stecken bleibt. Die Räder drehen durch, der Fahrer des Gerätes fährt vor und zurück, es hilft nichts. Statt Barrikaden zu räumen, muss er andere Bagger zur Hilfe rufen, um aus dem Schlamm zu kommen.
Gewaltfreier Widerstand
Insgesamt verläuft der Widerstand der Aktivisten friedlich. Sobald sich ihnen Polizisten nähern, skandieren sie "Keine Gewalt, keine Gewalt." Die meisten lassen sich wegtragen. Polizeisprecher Andreas Müller hat vor dem Einsatz gegenüber der DW klar gemacht, dass die Beamten auf alles vorbereitet seien. Doch es gibt nur vereinzelte Scharmützel, bei denen einige wenige Aktivisten Molotow-Cocktails, Pyrotechnik und Pflastersteine auf die Polizisten werfen und zwei von ihnen leicht verletzen. Zahlreiche Widerständler verlassen den Ort freiwillig, als die Beamten mit ihrem Einsatz beginnen.
Vielleicht hat der starke Regen am Vormittag auch dazu beigetragen. Gegen Mittag kommt die Sonne durch, es wird wärmer. Einige Aktivisten lassen sich die Laune nicht verderben. In einer Baumhütte dreht jemand das Radio auf und spielt bayerische Volksmusik.
"Die Polizisten machen ihren Job professionell," findet Michael Mertens, Chef der Polizeigewerkschaft. Auch er sieht sich in Lützerath um. Die Beamten würden für keine Seite Partei ergreifen, sagt Mertens dem deutschen Auslandssender, weder für die Klimaschützer noch für die Industrie. Sie halten sich ans Gesetz. Die Gerichte haben schon vor Monaten entschieden, dass RWE Lützerath räumen darf.
Enttäuscht von den Grünen
Viele Aktivisten zeigen sich besonders enttäuscht von den Grünen. Jahrelang hat die Partei gegen die Kohleenergie gewettert. Inzwischen regieren die Grünen in der Düsseldorfer Landesregierung mit - und befürworten die Räumung vom Lützerath. Dass einzelne Abgeordnete der Grünen dies kritisch sehen, ändert daran wenig.
Den ganzen Tag umkreisen Drohnen das Gelände. Einige steuert die Polizei, um mit den Luftbildern den Einsatz zu koordinieren. Andere Drohnen gehören den Aktivisten. Sie nutzen die Bilder, um in den sozialen Medien über die Geschehnisse in Lützerath zu berichten. Hunderte Mitarbeiter errichten im Auftrag von RWE einen 1,7 Kilometer langen Metallzaun um Lützerath. "Da kommt keiner rein oder raus, ohne dass wir es merken", sagt einer der Handwerker, der namentlich nicht genannt werden will.
Zügiger als gedacht
Probleme bereiten den Ordnungskräften jene Aktivisten, die sich in den Baumhütten aufhalten. Die Beamten nähern sich ihnen mit Hebebühnen. Die Aktivisten wiederum, die sich in den Bauernhöfen verschanzt haben, können nur mit Spezialkräften der Polizei herausgetragen werden. Das allerdings kann Tage dauern. Wie viele Menschen in den Häusern ausharren, ist unbekannt.
Noch am Vormittag lassen sich die Polizeisprecher auf keinen Termin ein, an dem der Einsatz beendet sein könnte. Es könne Wochen dauern, sagt einer von ihnen. Aber am Ende des ersten Tages rechnen viele Beamten angesichts der Fortschritte schon damit, dass die Räumung in wenigen Tagen beendet sein könnte.