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Politik

Riad verordnet sich Justizreform

Lewis Sanders IV | Siham Ouchtou
29. April 2020

Mehr als eine Image-Kampagne? Saudi-Arabien schafft die Todesstrafe für Minderjährige und Auspeitschen als Strafe ab. Damit will Kronprinz Mohammed bin Salman das Land an internationale Standards heranzuführen.

Bildergalerie Persönlichkeiten 2020 | König Salman ibn Abd al-Aziz
Omnipräsenter Herrscher: Zwei Frauen laufen in Riad an einem Porträt von Saudi-Arabiens König Salman vorbeiBild: Getty Images/AFP/F. Nureldine

Seit drei Jahrzehnten stehen die Reformbestrebungen Saudi-Arabiens unter einem einzigen Leitsatz: "Wir Saudis wollen modernisieren, aber nicht unbedingt verwestlichen." So fasste es der Politiker und ehemalige saudische Botschafter in den USA, Bandar bin Sultan al-Saud, Anfang der 1990er Jahre zusammen.

Dieser Grundsatz ebnete den Weg für die wirtschaftlichen, politischen und juristischen Reformen des Königreichs. Dazu zählen auch die jüngsten Entscheidungen der Regierung, das Auspeitschen als Bestrafungsform abzuschaffen und die Hinrichtung von Angeklagten zu verbieten, die zum Zeitpunkt der Tat unter 18 Jahren waren.

Die Gesetzesänderungen unter König Salman ibn Abd al-Aziz sind Teil eines größeren Modernisierungsprojekts, das mit Salmans Vorgänger begann. Im Jahr 2007 kündigte der damalige König Abdullah eine Reihe von Justizreformen an. Sie sollten helfen, die Verschränkungen von Judikative und Exekutive zu entflechten. König Salman, der 2015 an die Macht kam, setzte das Reformprojekt fort.

"Wir sprechen hier von 13 Jahren schrittweiser, langsamer Rechtsreformen", sagt Bader al-Saif. Er arbeitet als Wissenschaftler für das Carnegie Middle East Center in Beirut und ist Professor für Geschichte an der Universität Kuwait.

Riad will Image aufbessern

Mit dem Ende der Auspeitschungen und der Todesstrafe für minderjährige Straftäter betritt Saudi-Arabien Neuland. Denn durch die Reformen mischt sich die Regierung in religiöse Angelegenheiten ein. Das war lange Zeit tabu.

Teilnehmer einer Mahnwache protestieren in Wien 2015 gegen die Auspeitschung des saudischen Bloggers Raif Badawi Bild: picture alliance/APA/picturedesk.com

"Saudi-Arabien gründet auf der Idee, den Monotheismus zu bewahren und Gottes Gesetz aufrechtzuerhalten", sagt Bader al-Saif. "Allerdings blieb dem politischen Establishment immer eine Möglichkeit erhalten, in religiöse Angelegenheiten einzugreifen." Dies liege an der Gründungsgeschichte Saudi-Arabiens.

Die Ursprünge des saudischen Staates gehen auf ein Abkommen aus dem 18. Jahrhundert zurück. Damals sicherte ein Vertrag das empfindliche Machtgleichgewicht zwischen der Saud-Dynastie und religiösen Funktionären des Wahhabismus, einer besonders traditionellen Auslegung des Islam.

"Was wir bei König Salman und seinem Sohn, Kronprinz Mohammed bin Salman, sehen, ist eine Umkehrung dieser Situation. Sie versuchen, Saudi-Arabien näher an internationale Standards heranzuführen", so al-Saif. "Die Strafrechtsreformen passen zu Saudi-Arabiens Ziel, sich der Welt zu öffnen, so wie es das Projekt 'Vision 2030' vorsieht", sagt al-Saif.

Hinter "Vision 2030" steckt das Vorhaben des Kronprinzen Mohammed bin Salman, das konservative Land zu reformieren und wirtschaftlich breiter aufzustellen. "Dazu gehört auch das längerfristige Vorhaben Riads, das Image Saudi-Arabiens aufzupolieren", erklärte Guido Steinberg von der Stiftung Wissenschaft und Politik gegenüber der DW. 

Reformen, aber nicht für alle

Riad sieht sich seit der Ermordung des saudi-arabischen Journalisten Jamal Khashoggi 2018 im saudischen Konsulat in Istanbul besonders heftiger internationaler Kritik ausgesetzt.

Nach Meinung von Menschenrechtsaktivisten sind die jüngsten Justizreformen bei weitem nicht ausreichend. Einige begrüßen zwar die Fortschritte, denn die brutalen Strafmaßnahmen in Saudi-Arabien werden seit langem heftig kritisiert. Doch andere fürchten, dass die Gesetzesänderungen Raum für Schlupflöcher offenlassen.

So sagte der im Exil lebende saudische Anwalt Taha al-Haji der DW, dass der königliche Erlass, der die Hinrichtung von Minderjährigen verbietet, nicht für verurteilte Terroristen gelten soll. Deshalb könnte die Todesstrafe immer noch gegen Minderjährige verhängt werden, die wegen politischer Straftaten angeklagt sind, sagte al-Haji. "In Saudi-Arabien ist Terrorismus ein sehr weit gefasster Begriff. Der Staat kann jeden Akteur, der sich seinen Entscheidungen widersetzt oder sie kritisiert, als Terroristen verfolgen", erklärt der Anwalt.

Die jüngsten Reformen treffen also im Kern die Forderungen, die Menschenrechtsorganisationen schon lange stellen - nämlich das Ende der grausamen Bestrafungsmethoden. Ob sie in der Praxis tatsächlich das Ende von Auspeitschungen und der Todesstrafe für Minderjährige bedeuten, bleibt weiter fraglich.

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