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PolitikNahost

Riads Image-Politur ohne Menschenrechte

Kersten Knipp | Cathrin Schaer
8. Dezember 2021

Unter Führung von Kronprinz Mohammed bin Salman arbeitet Saudi-Arabien an einem neuen, moderneren Image. Nicht zuletzt den Mord am Journalisten Jamal Khashoggi will Riad damit offenkundig vergessen machen.

Saoudi Arabien Prinz Mohammed bin Salman Al Saud
Umstrittener Kronprinz bin Salman: Reform und RepressionBild: BARNI Cristiano/ATP photo agency/picture alliance

Kurz vor dem Rückflug nach Paris zeigte der französische Präsident Emmanuel Macron sich zufrieden. Man habe über "alles gesprochen, und zwar ohne jedes Tabu". Natürlich habe man auch die Frage der Menschenrechte ansprechen können, berichtete er von seinem Gespräch mit dem saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman (MbS). "Das war ein direkter und hoffentlich wirkungsvoller Austausch. Die nächsten Wochen und Monate werden zeigen, ob wir bei dem Thema vorankommen", so Macron weiter.

Die Zufriedenheit teilen nicht alle. Teile der französischen Medien etwa zeigten sich mit Blick auf den Austausch verhalten. Durch die öffentliche Begegnung mit MbS habe Macron "die Schmach beseitigt, die den Kronprinzen bei jedem seiner Auftritte begleitete", schrieb etwa das Nachrichtenmagazin "L'Express". Gemeint war die mögliche Verstrickung des Prinzen in den Mordfall Jamal Khashoggi, einem regierungskritischen Journalisten, der 2018 mutmaßlich von saudischen Killern in Istanbul umgebracht worden war. "Von nun an können sich ausländische Staatschefs auf den französischen Präzedenzfall stützen, um ihre Verständigung mit dem saudischen Herrscher zu rechtfertigen."

Gesprächspartner Macron und bin Salman im Königspalast Alsalam: Dialog als politische Aufwertung?Bild: Saudi Press Agency/dpa/picture alliance

Macron hingegen erklärte, der Dialog mit Saudi-Arabien als größtem der arabischen Golfstaaten sei eine Notwendigkeit. Dort werde "die Zukunft der ganzen Region" entschieden.

Mehr Reformen, aber auch deutliche Zunahme politischer Repressionen

Der Missmut des Nachrichtenmagazins gründet vor allem auf der weiterhin sehr problematischen Menschenrechtssituation im saudischen Königreich. Zwar habe Saudi-Arabien seit 2017 einige bahnbrechende Sozial- und Frauenrechtsreformen eingeführt und kürzlich Reformen der Strafjustiz und der Arbeitsrechte angekündigt, sagt Hiba Zayadin, bei der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) für die Golfhalbinsel zuständig. "Doch es war zugleich die schlimmste Periode der Repression in der modernen Geschichte Saudi-Arabiens."

Die brutale Unterdrückung der Zivilgesellschaft und kritischen Stimmen mache den Erfolg der Reformbemühungen nahezu unmöglich, so Zayadin. "Solange die saudische Regierung kritische Bürger und Einwohner brutal bestraft, kann sie vorgeschlagene Reformen nicht glaubhaft als echte Bemühungen zur Verbesserung der Lebensbedingungen darstellen."

Ähnlich sieht es Ali Adubisi, Direktor der Menschenrechtsgruppe "European Saudi Organisation for Human Rights" (ESOHR) in Berlin. "Im laufenden Jahr verzeichnen wir eine schlechtere Menschenrechtsbilanz als im vorherigen", sagt Adubisi. So habe Saudi-Arabien im vergangenen Jahr 27 Hinrichtungen durchgeführt, im laufenden Jahr seien es bereits 65. "Unter den Hingerichteten befinden sich auch Minderjährige. Und weitere Minderjährige warten noch auf ihre Hinrichtung", so der saudische Exil-Menschenrechtler. 

"Bemerkenswertes Tauwetter"

Dessen ungeachtet tätigen europäische Unternehmen weiterhin umfassende Handelsgeschäfte mit dem Königreich, auch im Rüstungssektor. Allein im Jahr 2020 importierte Saudi-Arabien etwa französische Waffen im Wert von rund 700 Millionen Euro, berichtete das Nachrichtenmagazin "L'Express" anlässlich des Macron-Besuchs.

Motorsport statt Menschenrechte auf der Agenda: Formel-1- Rennen in Saudi-Arabien, Dezember 2021Bild: PanoramiC/imago images

Saudi-Arabien sei ein wichtiges Land in der Region und ein großer Ölexporteur, sagt dazu der Politikwissenschaftler Eckart Woertz, Direktor des Hamburger GIGA Instituts für Nahost-Studien. "Kein Land der Welt würde wegen eines Mordes in einem Konsulat, so schrecklich er auch sein mag, realpolitische Erwägungen über Bord werfen."

Eine Weile habe es so ausgesehen, als sei die westliche Staatenwelt entschlossen gewesen, die saudische Staatsspitze politisch zu isolieren. "Doch nun gibt es definitiv ein bemerkenswertes Tauwetter in den Beziehungen", so Woertz im DW-Gespräch.

Formel 1 und Justin Bieber

Dazu tragen offenbar auch attraktive Großveranstaltungen wie das Formel-1-Rennen vom vergangenen Wochenende in Dschidda bei - das erste seiner Art in dem Land überhaupt. Mit ihm wolle die Regierung des Königreichs vom Thema Menschenrechte ablenken, so das Urteil von Human Rights Watch wenige Tage vor dem Rennen. "Die saudische Regierung setzt alles daran, ihre ungeheuerlichen Menschenrechtsverletzungen unter öffentlichen Spektakeln und Sportveranstaltungen zu begraben", kommentierte Michael Page, stellvertretender Direktor für den Nahen Osten bei Human Rights Watch, auf der HRW-Internetseite.

Umweltfreundliche Megacity: Blick auf das Gebiet, auf dem Neom entstehen sollBild: NEOM/Cover Images/picture alliance

Tatsächlich präsentiert sich Mohammed Bin Salman bereits seit längerem als kultureller Reformer. Vor gut drei Jahren setzte er durch, dass Popkonzerte erlaubt sind. Damit verschaffte er dem Land - und zugleich auch sich selbst - das Image westlich geprägter Offenheit. Seitdem wird darüber diskutiert, inwiefern Popmusiker das Regime dabei unterstützen, die Menschenrechte vergessen zu lassen.

Zuletzt flammte diese Diskussion um den Sänger Justin Bieber auf, der im Kontext des Formel-1-Rennens ein Konzert in der Hafenstadt Dschidda gab. "Bitte, Justin Bieber, treten Sie nicht für das Regime auf, das meinen Verlobten tötete", schrieb Hatice Cengiz, die Partnerin von Jamal Khashoggi, einige Tage vor dem Konzert in einem Meinungsbeitrag für die Washington Post.

Im Schatten von Neom

Ein vielbeachtetes Zukunftsprojekt in Saudi-Arabien ist auch die Retortenstadt Neom im Nordwesten des Landes, unmittelbar am Golf von Akaba. Interessant für die globale Öffentlichkeit wird sie nicht zuletzt dadurch, dass sie ihre Energie ausschließlich aus Wind- und Sonnenkraft gewinnen soll. Die Stadt wäre damit ein ökologisches Vorzeigeprojekt.

Allerdings sei auch dieses Projekt in Teilen durch einen rigiden Umgang mit Bürgerrechten geprägt, sagt Menschenrechtler Ali Adubisi. "Dort werden Menschen, die auf den zum Bau der Stadt vorgesehenen Gebieten leben, dazu gezwungen, ihre Häuser zu verlassen. Anschließend werden diese Häuser zerstört, um Raum für Neubauten zu schaffen." Diese Art der Vertreibung von Menschen zugunsten moderner Prestigeobjekte werde nicht nur beim Bau von Neom praktiziert, sagt er. 

Kaum Druck von außen

Trotz aller Reformen und Modernitäts-Offensiven sei er mit Blick auf die Entwicklung der Menschenrechte wenig optimistisch, sagt Adubisi. Bis vor einiger Zeit hätten einzelne Bürger es noch gewagt, die Regierung öffentlich zu kritisieren. Inzwischen werde Kritik aber kaum mehr geäußert. "Die Menschen haben Angst. Einige derer, die vor einiger Zeit die Wirtschaftspolitik des Landes kritisierten, sitzen jetzt hinter Gittern. Das schüchtert natürlich viele Menschen ein."

Tatsächlich brauche es Druck von außen, meint Hiba Zayadin von Human Rights Watch. Das aber, deutet sie an, geschehe kaum. Stattessen erfahre Saudi-Arabien internationale Unterstützung, ohne sich für eigene Menschenrechtsverletzungen rechtfertigen zu müssen: "Wenn G20-Länder Saudi-Arabien die G20-Präsidentschaft übertragen, wenn die Formel 1 zustimmt, ihre Rennen in Dschidda auszutragen, wenn internationale Künstler, Prominente und Sportler staatliche Gelder annehmen, um an Veranstaltungen teilzunehmen, die von der saudischen Regierung aggressiv organisiert und finanziert werden, tragen sie zu Mohammed bin Salmans Bemühungen bei, die Missstände in seiner Regierung zu beschönigen und sein Image zu verbessern."

Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika
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