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Kunst

Globale Krisen aus der Sicht von Richard Mosse

26. März 2022

Wie hält man Krisen und Konflikte so fest, dass man ihrer Komplexität gerecht wird? Antworten darauf sucht Richard Mosse seinen Fotografien - bis Juli in der Kunsthalle Bremen zu sehen.

Lost Fun Zoneaus der Serie Infra von Richard Mosse
"Lost Fun Zone" zeigt das Flüchtlingscamp Kanyaruchinya in Nord-Kivu in DR Kongo, wo rund 60.000 Menschen lebtenBild: Courtesy of the artist/Jack Shainman Gallery/carlier | gebauer

Rosa-rote Bäume und ein violetter Himmel - so stellt man sich ein Flüchtlingslager klassischerweise nicht vor. Der irische Fotograf Richard Mosse hat die vergangenen 20 Jahre seines Lebens der kritischen Auseinandersetzung mit dem herkömmlichen Fotojournalismus gewidmet. Er experimentiert mit zeitgenössischer Konzeptkunst und versucht damit die Komplexität von humanitären und ökologischen Katastrophen weltweit greifbar zu machen. Mehr als 70 seiner Fotografien sowie eine Videoinstallation sind nun in der Kunsthalle Bremen ausgestellt.

Limitationen konventioneller Reportagefotografie

Im Alter von 21 Jahren reiste Richard Mosse nach Sarajevo in Bosnien und Herzegowina. Zu diesem Zeitpunkt waren die Wunden des Balkankriegs noch frisch. Das Kriegsende lag sieben Jahre zurück und doch blieben Tausende Soldaten vermisst. Der Fotograf wollte die Geschichten der zurückgebliebenen Familien und die Bemühungen der Wissenschaft, Soldaten zu identifizieren, festhalten. Zuerst ging er wie ein klassischer Fotojournalist vor und lichtete trauernde Angehörige ab. Mit der Zeit sah er seine Methode allerdings immer kritischer. Die Rhetorik der herkömmlichen Reportagefotografie kam ihm reduzierend vor. Daraufhin wendete er sich an die konzeptionelle Fotografie - an die Kunst.

So tauschte er seine klassische Nikon-Kamera - damals eine beliebte Wahl unter Fotojournalisten - gegen eine alte deutsche Kamera namens Linhof ein. Der altmodische Apparat, der ein sperriges Stativ und einen Umhang erforderte, zwang ihn ganz anders zu arbeiten. 

"Ich begann mich zu fragen, wie ich die Abwesenheit der Soldaten beispielsweise anhand der Architektur des Ortes zum Ausdruck bringen kann," sagte Mosse im DW-Gespräch. Er sei sich heute nicht sicher, ob sein Versuch damals erfolgreich war. Auf alle Fälle betrachtet Richard Mosse, Jahrgang 1980, dieses Projekt als den Wendepunkt seiner Karriere. Er habe eine Reihe an Fragen entwickelt, die bis heute als Grundlage für seine Arbeit diene.

Der kongolesische Soldat Madonna trägt ein kleines Mädchen auf der Straße in Süd-KivuBild: Art Collection Deutsche Börse/Courtesy of the artist/Jack Shainman Gallery/carlier | gebauer

Seitdem hat er verschiedene unkonventionelle Fotografie-Technologien angewandt, um weitere internationale Krisen und Konflikte abzubilden. Seine Projekte thematisieren unter anderem den Bürgerkrieg in der Demokratischen Republik Kongo, die europäische Flüchtlings- und Migrationspolitik sowie aktuell die Bedrohung der tropischen Regenwälder im Amazonasgebiet.

Das Medium geht dem Thema vor

Auf die Frage, nach welchen Kriterien Richard Mosse ein Thema aussucht, antwortete er: "Ich bin in erster Linie Fotograf. Das Medium selbst fasziniert mich. Ich bin von den verschiedenen Formen der Dokumentation fast besessen."

So entdeckt der Künstler zuerst eine neue Technologie, die ihn begeistert und überlegt sich im zweiten Schritt, welches Thema mit diesem Medium ausdrucks- und wirkungsvoll erzählt werden kann.

Richard Mosse experimentierte mit speziellen Kameras in DR Kongo, um Wunden des Bürgerkriegs akkurat nachzustellenBild: Abdu Namula

Die Dokumentarfilmemacherin Sophie Darlington, die unter anderem bei BBC Planet Earth arbeitet und die Arbeit von Mosse mitverfolgte, erkannte seine Faszination für Kameratechnologien und sprach ihn nach einer Ausstellungseröffnung an. "Sie sagte zu mir, 'Du kennst mich nicht, aber ich will dir von dieser Kamera erzählen.' Und so fing dann eines meiner größten Projekte an."

Sie stellte ihm Infrarot-Wärmebildkameras vor. Diese Apparate wurden für militärische Zwecke entwickelt und sind als Teil eines Waffensystems registriert. Sie werden unter anderem von Regierungen für die Überwachung und Verteidigung von Grenzen verwendet.

Spuren körperlicher Wärme

Darlington vermittelte Mosse den Kontakt zu einer Waffenfirma, die ihm eine solche Kamera zur Verfügung stellte. Trotz technischer Einführung und Lizenz konnte der Fotograf nicht sofort loslegen. Zuerst musste er einen Exportanwalt engagieren, um sich alle Papiere zu beschaffen, die er für das legale Reisen mit der Kamera benötigte. "Es war ein langwieriger, komplizierter Prozess", erzählte Mosse. Aber er sei für dieses kleine Detail dankbar, denn er bekam dadurch den Stress der europäischen Bürokratie, mit dem Flüchtlinge zu kämpfen haben, ein bisschen zu spüren.

Richard Mosse setzte die als Waffe eingestufte Wärmebildkamera an mehreren Standorten in Europa einBild: Richard Mosse

Ab 2014 setzte sich der Künstler einige Jahre lang intensiv mit den Folgen der Fluchtbewegungen in Europa, dem Nahen Osten und Nordafrika auseinander. Für seine "Heat Maps" setzte er die Wärmebildkamera aus weiter Entfernung und Höhe ein. So dokumentierte er die Architektur von Flüchtlingscamps, in denen Asylsuchende oftmals unter menschenunwürdigen Zuständen ausharren müssen.

Die Wärmebildkamera erfasst die Menschen lediglich als Spuren ihrer körperlichen Wärme. Der Blick der Kamera gibt die Gesichter wie schematische Formen wieder. Damit will der preisgekrönte Fotograf die entindividualisierende Haltung der beteiligten EU-Regierungen herausstellen und kritisieren. "Ich will die Kamera der versagenden EU-Migrationspolitik als Spiegel vorhalten", so Mosse.

Er sieht die Kamera selbst als Teil des Problems. Statt darin zu investieren, Flüchtlingslager auszubauen oder produktive Lösungen für die humanitäre Krise an den Grenzen zu finden, gäbe Europa viel Geld für solche Kameras aus. "Diese werden dann genutzt, um genau die Menschen fernzuhalten, die unsere Hilfe brauchen", so der Fotograf. Es sei ein Ausdruck der Idee von Europa als Festung.

Mit diesem Wärmebild sollen die Zuschauer mit der Entmenschlichung der Flüchtlinge seitens der EU konfrontiert werdenBild: Sammlung SVPL/Courtesy of the artist/Jack Shainman Gallery/carlier | gebauer

Die dringendste Krise: Tristes Tropiques

Alle seine Projekte hätten Richard Mosse bis ins Tiefste hinein gerührt. Eine Krise empfindet er allerdings als äußerst besorgniserregend: die ökologische Zerstörung im Amazonas. Durch Brandstiftung, illegale Abholzung und andere Umweltkriminalität wurden in den vergangenen Jahren weite Teile des weltgrößten Regenwaldes vernichtet wie noch nie zuvor. Damit schwindet der unersetzbare CO2-Speicher immer mehr dahin.

Diese menschengemachte Krise, die den Klimawandel beschleunigt, nimmt Mosse in sein aktuelles Projekt "Tristes Tropiques" in den Blick. Dafür beschäftigt er sich mit der Multispektral-Technologie. Diese wird eigentlich von der Wissenschaft benutzt, um Abholzung und andere ökologische Schäden zu lokalisieren. Die auf Satelliten angebrachten Kameras werden ebenso von der Agrar- und Montanindustrie verwendet, um Landschaften gezielter nutzen und den Gewinn maximieren zu können.

Genau diese Technologie setzt der Künstler nun ein, um die vielen Gesichter dieser komplexen Geschichte darzustellen. Die großformatigen, farbstarken Werke, die dabei entstehen, haben aus der Distanz eine geradezu abstrakte Wirkung, die an Farbfeldmalerei erinnert. Zugleich können die "Tristes Tropiques"-Fotografien als wissenschaftliche Karten gelesen werden, die in der Nahsicht eine Fülle an Informationen und erzählerischen Details offenbaren. 

Kontrastreiche Farben zeigen gesunde, kranke und tote Pflanzen ("Alumina Refinery" aus der Serie "Tristes Tropiques")Bild: Courtesy of the artist/Jack Shainman Gallery/carlier | gebauer

Die Ausstellung stellt die erste umfassende Werkschau des preisgekrönten Künstlers Richard Mosse in Deutschland dar. Die Selektion gibt einen breiten Überblick über seine zentralen Werkphasen und ist bis Ende Juli in der Kunsthalle Bremen zu sehen.

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