Der Komponist bearbeitete zeitlebens religiöse Stoffe
17. Juni 2013Richard Wagner war fraglos ein Multitalent. Als Dramatiker, Musiktheoretiker, Laienphilosoph Dichter, Schriftsteller, Theaterregisseur und als Dirigent hat er sich einen Namen gemacht. Doch gefeiert wird er in diesen Tagen vor allem als Komponist.
Multitalent Wagner
Wagner hat das Genre der Erlöseroper erfunden. In seiner dramatischen Musikdichtung setzte er vor allem auf Erlöserinnen. Da ist die Gottestocher Brünnhilde, die vielleicht größte und aussichtsloseste seiner Erlöserinnen. Denn noch der „Ring des Nibelungen“ – Gesamtdauer: 16 Stunden - ist ein Erlösungswerk, wenn auch versehen mit der Auskunft, dass die Heilung der Welt vorerst nicht möglich ist, wahrscheinlich nie. Nichts wirkt wunderbar schmerzlicher als der Schluss der „Götterdämmerung“: ein Funken Hoffnung scheint auf, kaum zu trennen von ihrem Widerruf. Ein Doppelaffekt.
Erfinder der Erlöseroper
Mit dem „Fliegenden Holländer“ beginnend, hören wir bei Wagner die Gebrochenheit der Existenz. Wenn man religiöse und nichtreligiöse Musik unterscheiden wollte – nicht ihren Gegenständen, sondern ihrem Grundgestus nach – so zählt Wagner, seltsam unbemerkt bis heute, ohne Zweifel zur religiösen Kunst.
Ausfahrt und Heimkehr sind vielleicht die zwei Grundgesten der Musik, immer dann, wenn sie mehr ist als Rhythmisierung des Daseins. Nichts steht bei Wagner so sehr für diese Ausfahrt wie die Gestalt Siegfrieds im "Ring", sein heller Hornruf markiert die Unschuld des Werdens. (Die Überwindung der Götter und die Selbstermächtigung des Menschen) Doch ist die Figur – was der Zuhörer weiß, nicht aber Siegfried selbst – zum Scheitern verurteilt. Auch dieses Scheitern ist eine Form der religio, der Rückbindung an die Ursprünge.
Wagner hat für Gott den Herrn keine Töne, umso mehr aber für das, was man „das Reich der Mütter“ nennen kann. Es ist ein Zurücksehnen nach der verlorenen Schoßgewissheit: Das Motiv der Erda, der schon entmachteten Urgöttin im „Ring“ erkennen wir in der noch unverletzten Natur, freilich nach Moll eingefärbt.
Religiöse Kunst
Zur Biographie eines Musikers gehören auch seine nie geschriebenen Opern. In Wagners Bewusstsein blieben sie gegenwärtig. Ausgerechnet während der Dresdner Revolution fasste er den Plan zu der Oper „Jesus von Nazareth“, in der Jesus zum Sozialrevolutionär geworden wäre, zum Volksbefreier. Zu seinen nie geschriebenen Musikdramen zählen auch „Luthers Hochzeit“ und vor allem „Die Sieger“. Sie wären Richard Wagners buddhistisches Glaubensbekenntnis geworden.
Wagners Musik wollte die Ich-Fixierung des bürgerlichen Zeitalters auflösen. Im „Parsifal“ wird es dann hörbar. Die buddhistische Liebesreligion des Mitleids ist der zweite Bürge des „Parsifal“. Man könnte sagen, er habe sie durch die Philosophie Arthur Schopenhauers entdeckt. Wenn Richard Wagner es nicht genauer gewusst hätte: Er entdeckte sie in sich selbst.
Richard Wagner hat lebenslang religiöse Stoffe bearbeitet. Doch wo die Religion äußerlich, künstlich wird, wo sie gar mythische Symbole, Allegorien wörtlich nimmt, dort wird die Kunst für ihn zur Erbin der Religion. Sie bewahrt ihre Motive. Noch in „Kunst und Religion“ von 1880 spricht Wagner von den mannigfachen vom „Glauben empfohlenen Unglaublichkeiten“, die Gott nur verdecken.
Parsifal als Abschiedswerk
So klingt keiner, der zum Christentum zurückgekrochen ist, zurück unters Kreuz, wie Friedrich Nietzsche diagnostizierte. Nietzsche, eine zunehmende akute Gottesunverträglichkeit entwickelnd, gilt bis heute als Kronzeuge gegen den „Parsifal“. Eine Abendmahlsfeier in der Mitte des Werks: das war nicht nur strenggläubigen Christen, das war vor allem dem Autor des „Antichrist“ zu viel.
Denn Richard Wagner trug den „Parsifal“ schon mit sich, als der künftige „Antichrist“ noch ein Kind war: Es ist die Geschichte vom reinen Toren – „parsi“ heißt persisch der Einfältige, „fal“ meint „rein“ - , der sich durch das Mitleiden läutert. Es ist das Lied von der Einheit der Schöpfung - eine geradezu ökumenische Oper!
Sein „Weltabschiedswerk“, hat Wagner den „Parsifal“ genannt. Der Gekreuzigte, der mit diesem Werk die Weltbühne verlässt, aber ist nicht Jesus. Es ist Wagner selbst.
Von der Autorin erschienen „Nietzsche und Wagner. Geschichte einer Hassliebe„ im Propyläen Verlag (Herbst 2012) und soeben „Richard Wagner. Mit den Augen seiner Hunde betrachtet“ im Berenberg Verlag.