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Richter sollen Deutschland zum Schutz des Klimas zwingen

23. September 2024

Deutsche Umweltgruppen wollen mit einer Massenklage die Regierung von Olaf Scholz zum Klimaschutz verpflichten. Die obersten deutschen Richter über den Klimaschutz urteilen zu lassen, war schon einmal erfolgreich.

Vor dem Kanzleramt in Berlin sitzen und stehen mehrere hundert Menschen, die wegen der ihrer Meinung nach schlechten Klimapolitik der Regierung Klage beim Bundesverfassungsgericht einreichen wollen
Zehn Wochen lang sammelten Greenpeace und Germanwatch Unterschriften für eine Klima-Beschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht, hier vor dem Kanzleramt in Berlin im AugustBild: Paul Zinken/dpa/picture alliance

Der Klimaschutz war zuletzt in Deutschland wieder in aller Munde - das Hochwasser in Polen, Tschechien, Österreich und Deutschland brachte den Anstieg der Erderwärmung wieder in die Schlagzeilen. Zuvor waren diese wesentlich von Debatten über Rechtspopulismus und Migration bestimmt. Der Kampf gegen die Erderwärmung war zwar stets präsent, aber länger nicht als Top-Thema. Das könnte sich vielleicht bald ändern - auch wenn das Hochwasser wieder verschwunden ist.

Massenklage von 54.000 Menschen

Denn zwei der großen deutschen Umweltverbände - Greenpeace und Germanwatch – haben jetzt Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe eingereicht. Im Namen von über 54 000 Klägern. Auch drei weitere Umweltgruppen gehen den gleichen Weg, unter anderem der "Bund für Umwelt - und Naturschutz Deutschland" (BUND).

Das Ziel der Klagen: Die Bundesregierung soll ihre Klimapolitik verschärfen und ehrgeizigere Ziele formulieren. Denn sonst, so Kai Bergmann von Germanwatch im Gespräch mit der DW, drohten hohe Strafen von Seiten der EU, spätestens in rund sechs Jahren: "Nach europäischem Recht verfehlen wir unsere Ziele bis 2030, und das wird dann richtig teuer. Das kann bis zu zweistelligen Milliarden-Beträgen führen, wenn Deutschland seine Ziele nicht erfüllt."

Bringt das Bundesverfassungsgericht demnächst Schwung in die deutsche Klimapolitik?Bild: Uli Deck/dpa/picture alliance

Im Kern der Klage: das neue Klimaschutzgesetz   

Kern der Klage ist das neue Klimaschutzgesetz, das im Sommer nach einigen Mühen im Bundestag und Bundesrat beschlossen wurde. Es sieht vor, dass die klimarelevanten Sektoren wie der Verkehr, die Industrie oder die Gebäude nicht mehr wie bislang eigene Klimaziele beachten und erfüllen müssen. Stattdessen wird der Ausstoß von Treibhausgasen in allen Bereichen gemessen, dann werden Gegenmaßnahmen ergriffen. Für die Umweltgruppen entlastet das vor allem notorisch klimafeindliche Bereiche wie den Verkehr, der traditionell in Deutschland viele Klimagase ausstößt.

Nach Ansicht von Kai Bergmann hat das im Autofahrer-Land Deutschland fast historische Gründe: "Ich weiß noch, dass es einmal einen Verkehrsminister gab, der sagte, jeder Deutsche müsse das Recht haben, in einer Entfernung von zwei Kilometern eine Autobahnauffahrt vorzufinden. Aber der stetige Ausbau von Bundes- und Fernstraßen hat dazu geführt, dass die schon bestehende Infrastruktur zerbröckelt.  Siehe aktuell die Carolabrücke in Dresden." Notwendig sei endlich eine Verkehrswende mit mehr Verkehr auf der Schiene, mit mehr öffentlichem Nahverkehr, so Bergmann.

Umweltgruppen waren schon einmal vor dem Verfassungsgericht erfolgreich

Sich an das Bundesverfassungsgericht zu wenden, so glauben die Umweltaktivisten, könne helfen. Denn in einem  spektakulären Urteil hatte das oberste deutsche Gericht im März 2021 entschieden : Der Klimaschutz muss von den Politikern so intensiv betrieben werden, dass er  künftige Generationen nicht in ihren Rechten einschränkt. Auch damals traten die Umweltgruppen als am Ende erfolgreiche Kläger auf. Als Reaktion darauf verschärfte die damalige große Koalition von CDU, CSU und SPD das Klimagesetz. Und führte die Verantwortung der einzelnen Sektoren ein. Sicher auch, um das brisante Thema vor den Wahlkampf zur Bundestagswahl im September 2021 abzuräumen. Die jetzige Regierung von SPD, Grünen und FDP habe dann, so meinen die Umweltverbände, die Bestimmungen wieder abgeschwächt. Karlsruhe, hofft Martin Kaiser, Klimaexperte der Umweltorganisation Greenpeace, werde dem Klimaschutz auch jetzt wieder helfen.

Kaiser sagt der DW: "Die Forderungen der Verfassungsbeschwerde basieren auf wissenschaftlichen Daten, die den Richterinnen und Richtern aus ihrem Grundsatzurteil 2021 bekannt sind. Sie werden die Klage entsprechend prüfen. Sollte die Klage angenommen und verhandelt werden, wäre dies ein entscheidender Schritt, um die dringend notwendigen und wirksamen Sofortmaßnahmen als Investition in die Sicherheit und das Wohlergehen unserer Kinder und Enkel darzulegen."

Die Klimaschutzbewegung hunderttausender junger Menschen, wie hier in Berlin im Juni 2020, ist mittlerweile erlahmtBild: Stefan Bonnes/IPON/imago images

Den Elan junger Klimaaktivisten wieder beleben

Beginnend mit dem Jahr 2019, waren weltweit hunderttausende vor allem junger Menschen dem Schulstreik der jungen Schwedin Greta Thunberg  gefolgt und waren für den Klimaschutz auf die Straße gegangen. Auch in Deutschland. Der Elan von damals ist aber weitgehend verblasst; auch um ihn wieder zu beleben, gehen die Umweltgruppen nun erneut zum obersten deutschen Gericht.

Kai Bergmann sagt der DW: "Wir merken, dass viele Jugendliche, für deren Rechte wir hier streiten, erschöpft sind. Und denen wollten wir eine Art Strohhalm geben: Wir - Greenpeace und Germanwatch - haben auf unseren Online-Seiten geschrieben: Wenn wir vor das Bundesverfassungsgericht gehen, dann gebt uns Vollmachten, das auch in eurem Sinne zu tun. Und so sind innerhalb von zehn Wochen rund 54000 Menschen zusammengekommen."

Und Martin Kaiser glaubt sowieso nicht, dass sich die Klimaerwärmung immer weiter ignorieren lässt: "Die verheerenden Wetterextreme mit Toten und Verletzten, wie sie derzeit in Österreich, Tschechien und Polen zuschlagen , zeigen: Wir sind inmitten der Klimakrise. In dieser Zeit CO2 völlig unzureichend zu reduzieren, gefährdet unsere Sicherheit, weshalb wir die Bundesregierung auf juristischem Weg zum Handeln bewegen wollen."

Wunsch und Realität der deutschen Klimaziele

Auf dem Papier sind Deutschlands Klimaziele vorzeigbar: Bis 2030 sollen 65 Prozent der Klimagase (auf dem Stand von 1990) eingespart sein, bis 2040 sogar 88 Prozent. Bis 2045 will das Land klimaneutral sein.

Aber die Praxis sieht anders aus: Bis Ende 2023 waren nach Angaben der Fachbehörde Umweltbundesamt rund 42 Prozent etwa an Kohlenstoffdioxid (CO2) in Deutschland seit 1990 eingespart, schwer vorstellbar, wie in den wenigen Jahren bis 2030 noch einmal 23 Prozent an Minderung erreicht werden können. Zumal 2022 und 2023, auch als Folge der Energiekrise nach dem russischen Angriff auf die Ukraine, der Ausstoß von Treibhausgasen in Deutschland sogar leicht anstieg. Wann sich das Bundesverfassungsgericht mit den Beschwerden der Umweltgruppen befasst, steht noch nicht fest.

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