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Richterwahl im Bundestag: Mehrheit für neue SPD-Kandidatin

25. September 2025

Eine Krise der Bundesregierung aus Union und SPD ist abgewendet: Alle drei nominierten Kandidaten für das Verfassungsgericht sind am Donnerstag im Bundestag gewählt worden.

Jens Spahn (CDU, Mitte), CDU/CSU-Fraktionsvorsitzender im Bundestag, applaudiert neben Steffen Bilger (Mitte rechts) und Britta Haßelmann (Grüne, unten links)
Applaus im Bundestag nach der erfolgreichen Wahl (25.09.2025)Bild: Michael Kappeler/dpa/picture alliance

Wäre das schief gegangen - die Folgen für die Koalition und Bundeskanzler Friedrich Merz wären wohl verheerend gewesen. Im zweiten Anlauf hat es geklappt: Der Bundestag hat am Donnerstag zwei Frauen und einen Mann zu neuen Richtern am Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe (Baden-Württemberg) gewählt. Ann-Katrin Kaufhold, Sigrid Emmenegger und Günter Spinner erhielten die dafür notwendige Zwei-Drittel-Mehrheit des Parlaments.

Das Trio war von den regierenden Unionsparteien (CDU/CSU) und Sozialdemokraten (SPD) nominiert worden. Weil die von Friedrich Merz (CDU) angeführte Koalition lediglich über 52 Prozent der Stimmen verfügt, waren ihre Kandidatinnen und Kandidaten auch auf Unterstützung aus der Opposition angewiesen. Dass es jetzt geklappt hat, werten Beobachter als wichtiges Signal, dass die deutsche Bundesregierung handlungsfähig ist.

Die Wahl sollte schon am 11. Juli stattfinden

Normalerweise sind solche Wahlen Routine-Vorgänge, von denen eine breitere Öffentlichkeit kaum Kenntnis nimmt. Lediglich in Fachkreisen, allen voran juristischen, ist das Interesse größer. Doch dieses Mal geriet Deutschlands höchstes Gericht zum Spielball der Politik. Die am 11. Juli erstmals auf der Tagesordnung des Bundestags stehende Abstimmung wurde während der laufenden Plenarsitzung abgesetzt. 

Frauke Brosius-Gersdorf verzichtete nach einer gegen sie gerichteten Kampagne auf eine erneute Kandidatur für das Bundesverfassungsgericht Bild: Britta Pedersen/dpa/picture alliance

Was war geschehen? Die ursprünglich von der SPD vorgeschlagene Kandidatin Frauke Brosius-Gersdorf musste damit rechnen in den Reihen der CDU/CSU teilweise auf Ablehnung zu stoßen - also beim eigenen Koalitionspartner. Dass sich einer der Koalitionspartner gerade mal wenige Wochen nach Bildung der Bundesregierung bereits unkooperativ zeigt - für viele Beobachter war das ein Zeichen, dass es in der Koalition schon jetzt kriselt. Doch zahlreiche Konservative ließen kurz vor der geplanten Wahl durchblicken, der Professorin von der Universität Potsdam (Brandenburg) ihre Stimme zu verweigern. Die Rechtsaußen-Partei Alternative für Deutschland (AfD) hatte die Juristin schon kurz nach ihrer Nominierung angefeindet.        

Kampagne gegen Frauke Brosius-Gersdorf 

Im Mittelpunkt stand ihre liberale Haltung zu Schwangerschaftsabbrüchen. Vor allem dafür wurde Brosius-Gersdorf in den sozialen Medien attackiert und diffamiert, auch mit Falschbehauptungen. So hieß es fälschlicherweise, Brosius-Gersdorf wäre dafür, Abtreibungen bis in den neunten Monat der Schwangerschaft zu erlauben. Aber auch ihre Unterstützung für eine Impfpflicht während der Corona-Pandemie und eines AfD-Verbotsverfahrens spielten bei der teils heftigen Kritik eine Rolle.

In Analysen über den Umgang mit der potenziellen Verfassungsrichterin war anschließend von einer gezielten Kampagne die Rede. Die gescheiterte Wahl hatte das Regierungsbündnis zwei Monate nach seinem Amtsantritt im Mai in eine schwere Krise geführt. Der SPD-Fraktionsvorsitzende Matthias Miersch warf dem Koalitionspartner CDU/CSU die "bewusste Demontage unseres höchsten deutschen Gerichts und unserer demokratischen Institutionen" vor.

Erneuter Koalitions-Krach abgewendet

An Frauke Brosius-Gersdorf wollte er festhalten, aber die diskreditierte Kandidatin verzichtete Anfang August unter dem hohen Druck auf einen erneuten Versuch. Die anschließend von der SPD nominierte Sigrid Emmenegger wurde jetzt schließlich gewählt. Damit endet ihre 2021 begonnene Tätigkeit am Bundesverwaltungsgericht in Leipzig (Sachsen). Den neuen Arbeitsplatz am Bundesverfassungsgericht kennt Emmenegger bereits, denn sie war dort von 2009 bis 2013 wissenschaftliche Mitarbeiterin. 

Die von der SPD nominierte Juristin Sigrid Emmenegger wurde am 25. September vom Bundestag zur Richterin am Bundesverfassungsgericht gewählt. Bild: Justizministerium RLP/dpa/picture alliance

Innerhalb der Bundesregierung und der sie stützenden Fraktionen im Parlament ist man erleichtert, dass die Wahl der drei neuen Verfassungsrichterinnen und Richter von insgesamt 16 am Ende reibungslos über die Bühne gegangen ist. "Es ist eine große Erleichterung, dass es so gut geklappt hat", sagte Unions-Parlamentsgeschäftsführer Steffen Bilger (CDU) nach der Abstimmung im TV-Sender Welt. Die stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Sonja Eichwede sagte: "Uns als
SPD-Bundestagsfraktion war dabei wichtig, zwei hochqualifizierte progressive Frauen zu nominieren, damit unser höchstes Gericht wieder paritätisch besetzt ist."

Die Amtszeit der Richter beträgt maximal zwölf Jahre, in denen sie über die Einhaltung des Grundgesetzes wachen. So heißt in Deutschland die Verfassung.

Das Verfassungsgericht: Eckpfeiler der Demokratie

Das wichtigste deutsche Gericht gehört zu den fünf Staatsorganen Deutschlands. Außerdem gibt es das Parlament (Bundestag), die Länderkammer (Bundesrat), den Bundespräsidenten und die Bundesregierung. Gemeinsam bilden sie die Eckpfeiler der Demokratie, die auf Gewaltenteilung basiert. Die freiheitlich-demokratische Grundordnung verfügt dabei über ein stabiles Fundament, denn Verfassungsänderungen sind nur mit einer Zweit-Drittel-Mehrheit des Parlaments möglich.

In diesem Gebäude-Komplex in Karlsruhe wacht das Bundesverfassungsgericht über die Einhaltung des Grundgesetzes Bild: Udo Herrmann/CHROMORANGE/picture alliance

Dass dieses Quorum auch bei der Wahl von Richterinnen und Richtern für das Bundesverfassungsgericht gilt, spiegelt den Stellenwert dieser Institution wider: Sie soll wie das Grundgesetz davor geschützt werden, durch einfache Mehrheiten politisch instrumentalisiert werden zu können. Dafür wären schon 50 Prozent plus eine Stimme ausreichend.

Richterinnen und Richter müssen konsensfähig sein

So aber müssen sich Regierung und Opposition vor geplanten Änderungen des Grundgesetzes oder Wahlen von Verfassungsrichtern über Inhalte und Personen abstimmen. Dadurch soll ein möglichst breiter parlamentarischer, aber auch gesellschaftlicher Konsens zum Ausdruck gebracht werden. An dieser Aufgabe ist der Bundestag bei der kurzfristig abgesetzten Richterwahl im Juli gescheitert.

Im zweiten Anlauf hat es geklappt, weil sich die Regierungsparteien dieses Mal besser abgesprochen haben. Aber ihre Kandidatinnen und Kandidaten waren weiterhin auf Stimmen aus der Opposition angewiesen, um die notwendige Zwei-Drittel-Mehrheit zu erreichen, eine eigene Zwei-Drittel-Mehrheit haben Union und SPD nicht. Dazu haben Grüne und Linke mutmaßlich stärker beigetragen als die AfD. Wissen kann man es nicht, denn die Wahl war geheim.    

 

Marcel Fürstenau Autor und Reporter für Politik & Zeitgeschichte - Schwerpunkt: Deutschland