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Politik

Richtung Jamaika, in Millimeter-Schritten

Richard A. Fuchs
20. Oktober 2017

Wird aus vier wirklich eins? Nach der ersten Sondierung von Union, FDP und Grünen ist eine Regierung noch nicht in Sicht. Beim Dialog der ungleichen Jamaika-Partner zeigt sich: Alle bekunden, guten Willens zu sein.

Deutschland Jamaika-Koalition Sondierungsgespräche
Bild: Getty Images/AFP/O. Andersen

Knapp fünf Stunden dauerte es, das erste Gespräch in der großen Runde. Bis in den späten Freitagabend hinein loteten die Delegationen von CDU, CSU, FDP und Grünen aus, ob Deutschlands nächste Regierungskoalition vielleicht die Farben eines sogenannten Jamaika-Bündnisses tragen könnte. Ort des Geschehens war der Kaisersaal im Haus der Parlamentarischen Gesellschaft – ein Prunkbau nur wenige Schritte vom Reichstag entfernt.

Konstruktiv, aber ohne Ergebnisse

"Offen, konstruktiv und konzentriert" sei der Abend verlaufen, hieß es aus Teilnehmerkreisen nach dem Gespräch. Ergebnisse waren nicht zu erwarten. Es habe Themen gegeben, wo ein großer Konsens zu spüren gewesen sei, etwa bei der Entwicklungspolitik, sagte CDU-Generalsekretär Peter Tauber. Insbesondere in Sicherheitsfragen lägen die Positionen aber noch weit voneinander entfernt, so Tauber weiter. FDP-Generalsekretärin Nicola Beer berichtete, es hätten sich durchaus Schnittmengen gezeigt. Dennoch sei man auf dem Weg nach Jamaika noch nicht vorangekommen. Die Grünen machten dagegen in der Sondierungsrunde erste Fortschritte aus. Der Austausch sei eine "Generaldebatte" gewesen "mit einigen Geistesblitzen, mit ein paar dunklen Wolken, aber der Donner ist ausgeblieben", sagte Bundesgeschäftsführer Michael Kellner.

Es war die erste Runde, an der alle vier Parteien gemeinsam teilgenommen haben. In den Tagen zuvor hatten sich die Parteien in kleineren Runden getroffen, vor allem um die Gesprächsatmosphäre zu verbessern. Schließlich gelten die Grünen bislang als politischer Lieblingsfeind der bayrischen CSU, weil sie für Verbote von Verbrennungsmotoren kämpfen. Und auch die beiden kleinen Parteien, Liberale und Grüne, stehen sich bislang nicht nur in Sachen Klima- und Energiepolitik unversöhnlich gegenüber.  Zwölf Themenblöcke – und viel Streitpotential

Angela Merkel (CDU) und CSU-Chef Host Seehofer überbieten sich an diesem Abend mit Zuversichts-Bekundungen. "Ich bin zuversichtlich", sagt Seehofer. "Ich auch", antwortet Merkel. Bild: Reuters/A. Schmidt

Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte kurz nach 16.30 Uhr die Aussprache eröffnet. Dann saßen sich 52 Teilnehmer am Verhandlungstisch gegenüber. Merkel zeigte sich vor dem Gespräch demonstrativ zuversichtlich: Sie sei bereit, "kreativ nachzudenken", um Differenzen zu überwinden. Und auch CSU-Chef Horst Seehofer gab sich ungewohnt konziliant, sprach sogar von zügigen Verhandlungen, die möglich seien. "Sorgfalt und Zügigkeit schließen sich nicht aus", so Seehofer.

Doch zu besprechen gab es viel: Die vier Parteien hatten sich darauf verständigt, zwölf Themenblöcke zu beackern. Pro Themenpaket wurden knapp 20 Minuten reserviert, in denen die wichtigsten Positionen ausgetauscht wurden. Besonders gefordert war an diesem Abend also konzentriertes Zuhören. Angesprochen wurde, was eine künftige Regierung regeln muss. Finanzen, Haushalt und Steuern, ebenso wie Europa, Asyl, Klima, Rente und noch viele Themen mehr. An Diskussion und Kontroverse war angesichts des straffen Zeitplans nicht zu denken. Das dürfte allerdings auch politisches Kalkül gewesen sein. Schließlich sollten sich die möglichen Koalitionäre nicht gleich zu Beginn in den Haaren liegen.

Er tritt forsch und fordernd auf: FDP-Spitzenmann Christian LindnerBild: Reuters/A. Schmidt

Merkel verhandelt über Jamaika und ihre politische Zukunft

Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte wenige Stunden zuvor in Brüssel die Ergebnisse des EU-Gipfels vor der Presse kommentiert. Brexit, Türkei, Asylpolitik: Beinahe alles, was auf europäischer Ebene derzeit besprochen wird, braucht aber eine handlungsfähige Regierung in Deutschland. Auch deshalb richteten sich die Augen vieler EU-Partner an diesem Abend nach Berlin. Wird es Merkel gelingen, nach der herben Wahlniederlage ein Jamaika-Quartett auf einen gemeinsamen Kurs einzuschwören?

Wie schwierig das werden könnte, machten auch Sprachspiele des FDP-Spitzenmanns Christian Lindner deutlich. Der kokettierte erneut damit, dass seine Liberalen nicht um jeden Preis in eine Regierung müssten. Das Jamaika-Quartett könnte ein "vierblättriges Kleeblatt", also ein Glücksfall für Deutschland werden, so Lindner. Aber wie jeder wisse, gebe es ein solches vierblättriges Kleeblatt eben sehr selten. Grünen-Fraktionsvorsitzende Katrin Göring-Eckardt hielt fest, das Jamaika-Experiment könne nur dann erfolgreich sein, "wenn es eine Koalition nicht nur für Globalisierungsgewinner" werde.

Sorgsames Zuhören – oder "elend langsames Geplänkel"?

Noch scheint also die Zeit des Taktierens und Abwartens. Aber, nach diesem Gespräch ist vor dem nächsten. Bereits am kommenden Dienstag soll es weitergehen. Dann wollen die möglichen Jamaika-Partner über die Schwerpunktthemen Haushalt, Steuern, Finanzen und Europa sprechen, kündigte CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer an. Danach komme Klima, Umwelt, Energie, Bildung, Forschung, Digitales sowie das "große Thema" Flucht, Migration und Integration.  

Wie "ernsthaft" es alle vier Parteien angehen wollen, das sollte die Ankündigung weiterer Termine dokumentieren. Nebst dem kommenden Dienstag wurden vier Folgetermine angesetzt. Das Signal: Aus dem ersten Kennenlernen wird jetzt ein Verhandlungsmarathon, der bis in den November hineinreicht. Oder wie CDU-Generalsekretär Peter Tauber es formulierte: Es gehe jetzt darum, "ernsthaft und konzentriert" Schnittmengen zu suchen und zu finden. Es gehe nicht darum, dass jeder Mal "den besten Jamaika-Witz" mache.

Knapp fünf Stunden dauerte das erste Gespräch im Jamaika-Format.Bild: Getty Images/AFP/O. Andersen

Die stellvertretende CDU-Vorsitzende Julia Klöckner geht davon aus, dass bis zum 17. oder 18. November ein erstes Sondierungspapier auf dem Tisch liegen kann. Darin könnten sich dann erste Ergebnisse finden, auf die sich alle vier Parteien verständigen können. Auf dieser Basis solle die jeweilige Parteibasis entscheiden können, ob offizielle Koalitionsverhandlungen angegangen werden.

Dietmar Bartsch, Fraktionschef der aktuellen und künftigen Oppositionspartei Die Linke, war mit Blick auf die Sondierungsgespräche nicht zu Späßen aufgelegt. Er bezeichnete das sorgsame Abtasten der Jamaika-Kandidaten als "elend langsames Geplänkel". Das sei "unverantwortlich", weil Deutschland dringend eine handlungsfähige Regierung brauche.

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