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PolitikSlowakei

Richtungswahl in der Slowakei - Ost oder West?

Lubos Palata aus Bratislava
5. April 2024

Wer neuer Präsident der Slowakei wird, entscheidet sich an diesem Wochenende in einer Stichwahl: der prowestliche Ivan Korcok oder der Kandidat der prorussischen Regierung Peter Pellegrini?

Eine Menschenmenge steht vor einer aufgebauten Bühne auf dem Platz des Slowakischen Nationalaufstands in Bratislava. Im Publikum sind slowakische Fahnen und EU-Flaggen zu sehen.
Letzter Auftritt vor der Stichwahl: Der Wahlfavorit Ivan Korcok am 03.04.2024 in BratislavaBild: Luboš Palata/DW

Der Platz des Slowakischen Nationalaufstands in Bratislava ist ein Ort, an dem sich die Menschen versammeln, wenn in der Slowakei etwas Wichtiges geschieht. Hierher kamen die Demonstranten gegen das kommunistische Regime in der Tschechoslowakei während der Samtenen Revolution im November 1989. Hier wurde in den ersten Stunden des Jahres 1993 nach dem friedlichen Auseinanderbrechen der Tschechoslowakei die Gründung der unabhängigen Slowakei gefeiert - und im Jahr 2002 der Weltmeistertitel im Eishockey.

Auch am Mittwochabend (03.04.2024) war der Platz wieder gut gefüllt. Die zahlreichen Bürgerinnen und Bürger wollten sich die letzte Wahlkampfveranstaltung von Ivan Korcok nicht entgehen lassen. Der ehemalige Außenminister und Spitzendiplomat war am 23. März als Überraschungssieger aus der ersten Runde der Präsidentschaftswahl hervorgegangen. "Korcok ist für mich die Hoffnung, dass die Slowakei ein demokratisches westliches Land bleibt", sagt ein etwa 50-jähriger Mann, der mit einem Arbeitskollegen zu der Veranstaltung gekommen ist.

Der Favorit bei der Stichwahl um das Präsidentenamt Ivan Korcok (mit Brille in der Mitte) verlässt die Wahlveranstaltung in BratislavaBild: Luboš Palata/DW

Die Stimmung auf dem Platz ist optimistisch. Die letzten Umfragen vor der Stichwahl zeigen, dass Korcok gute Chancen hat, am Samstag (06.04.2024) zu gewinnen und den Kandidaten des Regierungslagers, Parlamentspräsident Peter Pellegrini, zu besiegen.

"Jeder von Ihnen muss vor den Wahlen mit den Menschen sprechen, die nicht wählen oder nicht für mich stimmen wollen, und sie überzeugen. Jede Stimme wird gebraucht", appelliert Korcok vom Podium aus an das Publikum. Er ist umgeben von Schauspielern, Sängern und anderen Persönlichkeiten des gesellschaftlichen Lebens. "Ich verspreche, dass ich weiterhin unabhängig bleibe, dass ich die Interessen von Euch Bürgern verteidigen werde und dass ich nicht zulassen werde, dass dieses Land in Richtung Osten getrieben wir", verspricht der Kandidat. Mit seiner prowestlichen Orientierung errang Korcok in der ersten Runde 42,5 Prozent der Stimmen und lag damit unerwartet mehr als fünf Prozentpunkte vor Pellegrini.

Pellegrini und Fico vertreten die prorussischen Kräfte

Der drittplatzierte Kandidat, der ehemalige Präsident des Obersten Gerichtshofs Stefan Harabin, erhielt 12 Prozent der Stimmen. Er trat mit dem Versprechen an, aus der NATO und der EU auszutreten und die Hilfe für die "faschistische Ukraine" einzustellen. "Meine erste Auslandsreise geht nach Russland", hatte er angekündigt.

Auch die Regierung unter Ministerpräsident Robert Fico ist prorussisch eingestellt. Sie hat ihr Amt vor fünf Monaten angetreten und weigert sich, Waffen aus Militärlagern an die Ukraine zu liefern. Gleichzeitig haben jedoch halbstaatliche slowakische Waffenfabriken in den vergangenen sechs Monaten Waffen im Wert von einer halben Milliarde Euro hergestellt und an die Ukraine verkauft. "Russland ist der Aggressor. Ich möchte der Ukraine helfen. Ich will nicht, dass die Ukraine kapituliert", stellte Fico in einem Interview mit dem Nachrichtenportal Denik.cz klar.

Die Regierungsmehrheit im Parlament ist knapp und der Erfolg Pellegrinis bei der Stichwahl hängt daher auch von Harabins Wählern ab. Deshalb versucht Pellegrini, diese zu umwerben. "Ich werde niemals einen slowakischen Soldaten in den Kampf in die Ukraine schicken", bekräftigte er in seinem letzten Wahlduell am Mittwoch im slowakischen Fernsehen. Korcok konterte: "Harabin fordert den Austritt aus der EU und der NATO, die er eine kriminelle Organisation nennt. Und Sie sind nicht in der Lage, ihm ein klares Nein entgegenzusetzen, weil Sie um seine Unterstützung werben. Das macht mir Angst."

Verschwörungsmythen und Desinformation

Zu Besuch im Bergdorf Kraliky in der Nähe von Banska Bystrica. Hier kaufen sich die Wohlhabenden aus der großen Regionalstadt ihre Häuser im Grünen. Unter ihnen auch Pellegrini, ein gebürtiger Bystricaer, der für seine Eltern einen Alterswohnsitz mit schönem Blick auf die Niedere Tatra gekauft hat.

Der malerische Kurort Kraliky in der Nähe der Stadt Banska Bystrica, der Heimatstadt von Präsidentschaftskandidat Peter PellegriniBild: Luboš Palata/DW

In der Kneipe von Kraliky haben sich am frühen Abend Gäste versammelt. "Du hast dich fünfmal gegen COVID impfen lassen? Dann bist du in zwei Jahren tot", prophezeit Ivan dem Reporter. "Ihr werdet alle sterben, wenn ihr geimpft seid. Der ganze Impfstoff war ein Betrug." Seit der Corona-Pandemie neigen viele Slowaken zu Verschwörungsmythen, die von meist antiwestlichen und prorussischen Webseiten und Informationskanälen verbreitet werden. COVID hat die Slowakei mit ihrem schwachen Gesundheitssystem sehr hart getroffen. Die Zahl der Impfverweigerer war eine der höchsten in der EU, ebenso die Sterberate.

Als das Gespräch auf die Ukraine kommt, wird die Stimmung in der Kneipe immer gereizter. "Wollen Sie mir erzählen, dass Kiew nicht von Nazis regiert wird?" sagt Ivan mit erhobener Stimme. "Und wer hat die Russen in Donezk ermordet? Putin musste den Völkermord an den Russen stoppen!" Die meisten Anwesenden in der Kneipe stimmen ihm zu. Wem er am Samstag seine Stimme geben wird? Ivan hat sich schon entschieden: "Ich stimme für Pellegrini."

Die Ungarn in der Slowakei unter Einfluss Orbans

Es ist jedoch durchaus möglich, dass der Schlüssel zum Präsidentenpalast in den Händen der Wähler im Süden der Slowakei liegt, wo eine halbe Million Menschen der ungarischen Minderheit angehören. Sie hatten im ersten Wahlgang einen eigenen Kandidaten ins Rennen geschickt. Doch Krisztian Forro erhielt nur etwa drei Prozent der Stimmen und landete auf Platz vier. Das reicht aber aus, um die slowakischen Ungarn in einem knappen Wahlkampf zwischen Korcok und Pellegrini im zweiten Wahlgang zum "Zünglein an der Waage" zu machen.

Wahlplakate mit dem Bild des Kandidaten der ungarischen Minderheit, Krisztian Forro, in der Stadt Velky MederBild: Luboš Palata/DW

Velky Meder, eine Stadt mit fast 10.000 Einwohnern nahe der ungarischen Grenze, ist ein Ort, an dem sich fast vier Fünftel der Bevölkerung als slowakische Ungarn bezeichnen. Die meisten Kinder haben Ungarisch als Unterrichtssprache in der Schule. "Sie haben Probleme, an slowakischen Universitäten zu studieren, und viele gehen in Ungarn arbeiten, weil sie nicht gut slowakisch sprechen", erzählt eine Slowakin, die hier in eine slowakisch-ungarische Familie eingeheiratet hat.

Bis vor kurzem wählten die slowakischen Ungarn prowestlich, ihre Parteien waren Teil von reformorientierten, eindeutig demokratischen Regierungen. Das ist heute nicht mehr der Fall. Die ungarischen Minderheitenparteien, die nicht mehr im Parlament vertreten sind, werden nun vom prorussischen ungarischen Premierminister Viktor Orban kontrolliert, dem wichtigsten Verbündeten der Regierung Fico.

"Die Ungarn in Velky Meder sehen nur ungarisches Fernsehen, so bekommen sie ein prorussisches Bild vom Krieg in der Ukraine", beklagt eine junge slowakische Ungarin. Sie selbst schwimmt mit ihrer Wahl gegen den Strom: "Ich werde Korcok wählen", sagt sie. "Auch wenn unsere Politiker unter dem Einfluss Orbans den Regierungskandidaten Pellegrini empfehlen."

Lubos Palata Korrespondent für Tschechien und die Slowakei, wohnhaft in Prag