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Musik

Buhrufe für neuen Ring in Bayreuth

Gaby Reucher
6. August 2022

Jeder neue "Ring des Nibelungen" hat es in Bayreuth schwer. Die Neuinszenierung von Valentin Schwarz wurde ausgebuht. Viele Fragen blieben offen, doch das war zum Teil so gewollt.

Menschen hinter roten Masken mit Flügelhelmen.
Einer der wenigen symbolischen Anklänge an Wagners Oper, wenn der Chor unter Masken des germanischen Gott Wotans singt Bild: Enrico Nawrath

Lautstarke Buhrufe gab es am Ende der "Götterdämmerung" für Regisseur Valentin Schwarz in Bayreuth. Dagegen hatten Applaus und Bravorufe keine Chance. Der österreichische Regisseur und sein Team hatten die Zuschauerinnen und Zuschauer um das ersehnte große Finale von Richard Wagners vierteiligem Mammut-Opern-Zyklus "Ring des Nibelungen" gebracht. Und damit auch um die Auflösung so vieler offener Fragen, die sich im Verlauf der Inszenierung der vier Teile "Rheingold", "Walküre", "Siegfried" und "Götterdämmerung" beim Publikum angesammelt hatten.

Am Ende von Wagners "Ring des Nibelungen" geht die Götterwelt unter, die Götterburg Wahall steht in Flammen. Ein Weltuntergangszenario, das schon viele Regisseure inspiriert hat, mit brennenden Häuserfronten oder großen Explosionen. Bei Valentin Schwarz endet alles in einem leeren Schwimmbassin, drei Tote, einer davon Siegfried, eine der Hauptfiguren der Geschichte.

Wagner im Serienformat

Für den Spannungsbogen des Opernzyklus hat sich der 33-jährige Valentin Schwarz an Serienformaten orientiert, jede Oper als einzelne Folge einer Serien-Staffel, die im sogenannten Binge-Watching in kurzer Zeit hintereinander konsumiert werden kann. Richard Wagner hatte dafür quasi die Vorlage gegeben, denn seit der ersten Bayreuther Festspiele 1876 wird ein "Ring des Nibelungen" mit den Teilen "Rheingold", "Walküre", "Siegfried" und "Götterdämmerung" immer innerhalb einer Woche aufgeführt.

Das Gesamtkonzept von Valentin Schwarz war von Anfang an umstritten und wurde immer wieder mit Buhrufen bedacht. Zu verworren die Geschichte, zu viele offene Fragen und zu viel Sex and Crime. Doch das ist in Bayreuth nicht ungewöhnlich. Besonders alt eingefleischte Wagnerfans aus aller Welt zeigen auf diese Weise ihre Unzufriedenheit mit modernen Auslegungen des Stoffs. 

Richard Wagner hat sich in seinem Musikdrama der nordischen und antiken Sagenwelt bedient. "Der Ring des Nibelungen" gilt als kritisches Gesellschaftsdrama mit Mord, Inzest, Verrat und Doppelmoral. Grob gesagt geht es in Wagners Nibelungengeschichte um einen Goldschatz, der durch Diebstahl und Mord immer wieder in die falschen Hände gerät. Zum Ring geschmiedet verleiht das Gold Macht, bringt aber auch Unglück und Zwietracht was zum Untergang der Götterwelt führt.

Ring des Nibelungen als Familiensaga

Drei Fragen an Wagner-Regisseur Valentin Schwarz

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Valentin Schwarz hat sich aus Wagners verworrenem Götterepos die familiären Verstrickungen herausgegriffen. Er wollte den "Ring des Nibelungen" als große Familiensaga zweier verfeindeter Familien-Dynastien inszenieren, ohne den mythologischen Überbau mit Göttern und Fabelwesen. Die einzelnen Figuren verfolgt Schwarz über Generationen, erzählt ihre Geschichte, ihre Traumata, ihre Sehnsüchte, ihren Kampf um Macht und Anerkennung.

Schwarz ist eingetaucht in die Abgründe der menschlichen Seele. Zu banal und zu oberflächlich fanden das Zuschauerinnen und Zuschauer, die extra angereist waren, um die großartige Musik von Richard Wagner mit berühmten Sängerinnen und Sängern zu erleben. Und das in Wagners weltbekanntem Festspielhaus, das eigens für seinen "Ring des Nibelungen" gebaut worden war. Gegen moderne Inszenierungen habe man ja nichts, sagte ein Ehepaar, aber es müsse doch der Geschichte folgen und schlüssig sein. 

Wer ist wer und warum passiert das alles? 

Ein Junge wird mit Waffengewalt geraubt und durch sein furchtbares Schicksal für das Leben gezeichnetBild: Enrico Nawrath/Festspiele Bayreuth/dpa/picture alliance

Valentin Schwarz und sein Team bringen Brutalität, Waffengewalt, Machtmissbrauch, organisiertes Verbrechen und sexuelle Nötigung auf die Bühne. Mal ganz platt und offensichtlich, aber oft auch nur angedeutet mit einer starken Personenregie, bei der es sich lohnt, auf die Feinheiten zu achten.

So führt er manche Figuren schon als Statistenrolle ein, noch bevor sie in der eigentlichen Wagner-Oper vorkommen. Das hat selbst gestandene Kritikerinnen und Kritiker verwirrt. Wer war da wer und warum geschehen Dinge, die eigentlich gar nicht in der Oper hinterlegt sind? Ein großes Rätselraten in den Pausen, das manche zu kühnen Vermutungen inspirierte, andere nur nervte.

Trauma Kindesmissbrauch

Der Schatz für den Erhalt der Familien Dynastien sind die Kinder. So wird zu Beginn der Geschichte kein Gold geraubt wie in der Sage, sondern ein Junge. Der wird als Ware weiterverkauft an Mafiosi und taucht später als die Figur Hagen wieder in der Geschichte auf. In einer Szene trifft Hagen als junger Mann auf seinen einstigen Peiniger Mime. Er schreckt jedes Mal zurück, wenn ihn dieser berühren will. Dass er von Kindesmissbrauch traumatisiert ist, lässt sich erahnen.

Mime will Siegfrieds Geburtstag mit makabren Puppen feiernBild: Enrico Nawrath/Festspiele Bayreuth/dpa/picture alliance

Ein anderer Erzählstrang handelt von Siegfried. Wotan hat seine Tochter Sieglinde geschwängert. Ihr gemeinsames Kind "Siegfried" darf nicht sein und so gibt es Wotan ausgerechnet in die Obhut des besagten Mime. In "Siegfried" erwartet der mittlerweile gealterte Mime den herangewachsenen Siegfried. Mime haust in einem Dreckloch. Als Zauberer verkleidet spricht er mit Puppen, die im Kreis auf kleinen Stühlen sitzen, um mit ihm Siegfrieds Geburtstag zu feiern.

Man will den alten Kauz mit seinen humorigen Attitüden fast liebgewinnen, aber die makabren Puppen mit grotesken Gesichtern zeigen seine Perversion. Im zweiten Akt von "Siegfried" ersticken Hagen und Siegfried Mime - anders als in der ursprünglichen Oper vorgesehen - gemeinsam.

Jubel für die Sänger und Sängerinnen

In den einzelnen Opernteilen wurden vor allen Dingen die Sängerinnen und Sänger bejubelt, darunter sind mit ihrer kräftigen Stimme besonders die Mezzo-Sopranistin Okka von der Damerau als Erda hervorzuheben, Klaus Florian Vogt der mit seinem satten Tenor als Siegmund auftrat und vor allen Dingen die großartige norwegische Sopranistin Lise Davidsen als Sieglinde. Auch Andreas Schager als Siegfried und Thomasz Konieczny als Wotan bekamen anhaltenden Applaus.

Zu Anfang wurde auch der Dirigent Cornelius Meister gefeiert, der kurzfristig eingesprungen war für den kranken Pietari Inkinen. Für viele Szenen bekam er großen Applaus, besonders am Ende der "Walküre", bei der das Orchester anrührend mit zarten Klängen Brünhildes Gang in die Verdammung begleitete, weil sie sich den Befehlen ihres Vaters Wotan widersetzt hatte. Buhrufe musste er dagegen am Ende der "Götterdämmerung" einstecken. Der Orchesterpart war so laut geraten, dass die Instrumente die Stimme von Brünhilde (Iréne Theorin) stellenweise fast übertönten.

Was hinter verschlossenen Türen passiert

Wagners Walküren sind hier Influencerinnen, die sich im Schönheitssalon die Zeit vertreiben und mit ihren gerade ausgepackten Handys Fotos machenBild: Enrico Nawrath/Festspiele Bayreuth/dpa/picture alliance

Valentin Schwarz hat mit seinen Anspielungen auf Kindesmisshandlung und Missbrauch den Finger in die Wunde der Gesellschaft gelegt, denn zahlreiche Grausamkeiten spielen sich hinter verschlossenen Türen ab. So gab es auf der Bühne fast nur Innenräume, abgeschottet von dem was außerhalb der eigenen vier Wände sonst noch in der Welt passiert. Im Binge-Watching von Fernsehserien werden diese Grausamkeiten mit Sensationslust konsumiert, auf der Opernbühne haben sie oft befremdet.

Doch nach der Oper ist das Spektakel noch nicht zu Ende. Als hätten alle nur auf die Buhrufe für Valentin Schwarz gewartet, schnellen die Handys in die Höhe, um das Buh-Konzert nicht nur zu fotografieren, sondern auch zu filmen und sicher auch in Windeseile über die sozialen Medien zu teilen. Es scheint als hätte uns Valentin Schwarz unfreiwillig mit seiner Binge-Watching-Oper den Spiegel vorgehalten.

Die Bayreuther Festspiele dauern noch bis zum 1. September 2022. 

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