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Politik

Ringen um Libyens Zukunft

3. Februar 2021

In Genf wollen Vertreter der libyschen Gesellschaft eine Übergangsregierung wählen, die das Land in eine friedliche Zukunft führen soll. Die Teilnehmer stehen unter enormen Druck - und vor großen Herausforderungen.

Schweiz Delegierte bei der Eröffnung des libyschen politischen Dialogforums in Genf
Verhandlungsmasse Zukunft: Delegierte beim libyschen Dialogforum in GenfBild: UN/AFP

Der libysche Einigungsprozess verläuft zäh. Seit Anfang der Woche finden in Genf auf Einladung der Vereinten Nationen konkrete Schritte zur Bildung eines libyschen Präsidialrates statt, der die für Dezember vorgesehenen Präsidenten- und Parlamentswahlen organisieren soll. Bisher konnte keiner der Kandidaten für das dreiköpfige Präsidium die erforderlichen 70 Prozent der Stimmen auf sich vereinen. Zur Wahl stehen 24 Bewerber. Auch soll ein Interims-Ministerpräsident gewählt werden.

Über die Besetzung dieser Ämter sollen 75 nach Genf eingeladenen Libyer entscheiden, die die unterschiedlichen politischen, regionalen und Stammesgruppen des Landes repräsentieren. Mit dabei sind Vertreter der beiden rivalisierenden De-Facto-Regierungen - der in Tripolis im Westen und der in Tobruk im Osten des Landes. Ihre Zusammensetzung soll Libyen möglichst umfassend repräsentieren und den in Genf zu treffenden Entscheidungen so größtmögliche Legitimität verschaffen.

Dialog im Blick: die bis Januar amtierende UN-Gesandte für Libyen Stephanie WilliamsBild: Fethi Belaid/AFP

Im Vorfeld hatte die amtierende UN-Gesandte für Libyen, Stephanie Williams, noch einmal auf die guten Voraussetzungen für den Einigungsprozess verwiesen. Der innerlibysche Dialog habe greifbare Fortschritte erzielt, erklärte sie Agenturberichten zufolge. Es gebe nun einen Fahrplan zur "Wiederherstellung der demokratischen Legitimität", beruhend auf einem "klaren Termin für die nationalen Wahlen und die Einrichtung einer einheitlichen, vorübergehenden Exekutivbehörde."

"Bedeutung des Treffens kaum zu überschätzen"

Trotz des mühseligen Prozesses in Libyen markiere die Konferenz die bislang erreichten Fortschritte auf dem Weg zu einem dauerhaften Frieden, sagt Thomas Volk, Leiter des Dialogprogramms Südlicher Mittelmeerraum der Konrad-Adenauer-Stiftung in Tunesien. "Noch vor einem Jahr wäre ein solches Treffen undenkbar gewesen. Damals befand sich Libyen noch im Kriegszustand."

Präsent: türkische Truppen in Libyen, November 2020Bild: MAHMUD TURKIA/AFP/Getty Images

Volk verweist auf die Erfolge des seit drei Monaten anhaltenden Dialoges. Im November hatten sich die innerlibyschen Akteure in Tunis auf einen Waffenstillstand sowie einen Fahrplan zur Befriedung des Landes geeinigt, der auf der Genfer Konferenz nun konkrete Ergebnissen bringen soll. "Die Bedeutung dieses Treffens ist kaum zu überschätzen. Diese Woche wird sich zeigen, wie es mit Libyen weitergeht", so Volk im DW-Gespräch.

Ausländische Akteure bleiben aktiv

Welche Kraftanstrengungen weiterhin nötig sind, um das Land zu befrieden, zeigt ein Blick auf die Lage vor Ort. Zwar ruhen die Waffen. Doch die ausländischen Kämpfer und Söldner, die auf beiden Seiten des Konflikts aktiv waren, sind weiterhin im Land. Eigentlich hätten sie bereits zum 23. Januar abziehen sollen. Auch das ebenfalls beschlossene Waffenembargo wird nicht eingehalten.

Das deutet darauf hin, dass die ausländischen Akteure nicht bereit sind, ihre Interessen bald aufzugeben. Diese sind ganz unterschiedlicher Art: So ist Russland offenbar dabei, militärische Basen im Land zu errichten, die seine Präsenz im Mittelmeerraum absichern sollen. Die Türkei versucht auf dem Umweg über Libyen, ihre Interessen im Streit um die Gasfelder im östlichen Mittelmeer durchzusetzen. Und den EU-Staaten geht es darum, die Flucht- und Migrationsbewegungen vor der europäischen Südspitze zu stoppen.

Tage des Zorns: Libyer demonstrieren gegen die Regierung, Benghasi im September 2020 Bild: picture-alliance/AP/H. El-Yamany

Eine weitere Herausforderung ergibt sich aus dem militärischen Zusammenbruch der ausländischen Truppen, die der Exilregierung von General Chalifa Haftar in Tobruk verbunden sind. Die Niederlage im vergangenen Sommer habe Haftars Unterstützer - etwa Russland, Saudi-Arabien und Ägypten - gezwungen, ihre Taktik zu ändern, schreibt der Politologe Tarek Megerisi vom European Council on Foreign Relations. Sie setzten nun nicht mehr auf einen überwältigenden militärischen Sieg, sondern seien bestrebt, die innerlibyschen Gräben zu vertiefen. So wollten sie zum einen ihre eigenen Interessen schützen und zum anderen die Libyer selbst als die Hauptverantwortlichen für das Desaster im Land hinzustellen. "Auf diese Weise versuchen sie, sich selbst von aller Verantwortung zu entbinden", schreibt Megerisi.

Wenig Vertrauen in Politiker

Allerdings stehen auch die libyschen Akteure selbst nur bedingt für eine Aufbruchsstimmung. Der derzeitige Prozess werde von Personen geführt, die ihr grundsätzliches Verhalten seit Jahren nicht geändert hätten, so Tarek Megerisi. Sie stünden jedoch außen- wie innenpolitisch unter erheblichem Druck. "Das bringt eine zwar zerbrechliche, aber doch reelle Chance auf substantiellen Fortschritt."

Dazu müssten diese Akteure allerdings bereit sein, über ihren Schatten zu springen und ihre persönlichen Interessen denen des Landes unterzuordnen. So dürfen die Kandidaten, die sich jetzt für die Übergangsregierung bewerben, bei den Wahlen im Dezember nicht erneut antreten. "Es ist sehr fraglich, ob die entscheidenden Personen dazu bereit sind", sagt Volk. "Daran gibt es unter Beobachtern erhebliche Zweifel." Umso wichtiger sei es darum, dass die libyschen Vertreter sich in Genf auf eine Technokratenregierung einigen, die das Land "in ruhige Fahrwasser bringt und die anstehenden Wahlen auf ordentliche Weise vorbereitet".

Bewusst dürfte den in der Schweiz Versammelten auch sein, dass sie riskieren, ihren Ruf in der Heimat völlig zu verspielen. In der Bevölkerung gelte die jeweilige libysche Regierung in beiden Landesteilen als hochkorrupt, sagt Volk. "Man traut den aktuellen politischen Protagonisten nur wenig. Vor allem aber möchten die Menschen Frieden und Stabilität und das vergangene Jahrzehnt mit seiner politischen Instabilität endlich hinter sich lassen." 

Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika
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