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Politik

Rios umstrittene Seilbahn steht still

Clare Richardson NM
5. Februar 2017

Eine Gondelbahn sollte den Bewohnern einer Favela das Leben erleichtern. Viele kritisierten das Prestigeprojekt. Doch seit einigen Monaten bewegt sich nichts mehr am Himmel und die Anwohner sind enttäuscht.

Brasilien Urlaubsland Rio de Janeiro Favelas
Bild: picture-alliance/Photoshot

Die schwarzen Stahlseile sind zur Zeit nur noch lange Striche am Himmel über der Favela Complexo do Alemão. Seit Monaten fahren hier keine Gondeln mehr. Für die Bewohner sind die Seile inzwischen ein Symbol, wie eines der Prestigeprojekte Rios den klammen Kassen zum Opfer fiel.

Schon vor dem Bau der Seilbahn kritisierten viele in der Favela, dass es bei dem Projekt nur darum gehen würde, Besucher aus aller Welt beeindrucken. Die wahren Bedürfnissen - beispielsweise die Konstruktion einer richtigen Abwasseranlage - würden hingegen ignoriert. Umgerechnet 62 Millionen Euro kostete die Seilbahn, die 2011 gebaut wurde und die Bewohner der Favela knapp fünf Jahre entlang der insgesamt sechs Stationen transportierte.  

Doch der Stadt und dem Bundesstaat Rio de Janeiro fehlt mittlerweile das Geld. Bereits vor den Olympischen Spiele musste sogar der Finanznotstand ausgerufen werden. Und so wurde dann auch im vergangenen Jahr die Bezahlung der Betriebskosten eingestellt. Nur knapp einen Monat nach der Olympiade überquerte die letzte Gondel das Complexo do Alemão.

Thaina de Medeiros, Aktivistin der Organisation "Colectivo Papo Reto" hat die Seilbahn von Anfang an kritisiert. "Es ging um sehr viel Geld, das nicht besonders sinnvoll genutzt wurde", sagt die 33-Jährige. Offiziell wurde die Gondelbahn mit dem Geld der PAC gebaut, das ist Brasiliens staatliches Förderprogramm für Infrastruktur.

François Camargo in der Complexo do AlemãoBild: DW/C. Richardson

So war es also kein Investitionsprojekt zur Vorbereitung auf die Fußballweltmeisterschaft 2014 oder die Olympischen Spiele ein Jahr später. Für De Medeiros besteht aber dennoch ein Zusammenhang. "Das ganze war eine politische Show", ist sie sich sicher. "Die Politiker wollen doch nur zeigen, dass sie viele Projekte machen. Ihnen ist es doch egal, ob die auch etwas bewirken."

"Besser als Nichts"

Viele hatten gehofft, dass die beiden riesigen Sport-Ereignisse Ansporn für Rio sein würde, um die Kluft zwischen den Wohngebieten der Ultrareichen und den Armenvierteln mit ihrer miserablen Infrastruktur etwas zu verringern. Thaina de Medeiros kritisiert vor allem, dass die Seilbahn auch an einigen besser situierten Vierteln hielt. Das lege nahe, dass es nicht unbedingt nur um die Verbesserung der Situation in den Favelas ging, so die Aktivistin.

François Camargo ist von Beruf Kameramann und arbeitet nebenher als Touristenführer in der Favela. Für ihn ist eine Seilbahn besser als gar nichts zu bekommen. "Das Geld wäre doch eh nicht in sanitäre Anlagen geflossen", sagt Camargo. Er sieht die positiven Aspekte: Einige lokale Unternehmen wie Saftstände und Souvenirläden hätten entlang der Stationen der Linie eröffnet.

Die Endstation der Seilbahn heißt Palmeiras. Dort stehen eine kleine Bibliothek und ein kleines Krankenhaus, welches allerdings geschlossen ist, seit die Bahn nicht mehr fährt. Heute wirkt die Gegend rund um die Station auf dem Hügel verlassen. Die bemalten kleinen Kioske sind geschlossen. Ein paar Kinder aus dem Viertel lassen Drachen steigen. Beamte der Unidade de Polícia Pacificadora (UPP) sind in Sichtweite. Die UPP ist eine Polizeieinheit, die der Bundesstaats Rio de Janeiro in schwierigen Vierteln aufstellt.

Die Favela Complexo de Alemão vor dem Bau der Gondel im Jahr 2010Bild: picture-alliance/dpa/Joedson Alves

Penha, die nur bei diesem Namen genannt werden möchte, lebt mit ihrer Familie in der Nähe der Endstation. "Hier ist es ruhig geworden", sagt sie. Sie sammelt Flaschen in einem angrenzenden Viertel. Mit der Seilbahn waren es früher zehn Minuten, jetzt benötigt sie zu Fuß fast eine Stunde.

Die Touristen bleiben weg

Auch sind viele Touristen wegen der Seilbahn in die Favela gekommen. Viele Kritiker behaupten, dass die meisten sich vor allem die Armut aus der Höhe angeschaut hätten, ohne wirklich einen Fuß in die Viertel zu setzen. Doch einige haben auch an Führungen durch Teile der Favela teilgenommen. Für den Kameramann und Guide Camargo hatten die Besucher einen positiven Nebeneffekte. "Wenn Touristen kommen, dann stehen die Behörden mehr unter Druck, um für Sicherheit zu sorgen."

Penha steht vor ihrem Haus in der Nähe der EndstationBild: DW/C. Richardson

Jetzt, da die Gondeln nicht mehr fahren, kommen auch kaum noch Touristen. Daniel Nazarro vermarktet Touren für Favela Experience, eine Organisation, die geführte Spaziergänge durch Favelas anbietet. "Es ist schon eine Zeit her, dass wie zuletzt eine Tour durch den Complexo de Alemao hatten", sagt er. Die 26-jährige Izabela Rubens ist beim Complexo de Alemao aufgewachsen und hat dort auch häufig die Touristen herumgeführt. "Die Hauptattraktion war die Seilbahn", sagt sie.

Ob die Seilbahn aber bald wieder läuft, ist höchst ungewiss. Die Kassen der Stadt sind weiterhin leer - unwahrscheinlich, dass sie so schnell die Betriebskosten wieder bezahlen wird. Auch wenn sie anfangs gegen das Projekt war, stimmt dieser Zustand Thaina de Medeiros traurig. "Es wäre toll, wenn sie wieder eröffnen würde. Freunde von mir haben durch die Bahn ihren Lebensunterhalt finanziert." Und so sind sich auch die härtesten Kritiker der Seilbahn über den Complexo do Alemão in einer Sache einig: Wenn Rio schon so viel Geld in ein Prestigeprojekt steckt, dann sollte man wenigstens dafür sorgen, dass es auch in Betrieb bleibt. 

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