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Rivalen seit früher Zeit: Sunniten und Schiiten

Sabine Hartert-Mojdehi23. August 2012

Der Bürgerkrieg in Syrien ist auch ein Stellvertreterkrieg zwischen Sunniten und Schiiten, mit Saudi-Arabien auf der einen und dem Iran auf der anderen Seite. Der Konflikt ist fast so alt wie der Islam.

Hussein-Moschee in Kerbela (Irak), einem der wichtigsten schiitischen Heiligtümer (Foto: DW)
Die Hussein-Moschee in Kerbela (Irak)Bild: DW

Hätte der Prophet Mohammed damals, vor seinem Tod im Jahr 632, seine Nachfolge geregelt, wäre es vielleicht anders gekommen. So aber zerfiel die noch junge islamische Gemeinde nur knapp 30 Jahre nach dem Tod des Propheten. Die Mehrheit versammelte die Muslime, die später als Sunniten bezeichnet werden. In einer zweiten Gruppe fanden sich die Anhänger von Ali ibn Abi Talib, dem Cousin und Schwiegersohn Mohammeds. Es ist die "Shi'at Ali", die Partei Alis, aus der später die Schiiten hervorgehen. Bis heute sind die Schiiten in der Minderheit und machen etwa 10 bis 15 Prozent der gut 1,6 Milliarden Muslime aus.

Im Jahr 632 ging es vor allem um Personalpolitik. Der Streit entzündete sich an der Frage, wie der Nachfolger des Propheten korrekt bestimmt wird, sagt der Islamwissenschaftler Lutz Berger von der Universität Kiel und fügt an: "Wir haben am Anfang einen politischen Konflikt, in dem es um Gruppeninteressen geht. Dieser politische Konflikt wird dann religiös überlagert."

Frühe Machtspiele

In der Auseinandersetzung um die rechtmäßige Nachfolge des Propheten Mohammed gab es zunächst die vier "rechtgeleiteten" Kalifen, auf die man sich im Mehrheitsbeschluss geeinigt hatte. Im Jahr 660 übernahm die Dynastie der Omajjaden die Macht. Bei der Auswahl der Kalifen war es für die Mehrheit von besonderer Bedeutung, dass sie dem Stamm Mohammeds, den Quraisch, angehören. Die Anhänger Alis dagegen waren der Ansicht, dass der Nachfolger des Propheten aus der Familie Mohammeds kommen müsse. Das untermauerten sie mit dem Argument, Gott selber habe Ali zum Nachfolger bestimmt und Mohammed habe dies noch vor seinem Tod schriftlich festhalten lassen. Die Sunniten hätten diese Nachfolgeregelung aus dem Koran getilgt. Damit stand der Vorwurf der Koranfälschung im Raum, der bis heute nicht eindeutig zurückgenommen wurde.

Protest gegen die Festnahme eines schiitischen Predigers in Saudi-ArabienBild: Reuters

Ali, der nach Einschätzung des Islamwissenschaftlers Berger ehrgeizig war, ließ es keine Ruhe, dass er sich zunächst nicht als Nachfolger des Propheten durchsetzen konnte. Schließlich wurde er im Jahr 656 zum vierten und letzen rechtmäßigen Kalifen gewählt. Seine Herrschaft währte nur fünf Jahre, dann fiel er einem Mordanschlag zum Opfer. Im sich neu bildenden Zentrum der islamischen Macht Damaskus hatten die Omajjaden das Sagen. Die Anhänger Alis sicherten sich in der Grenzprovinz, dem heutigen Irak, die Vorherrschaft. Im Jahr 680 wird der jüngste Sohn Alis, Hussein, zum Gegenkalifen gewählt. Noch im selben Jahr wird er von den Omajjaden ermordet und in Kerbela beigesetzt. Der Grundstein für die endgültige Spaltung in Sunniten und Schiiten, ebenso wie den in der Schia ausgeprägten Märtyrerkult, war damit gelegt.

Frühe Feindschaft

Iranische Sunniten bei der KoranlektüreBild: Fars

"Die Schiiten sind in gewisser Weise die Verlierer der Geschichte", sagt Berger. Ali und seine Nachfolger hätten es nicht geschafft, sich in der gesamten islamischen Gemeinde durchzusetzen. Daraus resultiere eine eher negative Weltsicht. Und vermutlich auch die der Schia eigene Weltsicht, geprägt durch ein Konzept des Leidens und eine starke Heilserwartung. Nach schiitischer Sicht werden die religiösen Führer, die Imame, von Gott erwählt. Am Ende der Zeiten wird ein Erlöser kommen, der ein göttliches Reich der Gerechtigkeit errichten wird. Der Glaube an den Imam ist einer der wichtigsten Unterschiede zu den Sunniten. Für Schiiten ist der Imam ein Mittler zwischen Gott und den Gläubigen, denn allein der Imam kennt den verborgenen Sinn des Koran und hat die Aufgabe, diesen an die Gemeinde zu vermitteln. Seine Lehrentscheidungen sind unfehlbar, seine Aussprüche haben für Schiiten dieselbe Autorität wie der Koran. Für viele Sunniten grenzt das an Häresie, also an Ketzerei. "Man wirft den Schiiten vor, Menschen zu vergöttlichen, also in Ali, dem Schwiegersohn des Propheten und seinen Nachfolgern, übermenschliche Figuren zu sehen und damit von einem Grundprinzip des Islam abzurücken, nämlich dass es nur einen Gott gibt und dass Menschen nicht verehrt werden dürfen."

Nachhaltige Folgen

Sahen sich die Schiiten durch die Verweigerung der Teilhabe an der weltlichen Herrschaft über Jahrhunderte eher als Verlierer, sind "die Sunniten dagegen von Anfang an erfolgreich. Sie schaffen es, Ali in ihr Geschichtsbild zu integrieren", sagt der Islamwissenschaftler Berger. Sie hätten die Konflikte der Frühzeit heruntergespielt und die schiitischen Herrschaftsansprüche als Unruhestiftung wahrgenommen. Auch wenn sich Sunniten und Schiiten, wie der Islamwissenschaftler Berger es formuliert, durch ihre gegenseitige Ablehnung definieren, wechselten sich in der Geschichte Phasen friedlichen Zusammenlebens mit denen religiös motivierter Auseinandersetzungen ab.

Aufgebrachte irakische Schiiten demonstrieren gegen den Anschlag auf die Goldene Moschee in SamarraBild: AP

Die heutigen politischen Konflikte in der islamischen Welt sind vielfach religiös unterlegt und zeichnen zum Teil die traditionellen religiösen Konfliktlinien zwischen Sunna und Schia nach. Beispiele dafür gibt es viele, seien es der Bürgerkrieg in Syrien oder im Irak, oder der lang schwelende Konflikt zwischen Saudi-Arabien und Iran, dem einzigen Land, in dem die Schia Staatsreligion ist.

Weltweit gibt es etwa 1,6 Milliarden Muslime, geschätzte 85 bis 90 Prozent davon sind Sunniten. Genaue Angaben dazu gibt es nicht, weil es in vielen Staaten keine Erhebungen zur Konfessionszugehörigkeit gibt. Zudem legen Schiiten, wenn sie in einem nicht-schiitisch geprägten Umfeld leben, ihre Glaubenszugehörigkeit nicht immer offen.

Die Länder Nordafrikas bis zur Sahara sind mehrheitlich oder ganz sunnitisch; ebenso Saudi-Arabien, Indonesien und Bangladesch. Auch Syrien und die Palästinensischen Gebiete sind überwiegend sunnitisch.

Im Iran leben die meisten Schiiten; dort ist die Schia Staatsreligion. Schiitische Bevölkerungsmehrheiten gibt es außerdem im Irak und in Bahrain. Im Libanon ist etwa ein Drittel der Bevölkerung schiitisch. Nennenswerte schiitische Bevölkerungsanteile gibt es auch in Afghanistan, Kuwait, Pakistan und Syrien.

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