Fico kopiert Orbán: EU-Blockade mit Showeffekt
21. Juli 2025
Von Ungarns Premier Viktor Orbán sind solche Manöver bekannt: Er blockiert EU-Beschlüsse, die einstimmig verabschiedet werden müssen, und verspricht seinen Anhängern, sie "niemals" mitzutragen. Doch im letzten Moment knickt er ein und stimmt zu. Oft ist unklar, was er dafür bekommt. Zuhause verkauft Orban seinen "Kampf gegen die Brüsseler Bürokraten" als "Sieg".
Dasselbe Spiel hat nun erstmals auch Orbáns Duzfreund Robert Fico gespielt, slowakischer Ministerpräsident, formal Sozialdemokrat, praktisch rechtsnationaler Populist. Wochenlang verkündete er, dass er dem 18. Sanktionspaket der EU gegen Russland nicht zustimmen werde, selbst wenn das zu einer "großen Krise in der EU" führen würde - und hielt die Union so in Atem.
Die Sanktionen würden die Wirtschaft der Slowakei und vor allem ihre Energieversorgung empfindlich treffen, so Fico. Außerdem würden sie der EU selbst schaden, nicht aber Russland. Seine Blockadehaltung stilisierte der slowakische Premier zu einer Frage der nationalen Souveränität und des nationalen Stolzes.
Der Rückzieher kam am späten Abend des vergangenen Donnerstags (17.07.2025) in den Sozialen Medien, Stunden vor der geplanten Entscheidung über das Paket. Fico kündigte in einem Video an, dass der Sanktionsplan der EU-Kommission gegen Russland zwar "schwachsinnig" sei, es aber "kontraproduktiv" wäre, gegen ihn zu stimmen. Er erläuterte, welche Zugeständnisse die Slowakei dafür bekäme und sagte schließlich: "Wer mit den Wölfen lebt, muss mit ihnen heulen."
"Theater für die einheimischen Wähler"
In der EU wurde Ficos überraschender Schwenk mit großer Erleichterung aufgenommen. Manche, wie der deutsche Bundeskanzler Friedrich Merz, äußerten sogar Verständnis für die wirtschaftlichen Probleme der Slowakei. Doch im Land selbst kritisieren sowohl Oppositionspolitiker als auch viele politische Kommentatoren Ficos Manöver mit vernichtenden Worten. Er habe europäische Partner vor den Kopf gestoßen, Wladimir Putin einen Gefallen getan, für die Slowakei nichts erreicht und das Land isoliert, lautet der gemeinsame Tenor.
Michal Simecka, Chef der größten slowakischen Oppositionspartei Progressive Slowakei (PS) bezeichnet Fico in einem Facebook-Post als "dilletantisch, orientierungslos, frustriert und ungeeignet, sein Amt auszuüben und die Interessen der Slowakei zu verteidigen". Ein Kommentator der Tageszeitung Sme nennt Ficos Manöver ein "Theater für die einheimischen Wähler und um Menschen von anderen Problemen abzulenken".
Ausnahmeregelung für RePowerEU
Worum ging es nun bei diesem Manöver und was hat Fico erreicht? Das 18. Sanktionspaket der EU gegen Russland soll vor allem den Verkauf russischen Öls in der EU stoppen, die russische Rüstungsindustrie von wichtigen Importen abschneiden und Transaktionen mit bisher nicht gelisteten russischen Banken verbieten. Fico und seine Koalitionsregierung hätten dem wohl prinzipiell zugestimmt. Stein des Anstoßes waren jedoch Maßnahmen des bereits vor längerem von Brüssel vorgelegten Plans namens RePowerEU, der unter anderem vorsieht, die Mitgliedsstaaten ab 2028 von russischem Gas abzukoppeln.
Die Slowakei forderte eine Ausnahmeregelung für sich, da sie einen Gasliefervertrag mit dem russischen Konzern Gazprom hat, der bis 2034 läuft. Bislang ist das EU-Mitgliedsland völlig abhängig von russischem Gas. Doch schon bevor Fico schließlich dem 18. Sanktionspaket zustimmte, hatte die EU der Slowakei Hilfe in der Gasfrage zugesichert. So darf das Land zum Beispiel einen Teil der EU-Finanzhilfen für Energiepreissubventionen verwenden. Außerdem wird Brüssel der Slowakei bei möglichen Rechtsstreitigkeiten mit Gazprom helfen. Warum also dann das "Theater für die einheimischen Wähler"?
Haushaltsdefizit und Strukturkrise
Zum einen steckt die Slowakei in erheblichen finanziellen Schwierigkeiten und in einer tiefen strukturellen Wirtschaftskrise. Beide Probleme hat Ficos seit Ende 2023 amtierende sozialdemokratisch-rechtsnationale Koalitionsregierung bisher nicht lösen können. Vor allem zögert sie, die öffentlichen Finanzen zu sanieren.
Das Haushaltsdefizit betrug im vergangenen Jahr 5,3 Prozent (des BiP) - in der Eurozone sind drei Prozent erlaubt. Zwar führte Ficos Regierung bereits finanzielle Konsolidierungsmaßnahmen ein. So etwa erhöhte sie einige Steuern und Sozialversicherungsbeiträge, strich Feiertage. Andererseits machte sie ihren Wählern kostspielige Geschenke, etwa Energiepreishilfen und eine 13. Monatsrente für Ruheständler. Aktuell steht die Regierung unter anderem wegen einer umstrittenen Steuer für Finanztransaktionen unter Druck.
Wirtschaftlich steckt die exportorientierte Slowakei wegen der Krise auf dem Automarkt in großen Schwierigkeiten. Volkswagen, Kia, Jaguar und Peugeot lassen im Land produzieren, die PKW-Fertigung ist der mit Abstand wichtigste Wirtschaftszweig. Doch wegen der Umbrüche auf dem Automarkt, der chinesischen Konkurrenz, Absatzeinbrüchen in den USA und Donald Trumps Zollpolitik gerät das slowakische Modell der Autofertigung immer mehr in die Krise. Einen längerfristigen Plan für grundlegende wirtschaftliche Reformen hat Ficos Regierung bisher nicht vorgelegt.
Korruptionsvorwürfe
Auch wegen alter und neuer Korruptionsaffären stehen Fico und seine Regierung unter Druck. Nach dem Mord an dem Investigativjournalisten Jan Kuciak und seiner Verlobten Martina Kusnirova im Februar 2018 musste Fico zurücktreten. In der Folgezeit kam heraus, wie tief Politik und organisierte Kriminalität in der Slowakei verflochten sind.
Seit Fico Ende 2023 an die Macht zurückkehrte, wird ihm von seinen Kritikern vorgeworfen, dass er vor allem darum bemüht sei, den Kampf gegen die Korruption zu beenden und seine Gegner kaltzustellen. "Besessen von Rache" sei Fico, sagt Peter Bardy, Chefredakteur des Portals Aktuality - so lautet auch der Titel seines aktuellen Bestsellers über Robert Fico. Jüngst deckte Aktuality eine Affäre um eine Luxusvilla an der kroatischen Adriaküste auf, die über eine verschachtelte Eigentumskonstruktion mutmaßlich Ficos Besitztümern zuzuordnen ist.
"Damm gegen den Progressivismus"
Der Premier selbst sieht sich umgeben von Feinden und als Opfer. Vor allem seit er im Mai 2024 ein Attentat nur knapp überlebte, hat das tatsächlich Züge von Besessenheit an sich. Die Opposition, unabhängige Medien, der Liberalismus, "LGBTQ-Ideologen", die EU - alle sieht der 60-Jährige in einer Verschwörung gegen ihn.
Immer wieder nimmt er den russischen Despoten Wladimir Putin in Schutz, am 8. Mai 2025 reiste er als einziger EU-Regierungschef zur Weltkriegssiegesfeier nach Moskau. Nach einem Besuch in Usbekistan im Juni 2025 empfahl er das dortige Staatsmodell als politisches Vorbild und sinnierte darüber, die "europäische Demokratie" umzugestalten, etwa die Zahl der Parlamentsparteien zu begrenzen. Im Herbst will Fico mit Verfassungsänderungen einen "Damm gegen den Progressivismus" errichten. Geplant ist unter anderem, alle Geschlechter außer dem männlichen und weiblichen zu verbieten.
Auch das aktuelle Manöver Ficos, antirussische EU-Sanktionen erst zu boykottieren, ihnen dann aber zuzustimmen, ordnet der slowakisch-ungarische Schriftsteller und Publizist Laszlo Barak in diese Politik ein. "So wird die Fico-Realität konstruiert: mit Slogans, Halbwahrheiten und billigen Lügen", schreibt er in einem Kommentar für das Portal Parameter. "Das ist seine Politik: Manipulationen, Russophilie und Zynismus."