Robert Habeck nimmt das Kanzleramt in den Blick
13. Juli 2024"Unsere Zeit" lautet das Motto der Diskussionsveranstaltung, bei der 300 Studierende der Universität in Magdeburg dem Vizekanzler und Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) an diesem Abend Fragen stellen. Fast eine Stunde geht das schon so: Klimaschutz, Rechtspopulismus, der Wert der Arbeit in einer immer unsicherer werdenden Zeit.
Die Stimmung ist verzagt, es gibt so viele Probleme, der Wohnraum für Studenten ist knapp und teuer, die staatliche Studienförderung gering. Nach einer Stunde wird Habeck gefragt, was ihm überhaupt noch Hoffnung macht.
Der Minister blickt kurz an die Decke der Aula, denkt etwas länger nach als sonst und sagt dann, er fände das Wort Zuversicht besser: "Eine Gesellschaft ohne Zuversicht wird sterben."
Und trotz der Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten, trotz des überall stärker werdendem Rechtspopulismus, will Habeck an der Zuversicht festhalten. Er sagt aber auch: "Mein Job ist es im Moment, nicht erschöpft zu sein."
Zur Kanzlerkandidatur erstmal keine Auskunft...
Es ist gerade sehr wahrscheinlich, dass Habeck demnächst beides noch mehr braucht: Zuversicht und Energie. Denn seine Parteifreundin Außenministerin Annalena Baerbock will nicht noch einmal wie bei der Bundestagswahl 2021 Kanzlerkandidatin der Grünen sein.
Dies verkündete sie kürzlich am Rande des NATO-Gipfels in den USA in einem CNN-Interview. Und daheim in Deutschland gehen seitdem alle davon aus, dass sich an ihrer Stelle Habeck im nächsten Jahr um die Kanzlerschaft bewirbt. "Wir werden das rechtzeitig vor der Wahl klären", sagt er jetzt.
...aber ein Dementi klingt anders
Klingt nicht nach einem Dementi. Ist auch keines. Habeck legt noch einmal nach: "An allen Ecken und Kanten sehen wir, dass die Vorzeichen, die sich das Land in den vergangenen zehn oder zwanzig Jahren zurecht gelegt hat, komplett geändert haben. Russland, China, die USA sind nur Stichworte."
Rollt Habeck das Feld von hinten auf?
Es gibt also noch viel zu tun, heißt das wohl. In Habecks Ministerium und im Mitarbeiterstab lautet die Erzählung, man sei von Baerbocks Verzicht nicht überrascht.
Manch einer sieht Habecks Chancen, tatsächlich ins Kanzleramt einzuziehen, nicht einmal als komplett realitätsfern an. Und dies, trotz der niederschmetternden 11,9 Prozent für die Grünen bei der Europawahl Anfang Juni, nach über 20 Prozent bei der Europawahl 2019.
Denn die anderen Kanzler-Kandidaten, so das Argument, würden ja auch Fehler machen. Gemeint ist damit der oft zögerliche Bundeskanzler Olaf Scholz , der erneut für die SPD kandidieren könnte.
Gemeint ist aber auch der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz, der oft unbeherrscht auftrete. Ein zuversichtlicher Robert Habeck könne da doch vielleicht das Feld von hinten aufrollen.
Behörden bremsen
Dieser Gedanke scheint im Moment recht verwegen, bei all dem Streit in der Ampel-Regierung von SPD, Grünen und FDP, die so unbeliebt ist wie noch nie. Und bei all den großen Problemen des Landes.
Viele dieser Probleme - Fachkräftemangel, Bürokratie, Populismus - werden der Regierung angelastet. Wie gravierend diese sind, erfährt Habeck erneut auf seiner Sommerreise quer durch das Land, die ihn auch an die Uni nach Magdeburg geführt hat.
Ebenfalls in Magdeburg klagen die Inhaber einer jungen Firma, die Solarmodule recycelt, wie ihr unternehmerischer Erfolg durch die Behörden ausgebremst wird. Das Unternehmen verarbeitet aktuell 3000 Tonnen an Modulen, im nächsten Jahr könnten es sogar 10 000 Tonnen sein. Die Lagerfläche wurde erweitert, aber Genehmigungen der Behörden dafür lassen auf sich warten.
Kritik an Habecks Politikstil
Auch am Minister selbst gibt es viel Kritik seitens der Unternehmer. Seine Politik sei zu detailverliebt, klagen viele, er mache den Firmen viele unnötige Vorgaben.
Zu Jahresanfang sagte etwa Arbeitgeber-Präsident Rainer Dulger: "Die Unternehmen haben das Vertrauen in die Bundesregierung verloren."
Für Habeck ist die Skepsis vieler Unternehmer nicht neu. Zu harte Klimaschutzauflagen, zu viel Bürokratie, die schleppende Digitalisierung, diese Vorwürfe hört er oft.
Bei einer Veranstaltung der Handelskammer der östlichen Bundesländer lobt er deshalb erst einmal den deutschen Unternehmergeist: "Ich weiß, viele Diskussionen in den vergangenen Jahren haben viele Menschen verunsichert. Aber wenn wir was gelernt haben in den letzten zwei Jahren, dann, dass eine schrumpfende Wirtschaft schlecht ist für die Demokratie."
Niederlande locken mit Steuerrabatten
Schlecht für die Wirtschaft ist vor allem der Fachkräftemangel. In jedem Betrieb, den Habeck auf seiner Sommerreise besucht, wird über zu wenig Mitarbeiter geklagt.
Aber sofort gab es Kritik an diesem Plan, etwa vom Vorsitzenden der CSU-Landesgruppe im Bundestag, von Alexander Dobrindt. "Das ist ein echtes Inländer-Benachteiligungsprogramm, das sich die Ampel da ausgedacht hat", kritisierte er.
Habeck hält bei seinen Firmenbesuchen dagegen. Viele Länder wie etwa die Niederlande hätten solche Steuerrabatte längst eingeführt. Wenn Deutschland das nicht auch tue, drohten neue Belastungen für die Unternehmen.
"Es fehlen vor allem Hände und Köpfe, die die Arbeit machen", so der Minister. "Man redet von bis zu zwei Millionen Stellen, die heute nicht besetzt sind. Und es wird in den nächsten Jahren noch schwieriger werden, Fachkräfte zu finden. Denn die Baby-Boomer, also die geburtenstarken Jahrgänge der 60er, gehen in Rente."
Drei Jahre für eine Arbeitserlaubnis
Auch die Firma Ostbau in der Nähe von Stendal in Sachsen-Anhalt bittet Habeck, mehr gegen den Mangel an qualifizierten Mitarbeitern zu tun. Die Firmenchefs des Unternehmens mit 500 Angestellten, das Straßen baut und Breitbandkabel verlegt, schildern, wie Ausländerrecht und Bürokratie ihnen das Leben schwer machen .
So habe die Beantragung einer Arbeitserlaubnis für einen ehemals geflüchteten Iraner drei Jahre lang gedauert. Dieser hatte seine Ausbildung mit Bravour abgeschlossen, seine Frau arbeitete, und die Kinder kämen in Deutschland gut klar.
Habeck räumt die Probleme ein. "Wir müssen das ändern", sagt er. Behörden hätten oft Angst vor Veränderungen und würden dazu neigen, die Dinge so zu lassen, wie sie sind. Wie die ganze Gesellschaft. Ein Fehler, findet Habeck. Klingt jetzt schon so, als würde sich der Vizekanzler darauf vorbereiten, sich um das Kanzleramt zu bewerben.