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Robert Menasse erhält Deutschen Buchpreis

Sabine Peschel mit Agenturen
9. Oktober 2017

Der Autor hat mit seinem Roman "Die Hauptstadt" die wichtigste Auszeichnung der Branche bekommen. Das Buch über das politische Treiben in Brüssel ist ein Plädoyer für ein Europa jenseits nationaler Egoismen.

Deutscher Buchpreis 2017 | Robert Menasse, Preisträger
Bild: Imago/Hartenfelser

Bis der zu Tränen gerührte Robert Menasse ein "Danke" herausbrachte, dauerte es eine Zeit lang. Er sei sehr gerührt, den Preis erhalten zu haben. Zugleich sei er aber auch sicher, dass seine fünf Konkurrenten die Auszeichnung ebenso verdient gehabt hätten.

Die Jury des Deutschen Buchpreises begründete ihre Entscheidung mit den Worten: "Menasses Buch macht unmissverständlich klar: Die Ökonomie allein, sie wird uns keine friedliche Zukunft sichern können." Das Humane sei immer erstrebenswert, niemals zuverlässig gegeben: Dass dies auch auf die Europäische Union zutreffe, zeige Menasse mit seinem Roman auf eindringliche Weise.

Gelungenes Stimmungsbild der Europäischen Hauptstadt

In "Die Hauptstadt" geht es um das politische Treiben in Brüssel. Der Österreicher Robert Menasse hat für sein Buch vier Jahre vor Ort recherchiert und dabei einen liebevoll-kritischen Blick auf die EU-Bürokraten und ihre menschlichen Fehlbarkeiten entwickelt. Das Buch ist Satire, Krimi und Analyse zugleich - und außerdem ein Plädoyer für ein Europa jenseits nationaler Egoismen. Die siebenköpfige Jury würdigte das Buch als "vielschichtigen Text, der auf meisterhafte Weise existenzielle Fragen des Privaten und des Politischen miteinander verwebt und den Leser ins Offene entlässt". Dramaturgisch gekonnt, grabe Menasse "leichthändig in den Tiefenschichten jener Welt, die wir die unsere nennen".

Robert Menasse hat sehr viele europapolitische Diskussionen geführt, auch im Gefolge seiner Essaybände über Europa. 2012 schrieb er im "Europäischen Landboten" positiv über die übernationalen Institutionen und Bürokratien der EU. Jetzt will er eigentlich nur noch über seinen Roman diskutieren. Doch das Thema lässt ihn auch jenseits literarischer Überlegungen nicht los. "Das ist eine schleichende Revolution. Seit 60 Jahren werden systematisch gemeinsame Rahmenbedingungen für den ganzen Kontinent hergestellt. Und wenn das passiert, dann will ich wissen, wer macht das, und wie machen die das? Deshalb bin ich damals nach Brüssel geflogen."

"Man muss das Menschengemachte der EU erzählen"

"Ich halte jene für ahnungslos und fast schon gemeingefährlich, die sagen, die EU ist ein Problem, die hat uns unsere Souveränität genommen, wir müssen raus, das gehört zerstört", sagte Menasse im Interview nach der Preisvergabe. "Die Idee ist kühn, ist wichtig, und ist die einzige Chance für uns alle, noch Zukunft zu haben auf diesem Kontinent. Um diese Idee weiter zu entwickeln müssen wir alles kritisieren, was schief läuft, und um das zu können, müssen wir wissen, wie das alles funktioniert. Was sind das für Menschen, die da arbeiten? Worum geht es denen?" Es gebe viel zu erzählen, und es sei notwendig zu zeigen, dass die EU kein Abstraktum sei. "Was dort geschieht, ist menschengemacht, und alles, was menschengemacht ist, kann man und muss man erzählen." Das sei sein Ansatz als Romancier. "So kommen wir der Möglichkeit näher, unsere Zeitgenossenschaft zu reflektieren und sie besser zu verstehen. Und in sie einzugreifen!" 

Die "Europäische Republik" als konkrete Utopie

Robert Menasse wurde 1954 in Wien geboren. Sein jüdischer Vater war 1938 vor den Nationalsozialisten geflohen und erst nach Kriegsende nach Österreich zurückgekehrt. Menasse studierte Germanistik, Philosophie und Politikwissenschaft in Wien, Salzburg und Messina und promovierte 1980 mit einer Arbeit über den "Typus des Außenseiters im Literaturbetrieb". Bis 1988 arbeitete er als Lektor für österreichische Literatur und als Dozent am Institut für Literaturtheorie an der Universität São Paulo in Brasilien, wo er auch mit dem Schreiben begann. Der literarische Durchbruch gelang ihm 1995 mit dem Roman "Schubumkehr". Darin schildert er die Zeitenwende Ende der achtziger Jahre am Beispiel eines Dorfes an der österreichisch-tschechischen Grenze. 

Robert Menasse bei einer Podiumsdiskussion zu "Big Data in der EU" Bild: picture-alliance/APA/H. Neubauer

Mit der Europäischen Union und globalisierungskritischen Themen setzt sich Menasse in seinen Essays schon seit 2005 auseinander. Dabei stand er auch anfangs der Europäischen Union nicht grundsätzlich kritisch gegenüber, sondern begründet die demokratiepolitischen Defizite vor allem mit dem Einfluss und der Macht der einzelnen Nationalstaaten. Durch seine Brüsseler Erfahrung sei er nicht vom Saulus zum Paulus geworden, erzählt er in Frankfurt, "sondern vom 'Pauli', zum Paulus". Dass  die "Europäische Republik" für ihn eine konkrete Utopie sei, bekräftigte er schon 2013. 

Verlierer gehen nicht leer aus

"Ich bin außer mir", so reagiert der Autor auf die Journalisten-Frage, wie es ihm kurz nach der Auszeichnung gehe - mit einer galanten Anspielung auf den Romantitel seiner Mitfavoritin Sasha Marianna Salzmann. "Jeder Autor, der sagt, er wünscht sich einen solchen Preis nicht und er braucht ihn nicht, lügt." Nur mache er, seitdem er den Preis bekommen habe, eine verblüffende Beobachtung. "Ich habe das Gefühl, ich bin ein Hochstapler, der über einen Roman redet, den wer anderer geschrieben hat." 

Für das Finale um den besten deutschsprachigen Roman des Jahres waren außerdem nominiert: Gerhard Falkner ("Romeo oder Julia"), Franzobel ("Das Floß der Medusa"), Thomas Lehr ("Schlafende Sonne"), Marion Poschmann ("Die Kieferninseln") und Sasha Marianna Salzmann ("Außer sich"). Sie erhalten jeweils 2500 Euro. Im vergangenen Jahr gewann Bodo Kirchhoff mit "Widerfahrnis" den Deutschen Buchpreis.

Seit 2005 wird die Auszeichnung jährlich vom Börsenverein des Deutschen Buchhandels vergeben. Er will den besten Roman des Jahres in deutscher Sprache küren. Verlage aus Deutschland, Österreich und der Schweiz dürfen Titel einreichen. Eine siebenköpfige Jury, deren Besetzung jährlich wechselt, wählt zunächst 20 Titel für die Longlist aus. Auf die Shortlist kommen dann jeweils fünf bis sechs Autoren. Der Sieger erhält 25.000 Euro und dem Werk ist in der Regel auch ein Platz auf der Bestsellerliste sicher. Die feierliche Zeremonie findet jedes Jahr im Frankfurter Rathaus, dem Römer, statt, am Tag vor der Eröffnung der Frankfurter Buchmesse.

Ein Roman über Brüsseler Bürokraten und die Seele Europas

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