Robert Schneider: "Schlafes Bruder"
7. Oktober 2018"Das ist die Geschichte des Musikers Johannes Elias Alder, der zweiundzwanzigjährig sein Leben zu Tode brachte, nachdem er beschlossen hatte, nicht mehr zu schlafen."
So beginnt Robert Schneiders Debütroman aus dem Jahre 1992, der zu einem sensationellen literarischen Erfolg geriet und in den folgenden Jahren in viele Sprachen übersetzt, verfilmt und zu einem Theaterstück sowie einer Oper umgearbeitet wurde.
Düstere Grundstimmung
Schon mit dem ersten Satz ist klar: Der literarische Held wird sterben. Und so liegt von Beginn an etwas Düsteres, Schwermütiges über diesem Roman. Das kurze Leben des Johannes Elias Alder, von dem Schneider erzählt, spielt sich zu Beginn des 19. Jahrhunderts ab. Schauplatz ist ein von Inzucht und geistiger Enge geprägtes vorarlbergisches Dorf - nur auf zwei Familiennamen trifft man dort!
Das Buch erzählt die Geschichte eines sonderbaren Jungen. Schon früh nämlich wird klar, dass das Dorf hier plötzlich einen ganz besonderen Menschen unter sich hat, ein Kind, das anders aussieht als die ansonsten grobschlächtige bäuerliche Bevölkerung, das sich anders gebärdet, anders ausdrückt..
Und das dann - von seinem Autor - auch noch mit einem besonderen Talent ausgestattet wird. Elias hat im zarten Alter von Fünf ein Erweckungserlebnis:
"Geräusche, Laute, Klänge und Töne taten sich auf, die er bis dahin noch nie gehört hatte. Elias hörte nicht bloß, er sah das Tönen. Sah, wie sich die Luft unaufhörlich verdichtete und wieder dehnte. Sah in die Täler der Klänge und sah in ihre gigantischen Gebirge. Er sah das Summen seines eigenen Blutes, das Knistern der Haarbüschel in den Fäustchen."
Elias entwickelt nach diesem sonderlichen Ereignis, bei dem er offensichtlich das absolute Gehör erringt, in der Folge auch noch ein außerordentliches musikalisches Talent - was ihn zum Kirchenorganisten werden lässt:
"Und Elias jubilierte. Komponierte ein Adiago von so anrührender Zartheit, dass den Bauern die klammkalten Hände plötzlich warm wurden. Figurierte den Choral 'Christ lag in Todesbanden' in martialischen Motiven und endigte schließlich mit einem riesenhaften Postludium, welches er über das Metrum von Elsbeths Herzschlagen aufgebaut hatte."
Liebe, Eros und Gottesglaube
Nur mit einer Sache will es nicht so recht klappen, mit den Herzensangelegenheiten. Elias' große Liebe zu Elsbeth wird durch Dorfintrigen und das böse Spiel seines Freundes Peter im Keim zerstört. Elias wendet sich von Elsbeth und damit auch vom Gottesglauben ab. Auch wenn Schneider seiner Hauptfigur später noch einmal eine kurzzeitige Rückkehr zur Liebe gewährt, so ist das Spiel für den sensiblen und musikalisch so talentierten jungen Mann doch aussichtslos und verloren.
Eine unerklärliche Todessehnsucht übermannt ihn, Elias begibt sich mit Hilfe von Tollkirschen auf den Weg in den Tod. Schlafentzug als quälende Selbstmordart - bis zum Ende hin verzichtet Robert Schneider in "Schlafes Bruder" nicht auf seine stark melodramatisch überzeichneten erzählerischen Momente.
Auf den Spuren der großen Romantiker
"Schlafes Bruder" ist ein ferner Nachkomme deutscher Romantiker, Novalis, Tieck und E.T.A. Hoffmann haben Pate gestanden. Schneiders Sprache ist durchsetzt von altertümlich klingendem Deutsch, viel Dialekt, phantastischen Wortschöpfungen - und von einer Menge Pathos getränkt. Es ist ein sprachmächtiges Buch, das schon beim Erscheinen vor einem Vierteljahrhundert aus der Zeit gefallen schien. Heute wirkt dieser Effekt noch stärker.
Das spricht nicht gegen den Roman. "Schlafes Bruder" von Robert Schneider entzieht sich den allermeisten Kategorien der deutschsprachigen Literatur der letzten Jahrzehnte - ein literarisches Unikum.
Robert Schneider: "Schlafes Bruder" (1992), ReclamVerlag
Robert Schneider, 1961 in Bregenz/Voralberg geboren, hatte vor allem mit seinem 1992 bei Reclam erschienenen Debütroman "Schlafes Bruder" großen Erfolg. Das Buch wurde in über 35 Sprachen übersetzt. 1995 wurde es erfolgreich fürs Kino verfilmt und u.a. für einen Golden Globe nominiert. Der Stoff wurde auch zu einer Oper, einem Ballett und mehreren Theaterstück-Versionen umgearbeitet.