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Literatur

Roberto Saviano und die Mafia

Maria-Therese Eiblmeier
10. März 2018

Statt der "Ehrenwerten Gesellschaft" regieren heute jugendliche "Baby-Gangs" die Mafia-Szene Neapels – oft noch skrupelloser als ihre Vorgänger. Um sie dreht sich Roberto Savianos Buch "Der Clan der Kinder".

Der Italienische Autor Roberto Saviano auf der Lit Cologne
Verfolgt, aber nicht getrieben: Roberto Saviano auf der Lit.CologneBild: Imago/Horst Galuschka

Es herrscht Chaos im Vorraum der Kölner Balloni-Hallen, wo Roberto Saviano im Rahmen des Literaturfestivals Lit.Cologne gleich sein Buch "Der Clan der Kinder" vorstellen wird. Lange Schlangen haben sich vor der Garderobe gebildet, denn kein Gast darf auch nur eine Jacke oder eine kleine Tasche mit in den von Bodyguards gesicherten Saal nehmen. Das Murren der Besucher endet abrupt, als Moderator Markus Feldenkirchen in den Raum wirft, dieser Aufwand sei minimal im Vergleich zu dem, was Saviano jeden Tag auf sich nehmen müsse. Der italienische Autor lebt wegen Morddrohungen der Mafia seit über zehn Jahren unter ständigem Polizeischutz. Dennoch wirkt er während der Lesung entspannt. Sein bester Schutz sei schließlich die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit, erklärt er.

Staatsversagen macht aus Kindern Kriminelle

"Der Unschuld der schuldigen Toten" widmet Roberto Saviano seinen Roman auf der ersten Seite – eine Anspielung auf die jugendlichen Protagonisten, die im Laufe des Buches zu Tätern und Opfern werden. Die Grenzen zwischen Schuld und Unschuld lässt Saviano bewusst verschwimmen. Wenn aus unschuldigen Kindern grausame Killer werden, hat dann nicht auch der Staat versagt? Mit dieser Frage beschäftigt sich das Werk des italienischen Autors, das in Italien bereits 2016 veröffentlicht worden war und nun auf Deutsch erschienen ist. Gerade die Deutschen müssten endlich zum Hinschauen gezwungen werden, stellt Saviano klar, denn obwohl viele der Meinung seien, die Mafia sei ein italienisches, russisches oder albanisches Phänomen, gelte Deutschland in kriminellen Kreisen längst als neues Eldorado.

Tumult nach einer Mafia-Schießerei in Neapel Bild: picture-alliance/dpa/C. Abbate

Wenig Licht und viel Schatten bestimmen die Szenerie seines Romans. Umso mehr versprechen sich dessen Protagonisten vom einzigen Glanz, der ihnen erstrebenswert scheint: dem schnellen Geld. Die zehn Jungen aus Forcella im Zentrum Neapels möchten das Viertel zu ihrem Viertel machen, Bosse werden, kommandieren. Skrupellos und gewaltbereit überschreiten sie bald die Grenzen jeglicher Humanität.

Von Fischen und Netzen

Im Original lautet der Titel zu Savianos Buch "La paranza dei Bambini", eine Metapher, die im Roman immer wieder aufgegriffen wird. "Paranza" hat im Italienischen verschiedene Bedeutungen, unter anderem ist es die Bezeichnung für eine Fischfang-Methode, bei der die Fische nachts mithilfe von Licht in die Netze gelockt werden. Vor allem junge Tiere fallen auf die Masche herein. Am Golf von Neapel ist "paranza" aber auch als Ausdruck für eine Gruppe jeder Art von Krimineller gebräuchlich.

So sind auch die Jugendlichen aus Forcella unter ihrem Anführer Nicolas anfangs nicht viel mehr als von ihrem Machtstreben geblendete junge Fische, die bereit sind, bis zum Äußersten zu gehen. Im Laufe des Romans verwandeln sie sich immer mehr in unbarmherzige Kriminelle. Aus den kleinen Fischen werden Haie.

Zwischen Fiktion und Realität

Bild: Hanser Literaturverlag

"Der Clan der Kinder" ist Savianos erster Roman nach mehreren investigativen Recherchen, die der italienische Autor bereits zum organisierten Verbrechen verfasst hat. Mit seinem 2006 erschienenen Sachbuch-Bestseller "Gomorrha" über die Machenschaften der neapolitanischen Mafia hatte Saviano erstmals den Hass der Bosse auf sich gezogen und lebt seither unter Polizeischutz an ständig wechselnden Orten. Aus seinem Leben sei ein kontrollierter Hausarrest geworden, erzählt er. Noch heute bereue er es, "Gomorrha" jemals geschrieben zu haben. Zudem verletzt es ihn, von einigen Neapolitanern als "sputanapoli" beschimpft zu werden, als Nestbeschmutzer, der auf seine Heimatstadt spuckt, anstatt deren Schönheit hervorzuheben. 

"Kein 15-Jähriger, der kriminell wird, ist alleine Schuld daran"

Obwohl die Handlung seines neuen Romans fiktiv ist, ließ sich Saviano auch für "Der Clan der Kinder" von der Realität inspirieren. Der Sommer vor der italienischen Veröffentlichung hatte es in Savianos Heimatstadt Neapel als "blutiger Sommer" landesweit in die Medien geschafft. Binnen weniger Monate waren dort so viele Menschen getötet worden, dass Gennaro Buonerba, ein stadtbekannter Mafioso, schon zynisch prahlte, die Stadt sei mittlerweile schlimmer als Bagdad. Die Biographie eines in jenem Sommer ermordeten Jugendlichen diente Saviano als Inspiration für seine Hauptfigur Nicolas. Emanuele Sibillo wurde bereits als Jugendlicher zum Boss seines Viertels und als 20-Jähriger 2015 von Mitgliedern eines verfeindeten Clans auf offener Straße erschlagen. Geschichten wie seine,so Saviano, ließen sich in Romanform besser greifbar machen. Er habe richtig in die Personen hineinschlüpfen wollen, denn die Biografien der Jugendlichen rührten ihn. "Kein 15-Jähriger, der kriminell wird, ist allein Schuld daran", ist der Autor überzeugt.

Machtvakuum in Neapels krimineller Szene

Die Welt der Babybosse

04:44

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In der Stadt am Golf hat sich die Lage seit der Erscheinung "Gomorrhas" 2006 noch einmal verschlechtert. Die ehemalige Riege mächtiger Mafiabosse, die sich selbst als "Ehrenwerte Gesellschaft" inszenierten, war mit den Jahren verhaftet worden, gestorben oder hatte als Kronzeugen mit der Justiz kollaboriert und danach Neapel verlassen. Zurück blieb ein Machtvakuum, das von verschiedenen Gruppen gefüllt wurde, unter anderem von den als "Baby-Bossen" verniedlichten Nachkommen der mächtigen Clans - Jungs, die oft gerade mal 18, 19 Jahre alt sind. Aber auch Jugendliche aus Familien ohne Verbindungen zur Camorra mischen sich mehr und mehr in die Szene ein. Ständige Revierkämpfe und spontane Schusswechsel fordern immer wieder unbeteiligte Opfer. Die Willkürlichkeit der Gewalt sei in diesem Ausmaß neu, sagt Saviano, denn das Risiko eines plötzlichen Todes schrecke die Jungen nicht ab: "Älter als 20 wollen sie ohnehin nicht werden, sondern lieber als Legenden sterben."

Armut und Arbeitslosigkeit 

Der Reiz des schnellen Geldes durch Drogenhandel und andere kriminelle Machenschaften ist besonders verlockend in einer Umgebung, die Jugendlichen ansonsten wenig Perspektiven bietet. Süditalien verzeichnet EU-weit die höchste Jugendarbeitslosigkeit. Neapel ist die Hauptstadt der Region Kampanien, in der jeder Zweite zwischen 15 und 24 Jahren aktuell laut des italienischen Statistik-Instituts Istat arbeitslos ist. Saviano macht für die gescheiterten Existenzen der "Baby-Bosse" den Raubtier-Kapitalismus verantwortlich. Solange von den multinationalen Konzernen Ausbeutung und Steuerhinterziehung vorgelebt werde, könne niemand den Jugendlichen vorwerfen, sich nicht brav an die staatlichen Regeln zu halten. Die globale Wirtschaft müsse insgesamt humaner werden, fordert Saviano. Licht am Horizont

Im Krieg der Mafia-Clans fließt regelmäßig BlutBild: picture-alliance/dpa/Fusco

Raum für Hoffnung bleibt im Roman kaum. Die Verrohung der Jugendlichen scheint unaufhaltsam. Auch in der Realität sieht Roberto Saviano von Seiten des Staates keine erfolgsversprechenden Bemühungen, um den Krieg der Jungen in den Vierteln Neapels zu beenden. Seine einzige Hoffnung ruht auf Bürgerinitiativen, die in Theater- oder Orchesterensembles versuchen, die Kinder von der Straße zu holen. Ein kleiner Lichtschimmer, der vielleicht einige der orientierungslosen Fische anlockt, bevor sie in die Fänge des organisierten Verbrechens geraten.

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