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Italien gewinnt den ESC mit Rock

23. Mai 2021

Rock schlägt Chanson und Glitzer-Glamour: Måneskin aus Italien holt den Sieg beim Eurovision Song Contest. Aus Rotterdam Bernd Riegert.

Måneskin auf der Bühne mit Siegerpokal beim ESC
An die Spitze gerockt: Måneskin freuen sich über den Siegerpokal Bild: Piroschka van de Wouw/REUTERS

Da flossen auch bei den hartgesottenen Rockern von Måneskin ein paar Tränen, als mit der letzten Punktvergabe klar war, dass Italien den Eurovision Song Contest im niederländischen Rotterdam gewonnen hat. "Rock 'n' Roll never dies", zu deutsch "Rock 'n' roll stirbt nie", schrie Band-Sänger Damiano David nach dem Sieg ins Mikrofon. 31 Jahre ist es her, dass sich Italien zum letzen Mal die Trophäe holte.
524 Punkte vor allem aus dem Telefon-Voting und weniger aus der Jury-Beurteilung in 39 Ländern brachten den ersehnten Sieg, knapp vor Frankreich mit 499 und der Schweiz mit 432 Punkten. Als die italienische Band ihren Titel "Zitti e buoni" um kurz vor ein Uhr Ortszeit noch einmal live spielte, hielt es auch die Konkurrenz nicht mehr auf ihren Sofas. Die begeisterten Zuschauerinnen und Zuschauer im Saal tanzten mit. Die Arena in Rotterdam rockte, während goldenes Konfetti vom Hallendach regnete.

Goldregen für die glücklichen Gewinner Bild: Kenzo Tribouillard/AFP

Weder fügsam noch sittsam

Die vier jungen Rocker von Måneskin singen in ihrem selbstgeschriebenen Song, dass sie verrückt, aber auch anders als alle anderen sind. Mit dem Schrei der italienischen Jugend nach mehr Anerkennung hatte die Band bereits das sonst eher verschlafene San Remo Festival in Italien als beste Nachwuchstruppe gewonnen. "Fügsam und gesittet" heißt der Siegertitel ins Deutsche übersetzt; das ist natürlich das genaue Gegenteil dessen, was der Text aussagt, der in aubergine-farbenem Kunstleder-Kostüm mit nacktem Oberkörper vor Rauchschwaden und Feuersäulen in bester Rockermanier vorgetragen wurde. Für den ESC musste der Song, der einige deftige italienische Kraftausdrücke enthielt, extra umgeschrieben und familiengerecht "entschärft" werden.

So wie sich das für eine Rockband gehört: Måneskin mit Feuersäulen und Rauch auf der gigantischen BühneBild: Andres Putting/EBU

Melodische Französin kommt nur auf Platz 2

Abgehängt hat Måneskin Frankreich und die Schweiz. Der Chanson der französischen Interpretin Barbara Pravi lag - abwechselnd mit der Ballade des schmachtenden Schweizer Sängers Gjon's Tears - lange vorne, bis die Punkte aus dem Televoting des Publikums Italien nach oben katapultierten. Die eher traditionellen Eurovision-Songs aus Frankreich und der Schweiz waren melodischer und stimmlich sicherlich besser als der Beitrag der röhrenden Maneskin-Rocker, aber beim Eurovision-Wettbewerb gewinnen oft auch ungewöhnliche Vorträge. Die Wettbüros hatten Italien ohnehin schon seit Tagen ganz vorne gesehen.

Hohe Stimme, viel Emotionen: Gjon's Tears aus der Schweiz auf Platz 3Bild: Vyacheslav Prokofyev/TASS/dpa/picture alliance

Islands Band in Quarantäne

Enttäuscht dürften die Sängerin Destiny aus Malta und die isländische Combo "Dani og Gagnamagnin" sein. Sie zählten ebenfalls zu den Favoriten, konnten sich aber mit Soul beziehungsweise Elektropop nicht durchsetzen. Die Isländer waren gehandicapt, weil die Band nach einem Corona-Fall im Hotel in Quarantäne saß und nur als Video-Clip am Wettbewerb teilnehmen konnte. Da fehlte vielleicht der direkte Kontakt zum Publikum, um überzeugender rüberzukommen. Island hatte auch einen skurrilen Auftritt bei der Vergabe der berühmten 12 Punkte: Der Jury-Sprecher wollte unbedingt das Lied "Ja Ja Ding Dong" bewerten; das stand aber gar nicht im Wettbewerb, sondern stammt aus einem Netflix-Film, der in Island ungemein populär ist und von einem fiktiven Sieg Islands beim ESC handelt.

Gert-Jan Verboom: Die Show fand er toll, obwohl er eigentlich für Malta gestimmt hatBild: Bernd Riegert/DW

"Pandemie mal vergessen"

"Für ein paar Stunden wollen wir die Pandemie da draußen vergessen", sagte die Moderatorin Nikki zu Beginn der Show. Und der Saal tobte. 3500 Zuschauerinnen und Zuschauer, hauptsächlich aus den Niederlanden, waren zugelassen. Alle negativ auf Corona getestet. Manche hatten Tränen in den Augen, als sie das erste Mal in die Halle kamen. "Einfach fantastisch, diese Show", lobte Gert-Jan Verbloom aus Rotterdam das bühnentechnisch aufwendige Spektakel. Endlich wieder zusammen singen und jubeln, nachdem das Spektakel im letzten Jahr ausgefallen war. Eine Maske musste auf dem Sitzplatz nicht getragen werden. Die European Broadcasting Union (EBU) teilte mit, dass von fast 25.000 Corona-Tests, die in den zwei Wochen Produktionszeit in der Ahoy-Arena gemacht wurden, nur 16 positiv ausfielen. Die Zuschauerinnen und Zuschauer werden fünf Tage nach dem Finale noch einmal getestet. Dann soll wissenschaftlich ausgewertet werden, ob diese erste kulturelle Großveranstaltung nach dem Lockdown in den Niederlanden zu einem Ansteigen der Infektionszahlen geführt hat.

Germany: 3 points. Jendriks bunter Knallbonbon-Auftritt kam beim Publikum nicht anBild: ANP/imago images

Deutschland: 3 Punkte

Der deutsche Teilnehmer kam mit seiner lustigen Step-Nummer "I don't feel hate", die aussah wie ein Comic-Strip, mit nur 3 Punkten auf den vorletzten Platz. Jendrik Sigwart aus Hamburg, der für den ESC sein erstes Lied überhaupt produziert hat, gab sich schon vor dem Finale bescheiden. "Ich bin immer noch ich. Nach dem ESC wird man nicht zum Star. Dazu müsste man erstens erst einmal gewinnen, was sehr unwahrscheinlich ist, und zweitens irgendwas anderes machen als ESC", sagte Jendrik der DW.

Ein Foto fürs Fan-Album: Alle feiern sich und die bunte Vielfalt beim ESCBild: Bernd Riegert/DW

Bunte Mischung zählt

Der ESC ist ein Festival der Diversität. Hier wird keiner nach Herkunft, Geschlecht oder sexueller Orientierung beurteilt. Auch der Wettkampf der Nationen untereinander ist nicht so ernst gemeint. So erhielt der britische Sänger kräftigen Applaus, obwohl er null Punkte holte.

Oft treten Teilnehmer für ein Land an, dessen Staatsbürgerschaft sie gar nicht besitzen. In diesem Jahr sang für Griechenland eine Niederländerin, ein US-Rapper unterstützte San Marino. Die Lieder werden meist von internationalen Teams geschrieben und produziert. Das Lied der Schweiz zum Beispiel stammte dieses Jahr teilweise aus den Niederlanden. Der Teilnehmer für die Niederlande, Jeangu Macrooy, stammt aus dem südamerikanischen Suriname. Für ihn als schwulen Mann sei es wichtig, dass heute so viele Menschen aus der LGBTQ-Gemeinschaft für ihre Rechte einstehen könnten, sagte er. Das sei das Thema seines Song "Birth of a new Age". Es reichte nur für Platz 23.

Rotterdam hatte sich geschmückt: Siegertitel aus den letzten 65 Jahren als Spruchbänder in den StraßenBild: Bernd Riegert/DW

Nächstes Jahr: Wiedersehen in Italien

Peter Jan de Werk ist von Kindesbeinen an Fan des ESC. Er war zum ersten Mal live dabei - und ist selig. Das Leben kehre für ihn zurück, schwärmt der Rotterdamer nach über einem Jahr Corona-Beschränkungen. Im nächsten Jahr will er unbedingt nach Rom fahren. Das Siegerland richtet traditionell die nächste Show aus. "Wenn ich die Chance habe, das noch einmal zu machen, werde ich es auf jeden Fall tun. Ich würde alles stehen und liegen lassen, weil es einfach so ein tolles Erlebnis ist."

ESC goes to America

Der Eurovision Song Contest, der seit 65 Jahren besteht und die älteste TV-Musikshow der Welt ist, bekommt übrigens einen Ableger. Der Sender NBC in den USA will das erfolgreiche Konzept kopieren und einen "American Song Contest" mit allen Bundesstaaten organisieren. Ein entsprechender Vertrag wurde Anfang Mai von der EBU und einer amerikanischen Produktionsfirma unterzeichnet. Im Sommer 2022 soll es losgehen. 

Die Deutschen und der Eurovision Song Contest

04:37

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Bernd Riegert Korrespondent in Brüssel mit Blick auf Menschen, Geschichten und Politik in der Europäischen Union
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