Verfolgt, verraten, verkauft
8. Juni 2015Sorgfältig knetet Salim den Teig, den er in einer großen weißen Plastikwanne vor sich vorbereitet hat. Er sitzt auf dem Boden, einen bordeauxroten Longyi um die Hüften gebunden, den traditionellen burmesischen Wickelrock. Er trägt ein T-Shirt mit der Aufschrift: "Rettet die Rohingya". In seinem Zimmer, irgendwo im Norden Bangkoks, gibt es keine Möbel. Eine Decke auf dem Boden dient ihm als Bett und in der Ecke wirbelt ein Ventilator, der die Schwüle ein bisschen erträglicher macht. Salim besitzt nicht viel, aber immerhin muss er hier nicht um sein Leben fürchten. "Zuhause bin ich oft nachts wach gelegen", erzählt er, "denn in der Nacht kamen sie und brannten die Häuser nieder."
In Wirklichkeit heißt Salim anders. Aber er will nicht erkannt werden, weil er illegal nach Thailand gekommen ist. Salim ist Rohingya, aus dem Bundesstaat Rakhine. Der liegt im Westen Myanmars, an der Grenze zu Bangladesch. Vor etwa eineinhalb Jahren floh er von dort, weil er die Diskriminierung und die Verfolgung durch lokale Banden, aber auch durch die Behörden nicht mehr ertragen hat. "Wenn ich auf die Felder ging, um zu arbeiten, traten und schlugen sie mich mit ihren Fäusten und Stöcken", erzählt er. "Und in der Schule sagten sie uns: 'Ihr gehört nicht hierher, das ist nicht euer Land, ihr seid Ausländer hier.'"
Flucht als letzter Ausweg
Seit Jahrzehnten werden ethnische Rohingya in Myanmar diskriminiert. 1982 wurde ihnen die Staatsbürgerschaft entzogen. Außer Kontrolle geriet die Lage im Sommer 2012. 200 Menschen wurden bei religiös motivierten Ausschreitungen in Rakhine getötet, mehr als 100.000 verloren ihr Zuhause. Die Vereinten Nationen schätzen, dass seit dem mehr als 120.000 Rohingya aus Myanmar geflohen sind. Und einer von ihnen ist Salim.
Im Oktober 2013 entschließt er sich zu fliehen. Er stiehlt Geld von seinen Eltern und macht sich auf den Weg. Zuerst in die nahegelegene Küstenstadt Maungdaw, an der Grenze zu Bangladesch. Dort wird er zusammen mit 50 anderen Flüchtlingen auf ein kleines Boot geladen und aufs offene Meer gebracht. Dort wartet bereits ein größeres Schiff. Eigentlich vorgesehen für den Holzschmuggel. Aber jetzt drängen sich darauf Hunderte Flüchtlinge aus Myanmar und Bangladesch, unter menschenunwürdigen Bedingungen. "Die Wächter gaben uns nur etwas getrockneten Reis zu essen und zu trinken bekamen wir salziges Wasser", erinnert sich Salim. "Außerdem schlugen sie uns ständig. Sie wollten, dass wir schwach sind, damit wir uns nicht wehren können." Viele der Schleuser sind selbst Rohingya. Aber das hält sie nicht davon ab, die Wehrlosigkeit ihrer Fracht gnadenlos auszunutzen. "Nachts brachten sie die Frauen in einen abgetrennten Raum", erzählt Salim, "und dann hörten wir ihre Schreie."
Misshandelt und versklavt
In Bangkok lebt Salim Tür and Tür mit seinem älteren Bruder Rafik und dessen Frau Hamida. Auch sie sind Rohingya, auch sie sind Flüchtlinge. Hamida ist 19. Im Schneidersitz sitzt sie auf einer Steppdecke und stillt ihre zwei Monate alte Tochter. Hamidas warmherziges Lächeln täuscht über das unvorstellbare Leid hinweg, dass sei auf ihrer Flucht erfahren hat. Auch sie ist mit dem Boot aus Myanmar gekommen. Für die Überfahrt bezahlte sie mit ihrem wertvollsten Besitz: einer goldenen Kette. Was sie damals noch nicht ahnt, der Preis für ihre Reise war schließlich sehr viel höher.
Sobald Hamida in Thailand angekommen war, verkauften die Menschenhändler sie weiter, an einen Malaysier. Für die nächsten zwei Monate war sie sein Sklave, eingesperrt in einem kleinen Zimmer seines Hauses. Was genau ihr dort widerfahren ist, darüber will Hamida nicht sprechen. Auf die Frage, ob der Mann ihr weh getan habe, nickt sie still.
Schuldgefühle der Opfer
Auch Hamidas Schwager Salim konnte sich vorher nicht vorstellen, zu welchen Grausamkeiten die Menschenhändler fähig sind. Nach der zweiwöchigen Überfahrt wird er in ein Gefangenenlager gebracht, tief im thailändischen Dschungel. "Wir mussten die ganze Zeit auf dem aufgeweichten Boden sitzen", erzählt er. "Es regnete ständig und wenn wir uns bewegten, wurden wir geschlagen." Viele überlebten diese Tortur nicht. "Jeden Tag habe ich ein oder zwei Menschen sterben sehen", erinnert er sich, "und diejenigen von uns, die noch stark genug waren, mussten ihre Leichen dann begraben." Ob das Lager, in das er gebracht wurde, eines der Lager ist, die von den thailändischen Behörden vor einigen Wochen entdeckt wurden, weiß Salim nicht. Aber dort, wo er war, sah es ähnlich aus.
Die Schlepper hielten die Flüchtlinge solange in den Lagern fest, bis ihre Familien Lösegeld bezahlten. "Sie sagten, wenn deine Familie nicht zahlt, dann stirbst du hier. Es ist uns egal, was mit dir passiert, aber ohne Geld kommst du hier nicht lebend weg." 60.000 thailändische Baht, umgerechnet rund 1600 Euro, verlangten die Erpresser von Salims Familie. Sie mussten ihren gesamten Besitz verkaufen, ein kleines Stück Land und zwei Kühe, um die Summe aufzubringen. "Ich kann gar nicht in Worte fassen, welche Schuld ich verspüre. Wegen mir haben sie alles verloren. Wegen mir müssen sich meine jüngeren Brüder als Tagelöhner verdingen, damit meine Familie überhaupt etwas zu essen hat. Wenn ich das gewusst hätte, wäre ich niemals abgehauen."
Myanmar entzieht sich der Verantwortung
Salim formt kleine Bällchen aus dem Brotteig, den er inzwischen fertig geknetet hat, drückt die Masse durch den Ring, den er zwischen Daumen und Zeigefinger geformt hat. Am Nachmittag wird er dann seinen kleinen Essenswagen wie jeden Tag durch die Straßen Bangkoks schieben und die frittierten Fladenbrötchen als Snack verkaufen. 'Roti' nennen sie das hier. Zusammen mit Banane und pappsüßer Kondensmilch sehr beliebt bei den Thais. Für die Rohingya-Flüchtlinge ist diese Arbeit oft die einzige Möglichkeit, Geld zu verdienen. Mit dem Erlös kommt Salim kaum über die Runden. Nach Abzug der Miete und der Raten, die er für den Kauf seiner Garküche abbezahlen muss, bleibt ihm selbst kaum genug. Daran, Geld nach Hause zu schicken, um seine Familie zu unterstützen, ist gar nicht zu denken.
Für Salim ist klar, wer für das Schicksal der Rohingya in Myanmar verantwortlich ist. "Die Schuld trägt die myanmarische Regierung", sagt er. "Die sollten uns endlich unsere Rechte zurückgeben, unsere Staatsbürgerschaft und aufhören uns zu diskriminieren." Doch Salims Forderung wird auf absehbare Zeit nicht berücksichtigt werden. Erst vergangene Woche hat die Regierung von Myanmar ein Gesetz verabschiedet, dass es den Behörden erlaubt, eine strengere Familienplanung durchzusetzen. Demnach müssen Frauen zwischen zwei Geburten drei Jahre warten. Kritiker befürchten, dass diese Regelung vor allem gegen die Rohingya zum Einsatz gebracht werden könnte. Es sieht also nicht danach aus, als würde sich deren Situation in Myanmar in absehbarer Zeit verbessern.