Rolle der Hisbollah im Konflikt mit Iran unklar
16. Juni 2025
Nach dem israelischen Angriff auf den Iran ist die Anspannung im Nahen Osten enorm gestiegen. Doch die Hisbollah, einst die vom Iran am besten ausgerüstete und größte Miliz in der Region, beschränkte sich bislang darauf, die Attacke zu verurteilen. In ihrer Erklärung sprach sie dem Regime in Teheran zwar ihr Beileid für die Getöteten aus, bot jedoch nicht an, sich an iranischen Vergeltungsmaßnahmen zu beteiligen - und das, obwohl der Libanon direkt an Israel grenzt.
"Früher galt die Regel, dass der Iran, wenn er auf seinem Territorium angegriffen wird, zunächst von seinem Territorium aus Vergeltungsmaßnahmen ergreift", sagt Heiko Wimmen vom Think Tank International Crisis Group der DW. Doch diese Regel könnte sich geändert haben. "Deswegen ist es möglich, dass die Hisbollah noch auf eine klare Anweisung aus dem Iran wartet."
Eine andere Erklärung bietet der in Beirut ansässige Politikanalyst und Moderator des Podcast "The Beirut Banyan", Ronnie Chatah: "Aufgrund der schweren Verluste der Hisbollah im Krieg mit Israel im vergangenen Jahr kann der Iran derzeit nicht so leicht Vergeltungsmaßnahmen aus dem Libanon heraus ergreifen", sagt er im DW-Interview. Irans ehemaliges "Kronjuwel" könnte seine Rolle als "vorderste Verteidigungslinie Teherans nach außen" nicht mehr erfüllen.
Dennoch könne man angesichts der allgemeinen Trends in der Region und der Reaktionen der Hisbollah davon ausgehen, dass die Hisbollah selbst in ihrem angeschlagenen Zustand noch eine Rolle im Sicherheitskalkül Teherans spiele.
Hisbollah: zu schwach oder zu beschäftigt?
"Womöglich schweigt die Hisbollah auch, weil sie sich für eine interne Umstrukturierung entscheiden hat", sagt Wimmen. So könnte sie derzeit damit beschäftigt sein, eine neue Führung zu ernennen und sich auf die Waffenproduktion vor Ort zu konzentrieren, um unabhängiger von iranischen Lieferungen zu werden. "Außerdem weiß niemand wirklich, was mit den strategischen Raketen geschah, die die Hisbollah angeblich besaß, aber im Krieg des vergangenen Jahres nie gegen Israel einsetzte."
Im November 2024 beendete ein Waffenstillstand die mehr als elf Monate andauernden Gefechte und einen von der Hisbollah ausgelösten zweimonatigen Krieg, in dem Israel schließlich den Großteil der Führungsriege der Hisbollah tötete. Zudem zerstörte Israel große Teile der von der Miliz errichteten Infrastruktur sowie den Süden des Libanon und weite Teile Beiruts. Rund 4000 Menschen kamen dabei ums Leben.
Trotz des Waffenstillstands greift Israel immer wieder Orte an, die angeblich mit der Hisbollah in Verbindung stehen. Letzte Woche attackierte das israelische Militär einen von der Hisbollah kontrollierten Vorort von Beirut. Die Armee erklärte, sie habe die unterirdischen Drohnenfabriken der Miliz angegriffen. Vertreter der Hisbollah, deren militärischer Flügel von den USA, Deutschland und mehreren arabischen Staaten als terroristische Organisation eingestuft wird, dementierten die Existenz solcher Anlagen.
Dennoch ist nicht ausgeschlossen, dass die Miliz sich weiterhin aufzurüsten versucht.
"Nachdem die jüngsten Rückschläge die Fähigkeit der Hisbollah erschwert haben, iranische Waffen zu beschaffen und in den Libanon zu schmuggeln, könnte diese nun versuchen, die inländische Drohnenproduktion zu priorisieren", heißt es in einem aktuellen Report des Think Tanks Institute for the Study of War. Träfe dies zu, entspräche es zwar dem früheren Selbstverständnis der Hisbollah, die sich stets als gut ausgerüstete Gruppe sah, deren militärisches Arsenal das der regulären libanesischen Nationalarmee übertraf. Doch die Aufrüstung stünde im Widerspruch zu den internationalen Forderungen nach Entwaffnung der Hisbollah. Auch im Libanon selbst wird der Druck auf die radikal-schiitische Miliz immer größer.
Doch diesem Druck scheint sich die Hisbollah nicht beugen zu wollen. Wiederholt hatten ihre Vertreter erklärt, die Miliz werde ihre Waffen nicht abgeben, bevor Israel seine Luftangriffe nicht einstelle und sich von fünf militärischen Positionen zurückziehe. Israel hingegen erklärte, es werde die Hisbollah so lange attackieren, wie sie eine Bedrohung darstelle.
Wachsender Druck auf die Hisbollah
Derweil hat die libanesische Regierung ihre Bemühungen zur Eindämmung der Hisbollah verstärkt. Anfang des Monats erklärte Premierminister Nawaf Salam in einer Fernsehansprache anlässlich seines Amtsantritts vor hundert Tagen, die libanesische Armee habe mehr als 500 Militärstellungen und Waffendepots der Hisbollah im Süden des Landes geräumt. "Der Staat setzt seine Maßnahmen fort, um seine Autorität über das gesamte Staatsgebiet wiederherzustellen und das Waffenmonopol zu erlangen", erklärte Salam.
Tatsächlich hat sich die Ausgangslage für die Hisbollah geändert. "Die Diskussion unterscheidet sich stark von der während des letzten Krieges in den 2000er Jahren. Damals trat die Hisbollah als Schlüsselpartei hervor, die den Wiederaufbau und die wirtschaftliche Unterstützung der Bevölkerung sicherte und so politische Unterstützung gewann", sagt die Nahost-Expertin Kelly Petillo vom European Council on Foreign Relations im DW-Gespräch. Auf der nationalen Ebene gehe es derzeit vor allem um die Abrüstung der Hisbollah, so Petillo, die soeben von einer Reise in den Libanon zurückgekehrt ist. "Auf lokaler Ebene geht es darum, wer das Land aus der Not und von den Folgen eines schrecklichen Krieges befreien wird."
Derweil sei die Erinnerung an den im September vergangenen Jahres durch einen israelischen Angriff auf das Hauptquartier der Hisbollah in Beirut getötete Anführer der Miliz, Hassan Nasrallah, weiter präsent. Immer noch erinnerten Flaggen und Plakate mit Nasrallah und anderen Hisbollah-Führern in der Stadt, so Petillo. "Allerdings gilt das nur noch für zerstörte Gebäude entlang heruntergekommener Straßen."
Zwar lasse sich nicht leugnen, dass die Hisbollah geschwächt sei, sagt sie. Und die Flaggen seien mit Staub und Schutt bedeckt. "Aber sie wehen noch. Und daran sieht man, dass die Hisbollah nicht so schnell verschwinden wird."
Aus dem Englischen adaptiert von Kersten Knipp.