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Politik

Mattarella akzeptiert Contes neue Mannschaft

4. September 2019

Präsident Mattarella hat das Kabinett aus linken Populisten und Sozialdemokraten genehmigt. Am Donnerstag soll es vereidigt werden. Fraglich bleibt, wie lange die neue Zweck-Koalition hält. Aus Rom Bernd Riegert.

Italiens Präsident Mattarella trifft Premierminister Conte im Quirinal Palace in Rom
Staatspräsident Sergio Mattarella (l.) wünschte Premier Giuseppe Conte (r.) "viel Spaß" bei der ArbeitBild: Reuters/F. Ammendola

Vor wenigen Wochen hätte noch niemand in Italien einen Pfifferling auf eine Koalition zwischen der selbst erklärten Anti-Partei Fünf-Sterne-Bewegung und den etablierten Sozialdemokraten "Partito Democratico" gegeben. Und doch hat Staatspräsident Sergio Mattarella nun die Ehe der beiden eigentlich verfeindeten Parteien nach Gesprächen mit dem parteilosen Premierminister Giuseppe Conte abgesegnet, um aus seiner Sicht Schlimmeres zu verhindern. Mattarella konnte sich bei einem kurzen Auftritt vor der Presse ein Lächeln nicht verkneifen und wünschte der neuen Mannschaft: "Frohes Arbeiten!" Am Donnerstag wird er die neuen Minister vereidigen: zehn aus der Fünf-Sterne-Bewegung, neun von den Sozialdemokraten. Dann folgen Vertrauensabstimmungen im Parlament.

Geeint gegen Salvini

Ohne eine neue Regierung hätte der Staatpräsident Neuwahlen ansetzen müssen, die mit großer Wahrscheinlichkeit der bisherige Innenminister Matteo Salvini, Chef der rechten Lega, gewonnen hätte. Er führt in den Meinungsumfragen. Genau darum hatte Salvini auch die Koalition mit den Populisten von den Fünf Sternen im August abrupt beendet. Doch er hat sich verspekuliert. Neuwahlen wird es nun, wenn überhaupt, erst im nächsten Jahr geben. "Die meisten Italiener sehen die neue Regierung als eine Anti-Salvini-Koalition. Das ist zu 90 Prozent eine Anti-Salvini-Koalition", sagte der Politologe Giovanni Orsina von der LUISS-Universität in Rom der Deutschen Welle. "Nur bei zehn Prozent der Inhalte gibt es Übereinstimmung bei den Parteien."

Politologe Orsina: "Eine reine Anti-Salvini-Koaltion wird nicht lange überleben"Bild: DW/B. Riegert

Lega-Chef Salvini hat bereits auf Wahlkampf und Oppositionsführer umgeschaltet. In einem Facebook-Auftritt sagte er, es sei lächerlich, dass 60.000 Mitglieder der Fünf Sterne die neue Regierung per online-Abstimmung gebilligt hätten, aber 60 Millionen Italiener nicht wählen dürften. Der Politik-Experte Giovanni Orsina geht davon aus, dass Salvini seine guten Umfragewerte noch eine Weile halten kann. "Salvini hat aus bestimmten Gründen gewonnen, und diese Gründe sind nach wie vor da", sagt Orsina. "Die Regierung muss zeigen, dass sie die Sorgen der Menschen ernst nimmt, dann könnten Salvinis Werte schrumpfen. Es geht ja nicht nur um Meinungsumfragen, sondern wir werden bald echte Wahlen in den Regionen Umbrien und Emiglia Romania haben. Das sind traditionell linke Regionen. Wenn die Rechten da diesmal gewinnen, wird es für die neue Regierung bereits eng."

Mehr Ausgaben, die gleichen Probleme

Fünf Sterne und Sozialdemokraten wollen mehr Geld ausgeben und die Wirtschaft mit Investitionen und Sozialleistungen ankurbeln. Das Bürgergeld für Einkommensschwache und eine Mindestrente gehören dazu. Schon in einigen Wochen muss der neue Finanzminister Roberto Gualtieri, ein sozialdemokratischer Europaabgeordneter, einen Haushaltsentwurf für 2020 vorlegen, der die strengen Kriterien der Europäischen Union erfüllt.

Wie die neuen Ausgaben finanziert werden sollen, ist noch unklar. Die EU bestand bisher darauf, dass Italien seine hohen Schulden abbaut und nicht weiter ausweitet. Doch Gualtieri bekommt bereits Vorschusslorbeeren aus Brüssel: Der deutsche Europaabgeordnete Sven Giegold (Grüne) lobt Gualtieri als engagierten Europäer und Vorkämpfer für eine tiefere Euro-Zone. Politik-Professor Orsina rechnet damit, dass die EU-Kommission und die Euro-Zone Italien jetzt mehr fiskalischen Spielraum geben müssen: "Diese Regierung wird der EU gefallen und ihr wird von den Europäern auch geholfen werden. Sie werden etwas entspannter auf Italien schauen als sie das bei einer Salvini-Regierung getan hätten." Trotzdem werde die neue Regierung Probleme haben, ihre Ankündigungen auch in die Tat umzusetzen.

Hoffnung für Italien und EU? Der EU-Abgeordnete Gualtieri muss als neuer Finanzminister Italiens Haushalt aufstellenBild: picture alliance / AP Photo

Vor allem ist fraglich, wie lange sie überhaupt Zeit dazu hat. Wie lange die 66. Nachkriegsregierung in Italien zusammenhält, wird in den italienischen Medien ausgiebig diskutiert. Mehr als ein Jahr geben ihr nur wenige. Zu groß sind die Gegensätze zwischen den Partnern: "Natürlich wollen sie so lange zusammenbleiben wie möglich. Aber es gibt schon jetzt jede Menge interne Spannungen", sagt Orsina. Eine Vorhersage sei unmöglich.

Lockerung des Anlegeverbots für Rettungsschiffe?

Die Sozialdemokraten haben in der neuen Koalition durchgesetzt, dass die scharfe Rhetorik des bisherigen Innenministers Salvini gegen Flüchtlinge und Migranten abgemildert wird. An seine Stelle tritt die parteilose Verwaltungsbeamtin Luciana Lamorgese. Ob Italien seine Häfen wieder für Rettungsschiffe ausländischer Organisationen öffnen wird, ist aber noch unklar. Auf jeden Fall besteht auch die neue Regierung auf einer Verteilung der aus Seenot geretteten Flüchtlinge auf die übrige EU.

Ob es demnächst auch wieder eine staatlich organisierte Seenotrettung im Rahmen der EU-Mission "Sophia" geben wird, muss in der EU noch ausgehandelt werden. Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte sich dafür ausgesprochen. Auch der deutsche Innenminister Horst Seehofer (CSU) will mit Italien zusammen einen Verteilmechanismus für aussichtsreiche Asylbewerber vereinbaren. Politologe Orsina zweifelt allerdings daran, ob sich die harte Migrationspolitik Italiens wirklich ändern wird: "Die meisten Italiener mögen die geschlossenen Häfen. Diese Politik von Salvini war sehr populär. Diesen Kurs zu ändern, könnte das Ansehen der Regierung bei den Italienern schwer beschädigen. Ich erwarte deshalb, dass sich die Rhetorik ändert, aber nicht die praktische Politik."

Erste Demonstration an die Adresse der Regierung: Lehrer mahnen eine Reform ihrer Arbeitsverträge anBild: DW/B. Riegert

 

Bernd Riegert Korrespondent in Brüssel mit Blick auf Menschen, Geschichten und Politik in der Europäischen Union
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