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Roma erzählen ihre Geschichte selbst

Robert Schwartz
9. Juni 2017

Lange Zeit hielten Roma in Mittel- und Osteuropa ihre Identität verborgen, um Diskriminierung und Ausgrenzung zu entgehen. Jetzt stellen Roma-Künstler selbstbewusst ihre Kultur vor.

European Roma Institute For Arts And Culture Berlin
Bild: Getty Images/S. Gallup

Cimai ist einer der bekanntesten Roma-Musiker der Welt. Mit seiner  Balkan-Brass Band "Fanfare Ciocarlia" begann er Mitte der 90er Jahre einen wahren Siegeszug, der ihn in über 70 Ländern Erfolge feiern ließ. Die Geschichte der rumänischen Roma-Band klingt wie ein Märchen: "Als der 'Deutsche‘ in unser Dorf kam, haben wir einige Aufnahmen gemacht. Und dann haben wir gehofft, dass wir unsere Musik irgendwann auch im Ausland spielen können", erzählt Cimai; seine Trompete ist immer griffbereit, als wolle er gleich loslegen.

Der "Deutsche" – das war der Leipziger Toningenieur Henry Ernst. Zusammen mit seinem Freund Helmut Neumann brachten sie die Fanfare zuerst nach Deutschland und dann auf die Bühnen der Welt. Es war das glücklichste Treffen seines Lebens, so Cimai vor einem Konzert in Berlin. Auch Helmut Neumann schwärmt von der Begegnung mit einer für ihn bislang völlig unbekannten Kultur: "Ich habe viel gelernt von den Dorfbewohnern und der Band. Wenn jeder Deutsche nur ein kleines bisschen von den Roma lernen würde, wäre die Welt viel besser." Voneinander lernen, das sei auch für seine Landsleute sehr wichtig, sagt Cimai - und beide lachen. Und dann beginnt ein musikalisches Feuerwerk vor einem ausgelassenen Berliner Publikum.

Roma-Musik aus Mittel- und Südosteuropa, ganz gleich ob aus Ex-Jugoslawien, Bulgarien, Rumänien oder Ungarn, war schon immer ein Exportschlager. Doch mehr über die Kunst und Kultur der Roma zu erfahren, als es bei Konzerten oder alljährlichen Festveranstaltungen möglich war, blieb eher die Ausnahme. Das soll sich jetzt ändern.

Freut sich über die Gründung des Instituts: Timea Junghaus, künftige DirektorinBild: Getty Images/S. Gallup

Roma-Kultur bekommt ein Forum

Das Europäische Roma-Institut für Kunst und Kultur (ERIAC) nimmt im Herbst in Berlin den Betrieb auf. Im Gegensatz zur bisherigen, eher traditionellen Herangehensweise an die Welt der Sinti und Roma soll die neue Einrichtung nicht nur ein Schaufenster der Minderheit werden, sondern eine interaktive Plattform, die von und mit Roma-Künstlern gestaltet wird. Dadurch sollen die Besucher direkten Kontakt zur Kunst und Kultur der Roma bekommen, und die kulturelle Identität der Minderheit in Europa sichtbarer werden.

Ins Leben gerufen wurde das Institut am Donnerstag im Auswärtigen Amt in Berlin. Der Europarat und die Open Society Foundation des US-Milliardärs George Soros sind die Haupt-Sponsoren der Einrichtung. Zeljko Jovanovic, Vorsitzender des ERIAC-Vorstands, erzählt im DW-Gespräch, was das Besondere an diesem Institut ist: "Die Geschichte, wer wir sind, können wir hier endlich selbst erzählen." Mit dieser Plattform soll die Minderheit, auch kleinere Organisationen europaweit, die Möglichkeit bekommen, sich und die eigene Kultur vorzustellen.

Nicoleta Bitu, eine seiner Mitstreiterinnen für die Errichtung des Instituts, ist Direktorin des Zentrums für Roma-Studien in Bukarest. Seit der politischen Wende setzt sie sich für die Wahrung der Menschenrechte und die Belange der Roma ein. "Die Roma-Künstler können mehr bewirken, als es der Politik in den letzten zweieinhalb Jahrzehnten gelungen ist", sagt sie gegenüber der DW. Die Politik sichere zwar den Rahmen und die Finanzierung der Projekte, aber die Künstler seien es, die die Menschen direkt ansprechen und "Seele und Bewusstsein zum Klingen bringen".

Roma-Kunst - identitätswahrend und identitätsstiftend zugleichBild: Getty Images/S. Gallup

Inklusion durch Kunst

Dass Roma sich und ihre Kultur selbst vorstellen und damit selbst definieren, wer sie sind und wer nicht, ist mit Sicherheit der beste Weg, um Vorurteilen und Ausgrenzung entgegen zu wirken. Doch gibt es eine gemeinsame, europäische kulturelle Identität der Roma, oder sind es eher viele unterschiedliche Identitäten, geprägt von lokalen oder regionalen Einflüssen? Das muss nicht unbedingt ein Gegensatz sein, meint Thorbjörn Jagland, Generalsekretär des Europarats. Im DW-Interview sagte er, wichtig sei die Förderung der Roma-Kultur insgesamt, mit all ihren spezifischen gemeinsamen und unterschiedlichen Elementen. "Die Roma können stolz sein auf ihre Sprache und Kultur - und das sollen sie auch der Mehrheitsbevölkerung zeigen".

Das, was der europäischen Politik in ihrem Vorhaben zur Inklusion der Minderheit nur zum Teil gelungen ist, soll jetzt durch die selbstbewusste Vorstellung von Roma-Kunst und -Kultur durch Angehörige der Minderheit selbst zum Erfolg führen. Identitätswahrend und identitätsstiftend zugleich – ein ambitioniertes Vorhaben der europäischen Roma, um den Teufelskreis der sozialen Ausgrenzung und ethnischen Diskriminierung endlich zu durchbrechen.

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