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PolitikEuropa

"Faschismus kommt in Friedenszeiten"

Magdalena Gwozdz-Pallokat
2. August 2020

Am Europäischen Roma-Holocaust-Gedenktag erinnerten in Auschwitz Spitzenvertreter der Sinti und Roma, Juden und der Evangelischen Kirche in Deutschland an die Opfer. Der Bezug zum aktuellen Geschehen war dominierend.

Polen I Gedenkfeier am Europäischen Roma-Holocaust-Gedenktag in Auschwitz
Gedenkfeier am Europäischen Roma-Holocaust-Gedenktag in AuschwitzBild: DW/M. Mojkowska

Es war in mindestens zwei Aspekten ein anderes Gedenken als sonst. Wegen der Corona-Pandemie wurde die Veranstaltung für die breite Öffentlichkeit virtuell im Internet übertragen. Zum anderen gedachten in diesem Jahr in der KZ-Gedenkstätte Auschwitz Vertreter der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), des Zentralrats der Juden in Deutschland und des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma erstmals gemeinsam der Opfer des Nationalsozialismus.

Romani Rose, Vorsitzender des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma, kommt jedes Jahr hierher. Mehr als 40 Mal ging er durch das Tor mit dem Schriftzug "Arbeit macht frei". "Das sind wir den Opfern schuldig. Auschwitz ist ein großer Friedhof für unsere, aber auch für die jüdische Minderheit", sagte er in einem Gespräch mit der DW. Zusammen mit Josef Schuster, dem Präsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland, und Heinrich Bedford-Strohm, dem EKD-Ratsvorsitzenden, erinnerten sie in Auschwitz an 20.000 dort ermordete Sinti und Roma, stellvertretend für 500.000, die in der Zeit des Nationalsozialismus in ganz Europa umgebracht wurden. Für das Gedenken an sie alle steht symbolisch der 2. August, der vor fünf Jahren vom Europäischen Parlament zum "Europäischen Holocaust-Gedenktag für Sinti und Roma" erklärt worden war. Romani Rose erinnerte auch daran, dass Polen den neuen Gedenktag als erster Staat in Europa anerkannt hat.

Gedenkfeier in Auschwitz. Im Bild (von li.): Josef Schuster, Romani Rose, Heinrich Bedford-StrohmBild: DW/M. Mojkowska

In einem Gastbeitrag für die DW hat Rose jedoch betont, dass Erinnern allein nicht reicht und dass Rassismus und Nationalismus entschieden bekämpft werden müssten. Europa stehe angesichts eines in vielen Ländern bereits etablierten "rassistischen Nationalismus" vor großen Herausforderungen, so Rose. Auschwitz gemahne, "für Demokratie und Rechtstaatlichkeit einzutreten und Rassismus, Antisemitismus und Antiziganismus mit Klarheit zurückzuweisen", sagte er am Sonntag in der KZ-Gedenkstätte.

In Auschwitz traf Rose auch Vertreter der Sinti und Roma in Polen. Darunter Władysław Kwiatkowski vom Verband der Roma, der bei den Vorbereitungen dieser Gedenkfeier mitgewirkt hat. Seine Familie verlor im Krieg viele Verwandte - in Konzentrationslagern oder Gettos. "Ich habe es bis heute noch nicht begriffen, dass all diese furchtbaren Dinge nicht so lange her sind. Dass es so viel Hass gab auf Menschen, die anders sind, anders leben oder eine andere Sprache sprechen." Und auch er fügte in einem Gespräch mit der DW hinzu: "Nicht viel muss passieren, damit es wieder so kommt." Sein Vater, Roman Kwiatkowski, Präsident des Verbands der Roma in Polen, sprach von einem "anarchischen Nationalismus", der sich ausbreite, als ob es Auschwitz nie gegeben hätte. "Faschismus wird zwar mit dem Krieg assoziert, aber er kommt in Friedenszeiten an die Macht", sagte Kwiatkowski.

Wegen Corona fand die diesjährige Gedenkfeier in kleinerem Rahmen stattBild: DW/M. Mojkowska

Bedford-Strohm: Gerade jetzt muss man gemeinsam gedenken

EKD-Ratsvorsitzender Heinrich Bedford-Strohm hält ebenfalls gerade jetzt für wichtig, mit dem gemeinsamen Gedenkakt "ein starkes Zeichen für die Zukunft" zu setzen. Es sei nötig, Position zu beziehen, sagte er der DW nach den Gedenkfeiern. Es war sein erster Besuch im ehemaligen deutschen Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau und auch der erste eines EKD-Ratsvorsitzenden überhaupt. Ein Besuch, der ihn fassungslos zurücklasse, "wie Menschen anderen Menschen so etwas antun können".

Der Theologe äußerte sich auch zur Rolle der evangelischen Kirche im Zweiten Weltkrieg und verwies darauf, dass "in der christlichen Theologie über viele Jahrhunderte Antijudaismen gepflegt wurden, die dazu beigetragen haben, dass Antisemiten versuchen konnten, sich auf die christliche Theologie zu berufen und sie zu missbrauchen". Es sei gleichwohl wichtig zu erkennen, dass nach dem Holocaust eine Theologie neu entwickelt wurde, in der Antijudaismus keine Rolle mehr spielt: "Jesus war Jude. Das zu vergessen, ist eine große Schuld innerhalb unserer Kirchen, und heute ist uns klar, dass es so ist, wie Dietrich Bonhoeffer es gesagt hat: Wer die Juden aus dem Abendland vertreibt, vertreibt Christus aus dem Abendland."

Gedenkfeiern ohne Zeitzeugen

Zeitzeugen gibt es hingegen immer weniger. Edward Paczkowski ist der letzte lebende Roma in Polen, der von den Gräueltaten, die an Sinti und Roma in Auschwitz verübt wurden, noch erzählen könnte. Sein Gesundheitszustand lässt jedoch seit einigen Jahren keine Reisen mehr in die KZ-Gedenkstätte zu. Als er nach Auschwitz gebracht wurde, war er 12 Jahre alt und dort als "politischer Häftling" registriert. Auf einer Gedenkfeier vor einigen Jahren gab er zu Protokoll, dass er verprügelt wurde, weil er seine auf Deutsch ausgerufene Häftlingsnummer nicht verstand: "Man nahm mich aus der Reihe und ich wurde fertig gemacht. Ich hatte keine Ahnung, wieso sie mich prügeln." Er hat wohl nur deswegen überlebt, weil seine Herkunft nicht erkannt wurde, glaubt er.

Paczkowski war einer von ungefähr 23.000 Sinti und Roma, die aus mehreren Ländern nach Auschwitz gebracht wurden. Nur etwa 3000 überlebten. Sinti und Roma waren, nach Juden und Polen, die drittgrößte Menschengruppe in Auschwitz. "Es muss uns Deutsche beschämen, dass Sinti und Roma Jahrzehnte warten mussten, bis sie als Verfolgte des Nationalsozialismus anerkannt wurden", sagte Bundestags-Präsident Wolfgang Schäuble in einer Videobotschaft.

Kranzniederlegung: Roman Kwiatkowski, Präsident des Verbands der Roma in PolenBild: DW/M. Mojkowska

2. August 1944

Dieses Datum wurde zum Gedenktag gewählt, weil in der Nacht vom 2. zum 3. August 1944 in den in den Gaskammern von Auschwitz-Birkenau die letzten 4300 Bewohner des sogenannten "Zigeunerlagers" ermordet wurden - Frauen, Männer und Kinder. Die Häftlinge versuchten sich zu wehren, doch die SS-Lagerleitung ließ den Widerstand niederschlagen.

Bereits im Mai desselben Jahres war es zu einer ersten Roma-Revolte in Auschwitz gekommen. Damals sollten arbeitsfähige Männer und Frauen des Lagers in andere Arbeits- und Konzentrationslager im Reichsgebiet verlegt werden. Bei einer dieser Zwangsrekrutierungen leisteten Häftlinge Widerstand, indem sie ihre Baracken trotz Aufforderung der SS-Männer nicht verließen. "In den Baracken herrschte völlige Stille. Die darin versammelten Zigeuner warteten, mit Messern, Schaufeln, Eisen, Brecheisen und Steinen bewaffnet, darauf, was jetzt kommen würde. Sie verließen ihre Baracken nicht. Die SS-Männer waren verdutzt", berichtete der Zeitzeuge Tadeusz Joachimowski. Die Aktion wurde zunächst abgebrochen. Das Morden aber ging weiter.

In Auschwitz-Birkenau wurden über eine Million Menschen von den Nazis umgebracht. Der Holocaust insgesamt kostete sechs Millionen Juden und 500.000 Sinti und Roma das Leben. Ihnen allen wird heute gedacht, denn wie Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, der ARD gegenüber betonte: "Wir erleben derzeit eine Situation, in der sich Nationalismus, Rassismus, Antiziganismus, Antisemitismus wieder in Europa breiter machen. Hier klar aufzuzeigen, wozu das führen kann, zu welchen menschenverachtenden Taten, das wird mir an einem solchen Tag deutlich."

Magdalena Gwozdz-Pallokat Korrespondentin DW Polski, HA Programs for Europe, Warschau, Polen
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