Roma Resistance Day: Widerstand von der Nazi-Zeit bis heute
15. Mai 2025
"Wenn sie kommen, nehmen wir ein paar mit." Der Überlebende Mano Höllenreiner schilderte, wie sich 1944 sein Vater, seine Onkel und andere Sinti und Roma zum Kampf auf Leben und Tod gegen die SS verbünden. Ein Jahr zuvor waren sie aus München nach Auschwitz deportiert worden.
Er ist 1944 erst zehn Jahre alt. Über die Männer aus seiner Familie sagt er: "Die waren ja beim Militär gewesen, die haben keine Angst gehabt."
Sie wehren sich gemeinsam gegen den Transport in die Gaskammern im nationalsozialistischen Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau, das werden mehrere Überlebende später berichten.
Auschwitz 1944: Widerstand unter unerträglichen Bedingungen
Die Männer verabreden den Widerstand im Lagerabschnitt BIIe in Auschwitz-Birkenau. Dort leiden sie und ihre Familien im sogenannten "Zigeunerlager" unter Hunger und Durst, Kälte, Krankheiten, brutaler Gewalt und unerträglichen hygienischen Bedingungen. Die Kinder sterben zuerst.
Im Lager haben alle die Flammen aus den Schornsteinen der Krematorien vor Augen und den furchtbaren Geruch in der Nase, wenn Menschen nach ihrer Ermordung in den Gaskammern verbrannt werden.
Nach einer Warnung vor einer großen SS-Aktion, so berichten später Überlebende, bewaffnen sich die Häftlinge mit Steinen, Stöcken, Schaufeln und allem, was sie von der Zwangsarbeit in die Baracken schmuggeln können. Kampfbereit verschanzen sie sich hinter dem Eingang, weigern sich herauszukommen.
Manos Cousin Hugo Höllenreiner (1933-2015) berichtet später der Autorin Anja Tuckermann: "Die SS hat gedacht, wenn sie reinkommen, vielleicht schießen sie ein paar zusammen, aber dass unsere von denen auch ein paar umbringen." Die Wachmannschaften ziehen schließlich ab, erinnert sich Höllenreiner: "Das hast du als Kind schon gewusst, jetzt merken die halt mal, die Leute kämpfen diesmal und von uns gehen ein paar drauf. Die können wir nicht ohne Probleme vergasen."
"Frauen sind die härtesten Kämpferinnen"
Viele arbeitsfähige Häftlinge und ehemalige Wehrmachtssoldaten mit ihren Familien werden in andere Konzentrationslager verlegt. Auch die Cousins Hugo und Mano Höllenreiner mit Eltern und Geschwistern entkommen so der Ermordung in Auschwitz.
Die etwa 4300 verbliebenen Häftlinge aber, Kinder, Mütter, Alte und Kranke, werden in der Nacht vom 2. auf den 3. August 1944 auf LKW getrieben. Sie wehren sich mit aller Macht, beobachtet ein polnischer Häftling: "Frauen sind die härtesten Kämpferinnen - sie sind jünger und stärker - und verteidigen ihre Kinder."
Doch die SS zerrt Kinder brutal an den Beinen heraus und tritt alte Menschen nieder. Alle werden in den Gaskammern ermordet. Noch in derselben Nacht, so der Beobachter, zieht schwarzer Rauch über das Lager.
Sinti und Roma kämpfen gemeinsam ums Überleben
Der Widerstand der Sinti und Roma in Auschwitz sei nicht ansatzweise erforscht, sagt Karola Fings der DW. Lange habe sich niemand dafür interessiert. Die Historikerin von der Forschungsstelle Antiziganismus an der Universität Heidelberg ist Herausgeberin der "Enzyklopädie des NS-Völkermordes an den Sinti und Roma in Europa". Diese soll das vorhandene Wissen online verfügbar machen und neue Forschung anregen.
Die atmosphärisch dichten Berichte der Überlebenden und eines polnischen Häftlingsschreibers ließen sich nicht eindeutig datieren, sagt Fings. Sie zeigten aber den Kampf ums Überleben und die gemeinsame Suche nach Strategien: "Wie können wir hier lebend rauskommen, wie können wir unsere Angehörigen schützen?" Angesichts des Grauens in Birkenau sei es bewundernswert, wie Menschen solidarisch versuchten, gemeinsam zu überleben.
Briefe an Hitler - Frauen protestieren in Berlin
Sinti- und Roma-Familien in Auschwitz werden nicht wie andere Häftlinge in Männer- und Frauenblocks aufgeteilt. Das habe auch mit ihrem früheren Widerstand gegen die Verfolgung zu tun, analysiert Fings: Wenn Familien von Sinti und Roma getrennt werden, gibt es heftige Gegenwehr.
Schon 1938, als mehrere hundert Männer in Konzentrationslager deportiert werden, protestieren vor allem die Frauen: "Die Ehefrauen, die Mütter, die Schwestern, die Töchter sind nach Berlin gereist, haben sich eingesetzt, dass ihre männlichen Angehörigen wieder freigelassen werden. Sie haben oft in Kauf genommen, dass sie selbst in Konzentrationslager verschleppt werden, weil sie so widerspenstig waren."
Rechtsanwälte werden eingeschaltet und es gibt Protestschreiben an alle Instanzen, von der Kriminalpolizei bis hin zu Diktator Adolf Hitler.
Nach der Nazi-Zeit: Der Widerstand geht weiter
Nach dem Zweiten Weltkrieg wird die rassistische Verfolgung und der NS-Völkermord an den Sinti und Roma verleugnet. Täter machen weiter Karriere und schikanieren die Angehörigen der Minderheit, bei der Polizei und als Gutachter in Entschädigungsverfahren. "Das war für Überlebende ein furchtbarer Kampf", sagt Historikerin Fings. Trotzdem formiert sich Widerstand.
Heinz Strauß hat die Konzentrationslager Auschwitz und Buchenwald überlebt, er hat viele Angehörige verloren. Aus Angst tue er alles, um nicht als Sinto aufzufallen, sagt sein Sohn Daniel. Romanes, die Sprache der Minderheit, sollen seine Kinder nicht öffentlich sprechen.
Doch zwei ältere Brüder und später auch er engagieren sich in der Bürgerrechtsbewegung. Mit Erfolg, sagt Daniel Strauß der DW: "Wir haben die Anerkennung als nationale Minderheit erreicht, wir haben die Anerkennung des Völkermords erreicht." Strauß ist heute Vorsitzender des Verbands Deutscher Sinti und Roma in Baden-Württemberg.
Roma Resistance Day: "Wir feiern das Überleben, das Widerständige"
Zum Roma Resistance Day lädt der Verband vor allem junge Menschen ein. Sie beschäftigen sich mit Biografien wie die der Auschwitz-Überlebenden Zilli Schmidt (1924-2022), die lebenslang gegen Rassismus und Verfolgung gekämpft hat.
Im Jahr 2004 etablierte der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma den 16. Mai als Tag des Widerstands durch eine Gedenkveranstaltung im Auswärtigen Amt. Der damalige Bundespräsident und mehrere Minister lobten den großen Mut der Minderheit.
Dieser Tag ist wichtig für Sinti und Roma, sagt Strauß: "Wir feiern das Überleben, das Widerständige, das Sich-Weigern, alles mit sich machen zu lassen. Es ist ein Plädoyer für das Leben und für das Handeln für das eigene Leben."
Der Landesverband hat Staatsverträge mit dem Land Baden-Württemberg geschlossen, um die Minderheit zu stärken und Antiziganismus zu bekämpfen. Im Jahr schule der Verband 1300 Polizisten und Polizistinnen zum Thema Sinti und Roma.
Drei bis vier Schulklassen besuchten pro Woche das Kulturhaus RomnoKher, sagt Strauß. Es gibt Lehrer-Fortbildungen und Workshops für Studierende. "Wir bauen gerade eine Romanes-Akademie auf, gemeinsam mit der Bundesvereinigung der Sinti und Roma". Sie soll bundesweit Sprachkurse anbieten. "Das ist auch Widerstand", sagt Strauß: "Wir stehen für unsere Rechte und für unsere Pflichten ein."
Was tut die deutsche Regierung für Sinti und Roma?
Im Koalitionsvertrag bekennt sich die neue Bundesregierung zum Kampf gegen Antisemitismus und dem Schutz jüdischen Lebens. Sinti und Roma kommen aber nicht vor und auch nicht der Kampf gegen Antiziganismus. Das besorge ihn, sagte Mehmet Daimagüler der DW kurz vor dem Regierungswechsel.
Bis dahin hat er sich als Beauftragter gegen Antiziganismus für die Rechte der Sinti und Roma in Deutschland eingesetzt. Viele Maßnahmen - erarbeitet von der Unabhängigen Kommission Antiziganismus - wurden in seiner Amtszeit beschlossen, aber die müssten jetzt auch umgesetzt werden.
Der Beauftragte war eine wichtige Brücke zwischen der Regierung und den Angehörigen der Minderheit, sagt Roma-Aktivistin Renata Conkova der DW. Das Amt abzuschaffen, wäre ein Fehler.
Sie stammt aus der Slowakei und kümmert sich für den Verband RomnoKher im ostdeutschen Bundesland Thüringen um zugewanderte Roma-Familien, vor allem aus der Ukraine. Ihr Großvater hat wie viele Roma in den von Nazi-Deutschland überfallenen Ländern als Partisan gegen die Deutschen gekämpft und ist gefallen.
Seine Enkelin erlebt in Deutschland das, was Studien seit Jahren belegen. Trotz vieler Fortschritte und politischer Bekenntnisse werden Menschen aus der Minderheit diskriminiert - in Kindergärten und Schulen, von Behörden, bei der Wohnungssuche, am Arbeitsplatz. Die Probleme lösen könne man nur zusammen mit Politikern und Behörden.
Wird es wieder eine/n Antiziganismusbeauftragte/n geben? CDU-Ministerin Karin Prien hat das bisher zuständige Ministerium für Familie, Frauen, Senioren und Jugend übernommen, erweitert um das Thema Bildung. Auf DW-Anfrage nach einer Neubesetzung teilt eine Sprecherin mit, der Ministerin sei der Schutz von Minderheiten sehr wichtig. "Das Thema soll auch in Zukunft im Haus verankert werden."
Roma-Aktivistin Renata Conkova macht sich Sorgen über rechte und rassistische Tendenzen in Deutschland. Sie erinnert an die Zeit der Verfolgung: "Wir leben nicht mehr in den 40er Jahren. Wir haben unseren Stolz, unsere Kultur, Traditionen. Wir lassen uns nicht mehr töten oder in Gaskammern schicken. Wir kämpfen."