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Gesellschaft

Roma und ihr Weg aus dem Stigma

3. Dezember 2017

Sie sind die größte Minderheit Europas und trotzdem immer noch Diskriminierung ausgesetzt - vor allem in Schulen und bei der Arbeit. Doch einige Roma schaffen den Weg aus Armut und Abschottung.

'Zigeunerjunge' in Sofia, Bulgarien
Bild: AP

Mit 16 wurde er verheiratet, seine Familie lebt von 250 Euro im Monat. Und trotzdem hat er es geschafft: "Ich war der erste Roma-Junge aus meiner Community, der jemals an einer Universität studierte." Atanas Stoyanov ist 30 Jahre alt und wuchs in einem kleinen Dorf im Norden Bulgariens auf. Er kommt aus der Roma-Gruppe der Messerschmiede, einer Gemeinde von ungefähr 10.000 Menschen. Sein Großvater war Messerschmied, sein Urgroßvater, sein Ururgroßvater und alle davor. Auch sein Vater hat das Handwerk seiner Familie übernommen. Doch als der Kommunismus in Bulgarien endete, wurde dieser Beruf immer unwichtiger. So wurde Atanas Stoyanovs Vater Traktormechaniker und -fahrer. Keiner seiner Vorfahren hatte eine höhere Schulbildung.

Atanas Stoyanov aus der Roma-Gemeinschaft der Messerschmiede aus Bulgarien, arbeitet jetzt in BrüsselBild: DW/Lea Albrecht

"In meiner Gemeinschaft ist es normal, mit 14, 15, 16 Jahren eine arrangierte Ehe zu schließen. Das ist auch der Grund, warum Leute aus meiner Roma-Community nicht mal die achte Klasse abschließen, das Ende der Grundschule in Bulgarien." Atanas Stoyanovs Stimme bleibt ruhig, wenn er von seinem Leben erzählt. "Als ich die Grundschule abschloss, erwartete niemand von mir, auf die weiterführende Schule zu gehen, obwohl wir eine im Dorf hatten, was sehr ungewöhnlich ist."

Die Minderheit der Minderheiten in Europa

Roma sind die größte Minderheit Europas - in den meisten Ländern Europas werden sie diskriminiert und leben in Armut. 80 Prozent der Roma sind von Armut bedroht. Viele werden von der restlichen Gesellschaft abgeschottet, leben in Ghettos und werden in gesonderte Schulen geschickt. In Bulgarien, Ungarn und der Slowakei müssen laut der Europäischen Kommission 60 Prozent der Roma-Kinder in speziellen Schulen lernen, mit schlechterem Unterrichtsmaterial, ohne Kontakt zu den anderen Kindern.

Atanas Stoyanov hat es trotzdem geschafft. Er hat sich durchgesetzt, trotz seiner frühen Ehe, obwohl seine Eltern nicht wollten, dass er studierte und ihn nicht unterstützen konnten. "Ich habe mich nie als Traktorist gesehen. Nicht dass ich es nicht kann, aber ich dachte, dass ich doch auch das machen kann, was andere tun – studieren, einen administrativen Job finden." Nun arbeitet er in Brüssel in einer NGO für die Inklusion von Roma, mitten im europäischen Geschehen. Gerade nahm er an einer Konferenz der Europäischen Kommission, der "European Roma Platform" teil - eine Tagung, die Wege finden will, um Roma besser in Bildung und Arbeit zu integrieren. Segregierte Schulen für Roma-Kinder sind eines der größten Probleme, heißt es immer wieder auf der Tagung.

Diskussion über die Inklusion von Roma in Bildung und Arbeit auf der Tagung "European Roma Platform" in BrüsselBild: DW/Lea Albrecht

"Europa kann es sich nicht leisten, junge Roma daran scheitern zu lassen, ihr Potential auszuschöpfen", sagte die zuständige EU-Kommissarin für Justiz, Verbraucher und Gleichstellung Věra Jourová auf der Tagung. "Der wachsende Anteil von jungen Roma, die sich nicht in Ausbildung oder Arbeit befinden, ist beunruhigend. Politische Entscheidungsträger müssen sorgfältig die Gründe dafür feststellen und sie angehen."

Bulgariens Regierung verneint Diskriminierungsvorwürfe

Die Regierung von Bulgarien tue das, sagt die bulgarische Vizeministerin für Arbeit und Soziales Zornitsa Roussinova im Interview mit der DW. Segregierte Schulen seien kein Problem. "In einigen kleinen Dörfern gibt es noch ein paar solche Schulen wegen der überwiegenden Roma-Bevölkerung. Aber wir reformieren gerade das Bildungssystem. Wir haben mehr als 17.000 Kinder in die Schule gebracht, wir unterstützen sie mit finanziellen Hilfspaketen und in manchen Fällen auch mit Sachleistungen wie Essen, Kleidung oder Schulbüchern."

Roma müssen oft in abgegrenzten Siedlungen leben, hier bei Warna in BulgarienBild: BGNES

Ist Diskriminierung also kein Problem? Der bulgarische Vizepremierminister Valeri Simeonov, der auch dem nationalen Rat, der für die Integration von ethnischen Minderheiten verantwortlich ist, vorsitzt, wurde vor Kurzem von einem bulgarischen Gericht verurteilt - wegen Hassreden gegen Roma. Roma seien "arrogant, überheblich, wilde menschenähnliche Wesen", ihre Frauen hätten die "Instinkte von Straßenhunden".

Auf ihren Vizepremier angesprochen, erwidert Zornitsa Roussinova gegenüber der DW: "Alle Regierungen in Europa wollen sich um ihre Bürger sorgen, wir wollen sie ja behalten. Was für uns sehr wichtig ist, ist dass die bulgarische Regierung keine diskriminierende Regierung ist."

Und sie fügt an: "Es gibt keine Diskriminierung von Roma in Bulgarien."

Ein Hausproblem

Doch Bulgarien wurde schon mehrmals beschuldigt, die Roma im Land zu diskriminieren. Ein Memorandum des Open Society European Policy Instituts bezichtigt Bulgarien, Roma-Siedlungen einfach abzureißen. Laut der Studie wurden zwischen 2010 und 2016 über 500 Wohnhäuser zerstört, 97 % davon waren Eigentum von Roma.

Zerstörung von Roma-Häusern im bulgarischen Dorf GarmenBild: BGNES

Auch Atanas Stoyanov kennt solche Fälle. "Viele Roma wurden in Ghettos angesiedelt, um in den nahen Fabriken zu arbeiten. Sie leben dort seit zwei Generationen, aber sie haben keine Papiere für die Häuser. Und dann kommt auf einmal ein Bürgermeister und entscheidet, ihr Haus abzureißen und sagt ihnen, sie hätten kein Recht, dort zu wohnen."

Sind diese Berichte Lügen? Die bulgarische Vizeministerin für Arbeit und Soziales Zornitsa Roussinova entgegnet: "Ja. Alle Bürger müssen die Gesetze beachten und Familien und Bürger, die Unterstützung brauchen, werden von der Regierung unterstützt. Deswegen haben wir das Sozialwohnungsprogramm gestartet."

Laut dem letzten Bericht der Europäischen Kommission verbessert sich zumindest die Anbindung von Roma-Dörfern an Wasser und Elektrizität, unter anderem in Bulgarien und Rumänien.

Abgeschottet in Rumänien

Carmen Tanasie ist 31 Jahre alt. Sie wuchs in einem traditionellen und armen Roma-Dorf in Rumänien aufBild: DW/Lea Albrecht

Abgeschottet, in einem segregierten Roma-Dorf in Rumänien wuchs auch Carmen Tanasie auf. Zu Hause sprachen sie nur Romanes. Als sie an ihrem ersten Schultag in die Grundschule gebracht wurde, schickte sie die Lehrerin wieder nach Hause. Es sei kein Platz für die Roma-Kinder, sie sollten später wieder kommen. "Als wir dann wiederkamen, hatten sie für uns einen Klassenraum aufgemacht, getrennt von den anderen, und sehr weit weg - bestimmt drei Kilometer. Wir hatten nie dieselben Lehrer, wir hatten keine Schulbücher, wir waren nur unter uns und sprachen immer Romanes", erinnert sie sich.

Doch obwohl ihre Klassenkameraden nach und nach nicht mehr zur Schule kamen, weil sie zu Hause bei der Arbeit helfen oder auf ihre Geschwister aufpassen mussten, wollte Carmen Tanasie weiter machen - obwohl sie in der Schule schikaniert wurde. Sie war das einzige Roma-Kind in der weiterführenden Schule. Und ihre Eltern unterstützten sie. Doch selbst mit abgeschlossenem Studium fand sie keinen Job.

Antiziganismus heißt das Problem

"Ich merkte, dass ich in Rumänien nicht überleben kann, weil ich zu dunkel für sie bin. Ich fand einfach keine Arbeit - obwohl ich Telefoninterviews hatte, meinen Lebenslauf schickte, und alles perfekt war. Aber immer wenn ich zum Bewerbungsgespräch ging, sahen sie mich nur kurz an und meinten: Sorry, wir können Sie nicht einstellen."

In Rumänien verlassen 52 % der Kinder die Schule vor ihrem 16. Lebensjahr, in Bulgarien sogar 67 % (Quelle: EU Agency for Fundamental Rights)Bild: DW

Carmen Tanasie ist damit keine Ausnahme. Insgesamt 63 Prozent der Roma zwischen 15 und 24 haben laut der Europäischen Agentur für Grundrechte weder Arbeit, noch gehen sie zur Schule oder in eine Ausbildung. Roma, die größte Minderheit Europas, sind die am meisten unterrepräsentierte Gruppe auf dem Arbeitsmarkt. Und ständiger Diskriminierung ausgesetzt. Deswegen zog Carmen Tanasie zuerst nach Budapest und dann nach Brüssel. Auch sie arbeitet nun für eine NGO, die sich für Roma-Rechte einsetzt.

"Ich erinnere mich, dass mein Opa mir sagte: Du wirst dich dreimal mehr beweisen müssen, denn du bist eine Roma, niemand glaubt dir. Doch ich glaube, wenn man stark genug ist, kann man das erreichen, was man will. Aber selbst hier muss ich mich oft zehnmal mehr beweisen. Nur weil ich Roma bin."

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