"Rosa Revolution" in Spanien
6. Oktober 2004Der Jubel unter den homosexuellen Paaren im Madrider Stadtviertel Chueca will nicht abreißen: Schließlich sind sie voraussichtlich ab Anfang 2005 heterosexuellen Paaren im Eheschließungs- und Scheidungsrecht ebenso gleichgestellt wie bei Kindsadoptionen und im Erbrecht. So will es der Gesetzesentwurf, den das sozialistische Kabinett José Luis Rodriguez Zapateros am 1. Oktober 2004 billigte - nur wenige Wochen nach der Äußerung von Papst Johannes Paul II., die "Homo-Ehe" verletze "Gottes Plan für die Menschheit".
Die volle Gleichberechtigung
Im Kampf gegen die Diskriminierung habe sich Spanien nun in die vorderste Front Europas und der Welt eingereiht, so Vize-Regierungschefin María Teresa Fernández de la Vega. Tatsächlich besitzen Homosexuelle innerhalb der Europäischen Union (EU) nur noch in den Niederlanden solch weitgehende Rechte. "Wobei die Niederlande natürlich eine lange liberale Tradition haben, und man hier bis zur vollen Gleichberechtigung den langen, beschwerlichen Umweg über die Lebenspartnerschaften gegangen ist", sagt Alexander Zinn, Pressesprecher des Lesben- und Schwulenverbandes in Deutschland (LSVD), im Gespräch mit DW-WORLD. "Man kann daher von einer Vorreiterrolle Spaniens sprechen, weil das katholische Spanien mit einem Schlag die volle Gleichberechtigung verwirklicht." In Belgien hingegen dürfen homosexuelle Paare zwar heiraten. Über die Frage der Adoption von Kindern ist aber noch nicht entschieden.
Liberaler als der "progressive Norden"
Das mehrheitlich katholische Spanien hat mit diesem Gesetzesentwurf auch den vermeintlich fortschrittlichen Norden der EU im Eilschritt überholt: Homosexuelle in Dänemark und Schweden können sich ihre Partnerschaft nur amtlich eintragen lassen, jedoch nicht heiraten. Allerdings haben sie in Schweden das Recht, Kinder zu adoptieren, und in Dänemark dürfen sie das Kind des Partners beziehungsweise der Partnerin adoptieren.
Bald Recht auf Stiefkindadoption?
Auch in Deutschland sieht der rot-grüne "Gesetzesentwurf zur Überarbeitung des Lebenspartnerschaftsgesetzes" ein eingeschränktes Adoptionsrecht für schwul-lesbische Paare vor: "Wenn ein Lebenspartner ein leibliches Kind mit in die Lebenspartnerschaft bringt oder es dort geboren wird, und der andere Lebenspartner sich um dieses Kind kümmert und weiter kümmern will - dann soll diese Verbindung dauerhaft verrechtlicht werden können", sagte Bundesjustizministerin Brigitte Zypries am 2. Juli 2004 im Rahmen der ersten Lesung im Bundestag.
Grande Nation ist große Ausnahme
Das Nachbarland Frankreich verweigert seinen homosexuellen "citoyens" indes das Recht auf Adoption. Mit seinem "bürgerlichen Solidaritätsbund" (Pact Civil de Solidarité - PACS) - einer eingetragenen Lebenspartnerschaft, die allen Paaren offen steht - ist Frankreich innerhalb der EU hingegen "die absolute Ausnahme", wie LSVD-Pressesprecher Zinn betont. Das Schließen eines PACS ist in der Grande Nation bei Hetero- wie Homosexuellen bereits so verbreitet, dass die Franzosen dafür ein neues Verb kreiert haben: "se pacser".
Einheitliche EU-Regelung nicht in Sicht
Der Osten bleibt für Homosexuelle weiter eine "Diaspora" innerhalb der EU: Mit Ausnahme Ungarns gibt es in keinem der neuen EU-Mitgliedsländer eine rechtliche Anerkennung homosexueller Partnerschaften. Warschaus Bürgermeister verbat im Juni 2004 gar die Demonstrationen zum Christopher Street Day. Zinn schätzt daher die Chancen einer europäischen "rosa Revolution", die sich - angestoßen durch das spanische Gesetzesvorhaben - auch auf katholische EU-Länder wie Polen, Italien und Irland ausbreitet, als eher gering ein.
Eine einheitliche Regelung durch die EU ist ebenfalls nicht in Sicht: Die 2000 in Nizza proklamierte Europäische Grundrechtecharta überlässt das Ehe- und Familienrecht der einzelstaatlichen Gesetzgebung.