Nach dem schweren Erdbeben in Mexiko suchen Rettungskräfte und Freiwillige nach Verschütteten. Rafael González vom Mexikanischen Roten Kreuz berichtet über die Lage in der Hauptstadt.
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Deutsche Welle: Herr González, wie ist die Lage knapp einen Tag nach dem Erdbeben?
Rafael González: Wir vom Mexikanischen Roten Kreuz arbeiten gerade an drei Fronten: Hier im Rot-Kreuz-Krankenhaus in Mexiko-Stadt wurden seit gestern 41 Personen eingeliefert, von denen sich drei in kritischem Zustand befinden. Unsere Hauptaufgabe besteht darin, in Absprache mit den mexikanischen Streitkräften, der Marine und dem Zivilschutz Menschen aus eingestürzten Gebäuden zu retten. Und drittens haben wir Notunterkünfte eingerichtet für Menschen, die ihre Wohnung verloren haben. Für sie sammeln wir auch Lebensmittel und Hygieneartikel.
Wer koordiniert die Rettungsarbeiten?
Die Koordination der humanitären Hilfe obliegt der nationalen und den regionalen Regierungen. Sie stellen fest, wo die Hilfe am nötigsten ist, und rufen uns als Rotes Kreuz zur Hilfe. Im Süden der Stadt ist beispielsweise eine Schule eingestürzt, und derzeit werden noch 13 Kinder vermisst.
Laut Medienberichten herrscht große Solidarität unter den Mexikanern…
Die Hilfsbereitschaft der Mexikaner ist sehr ausgeprägt, sie ist etwas sehr Charakteristisches. Deshalb gibt es unzählige Freiwillige - viele junge Menschen, die ihre Hilfe anbieten und sich den Rettungstrupps anschließen.
In Trümmern: Die Katastrophe in Mexiko-Stadt
Es ist 13.14 Uhr am Mittag in der Hauptstadt, als die Erde bebt. Wolkenkratzer schwanken, andere Häuser stürzen ein, die Menschen rennen in Panik auf die Straßen, suchen Sicherheit. Bilder der Katastrophe.
Bild: Reuters/C. Daut
Hier stand ein Haus
Erst schwankten die Gebäude, dann kippten sie um wie Kartenhäuser oder sanken in sich zusammen. Nachdem sich der Staub über der Hauptstadt Mexiko-Stadt verzogen hat, zeigt sich den Überlebenden und Helfern ein fast surreales Bild: Nur noch Trümmer und Schutt, wo Minuten zuvor noch ein Haus stand.
Bild: Reuters/Rafael Arias
Silencio! Silencio!
Mit bloßen Händen suchen die Helfer nach Überlebenden. "Wir können keine Maschinen einsetzen", sagt Innenminister Miguel Angel Osorio Chong. Zu groß die Gefahr, so die Situation nur noch schlimmer zu machen. Weitere Gebäude könnten einstürzen. Außerdem hofft man darauf, nicht nur Tote zu bergen. "Silencio", heißt es deshalb auf Schildern, die hochgehalten werden, damit Retter etwas hören können.
Bild: Reuters/C. Daut
Nicht zögern - mit anpacken!
Feuerwehrleute, Rettungskräfte, aber auch Passanten, die selbst kurz zuvor mit dem Schrecken davongekommen sind, versuchen, die Situation in den Griff zu bekommen. Alte Farbeimer für den Schutt und eilig herbeigeschafftes Trinkwasser stehen bereit. Doch wo anfangen?
Bild: Getty Images/R. S. Fabres
Brutales Ende eines Schultages
Unter den Trümmern sind Kinderstimmen zu hören. Die Überreste der Grundschule "Enrique Rébsamen" im Stadtviertel Coapa. Mindestens 20 Kinder und zwei Erwachsene starben hier. Für die Eltern, die zum dem Gebäude geeilt sind, eine unvorstellbare Situation. Auf dem Gelände befand sich auch ein Kindergarten. Etliche Menschen werden hier noch vermisst.
Bild: picture-alliance/AP Photo/C. Cisneros
Was ist nur geschehen? Eine Umarmung zum Trost
Mexiko-Stadt, eine pulsierende Millionenmetropole. Das Erdbeben trifft die Hauptstadt zur Mittagszeit - die Menschen sind in den Büros, bei der Arbeit oder beim Mittagessen. Viele stehen danach unter Schock. Wer überlebt hat, begreift erst langsam, was geschehen ist. Eine Umarmung zum Trost angesichts des Unvorstellbaren.
Bild: Reuters/C. Daut
Ersthelfer und Ärzte zur Stelle
Spontan werden in der Stadt Ausgabestellen für Lebensmittel, Getränke, Medikamente und Schmerzmittel eingerichtet. Ersthelfer und Ärzte sind zur Stelle, um die Menschen schnell zu versorgen. Einige beschädigte Krankenhäuser müssen in aller Eile evakuiert werden. Krankenbetten, die auch fehlen, um die Überlebenden zu versorgen.
Bild: Getty Images/R. S. Fabres
Wer da ist, packt an
Tonnenschwere Trümmerteile, Steine und Mauerbrocken müssen beiseite geräumt werden. Männer und Frauen bilden Menschenketten, um schnell mit anzupacken. Gegen den Staub schützen sie sich mit Mundmasken, auch Plastikhandschuhe wurden verteilt, damit man sich an den Trümmern nicht noch verletzt. Viele arbeiten bis zur Erschöpfung.
Bild: Reuters/H. Romero
Nichts mehr zu retten
Dieses Haus ist noch nicht komplett zusammengebrochen, wird aber kaum zu retten sein. Niemand weiß in diesen Stunden, wie hoch die Schäden sind. Im Vordergrund stehen aber die weit mehr als 200 Todesopfer, die bereits in den ersten Stunden nach dem Beben gefunden wurden. Es wird Wochen dauern, bis die Schäden halbwegs beseitigt sind. Dieses Gebäude dürfte dann abgerissen sein.
Bild: picture-alliance/AP Photo/E. Verdugo
Nach der Übung die bittere Realität
Etwa zwei Stunden vor dem Beben hatten sich viele Behörden, Unternehmen und Schulen noch an der alljährlichen Erdbebenübung beteiligt, auch einen Probealarm hatte es gegeben. Dann, genau 32 Jahre nach dem verheerenden Erdbeben von 1985, wiederholt sich die Geschichte. Damals kamen rund 10.000 Menschen ums Leben. Wie viele werden es diesmal sein?
Bild: picture-alliance/AP/E. Marti
Schnell weg hier
Nach einer ersten Bilanz stürzten in Mexiko-Stadt 38 Gebäude ein. Die Situation war hier deshalb so verheerend, weil sich das Epizentrum des Bebens in Axochiapan befand, das gerade einmal 130 Kilometer südöstlich der Hauptstadt liegt. Schnell weg hier - das galt im ersten Moment für alle, die aus den schwankenden Gebäuden fliehen konnten. Manche konnten ihr Leben retten - und sonst nichts.
Bild: picture-alliance/El Universal/L. Crotes
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Überall sind Gebäude eingestürzt, vier- oder fünf-stöckige Wohn- und Geschäftshäuser, in denen Menschen eingeschlossen sind. Und die Freiwilligen machen sich mit allem, was sie finden können, oder auch mit bloßen Händen daran, die Trümmer aus dem Weg zu schaffen.
Können Freiwillige denn effektiv helfen, ohne sich oder andere in zusätzliche Gefahrzu bringen?
Wir versuchen tatsächlich, die Freiwilligen von eingestürzten Gebäuden fernzuhalten. Die Regierungskräfte versuchen, die Menschen, die mit anpacken wollen, dorthin zu dirigieren, wo sie gefahrlos helfen können, Trümmer beiseite zu räumen. Wir vom Roten Kreuz koordinieren allein rund 600 Freiwillige. Die Suche nach Überlebenden in den Ruinen darf aber nur von spezialisierten Rettungskräften durchgeführt werden.
Kann Mexiko die Katastrophe ohne internationale Hilfe bewältigen?
Den Ruf nach internationaler Hilfe müsste die mexikanische Bundesregierung tätigen. Wenn sie danach fragt, würden auch wir die Unterstützung des Internationalen Roten Kreuzes und Roten Halbmondes anfordern. Aber bisher ist das nicht geschehen.
Immerhin ist das letzte schwere Erdbeben in Mexiko noch keine zwei Wochen her. Wie verteilen sich nun die Rettungskräfte?
Die Suche nach Verschütteten und Vermissten in Oaxaca und Chiapas [vom Beben am 8.9.2017 betroffene Bundesstaaten, d. Red.] ist bereits abgeschlossen. Neben dem mexikanischen Militär sind dort auch mehr als 300 Mitarbeiter des Roten Kreuzes im Einsatz. Aber dort geht es inzwischen darum, den obdachlos gewordenen Menschen Unterkunft und Verpflegung zu geben.
Wie geht es in den nächsten Tagen weiter?
Wir suchen mit Hochdruck nach Überlebenden, da arbeiten wir gegen die Zeit. Vermutlich wird sich morgen ein klareres Bild ergeben, wo es noch Chancen gibt, Menschen lebend aus den Trümmern zu bergen. Parallel haben wir mit der bereits erwähnten humanitären Hilfe begonnen, bei der es vor allem darum geht, Menschen, die alles verloren haben, eine Unterkunft und Nahrungsmittel bereit zu stellen.
Besteht derzeit die Gefahr, dass sich Krankheiten ausbreiten?
Die nationalen Behörden haben die Gesundheitseinrichtungen angewiesen, jeden zu behandeln, also auch Personen, die keine Krankenversicherung haben. Derzeit scheint diese Gefahr aber unter Kontrolle zu sein.
Rafael González ist Sprecher des Mexikanischen Roten Kreuzes. Nach seinen Angaben beteiligt sich das Mexikanische Rote Kreuz mit 1500 Mitarbeitern, 140 Rettungswagen und 30 Rettungstrupps in Mexiko-Stadt und den umliegenden Bundesstaaten an den Rettungs- und Hilfsarbeiten.