Wie aus dem Märchenbuch
6. Januar 2009Nur wenige Markenartikel aus der ehemaligen DDR haben heute einen festen Stammplatz im Einkaufswagen auch des westdeutschen Konsumenten gefunden. Florena-Kosmetik und Spee-Waschmittel sind zwei der seltenen Beispiele. Und natürlich Rotkäppchen-Sekt. Aber anders als Creme und Waschpulver ist Rotkäppchen die einzige ehemalige Ostmarke, die bundesweit erfolgreich und außerdem eigenständig geblieben ist.
Das Unternehmen aus Sachsen-Anhalt hat West-Konkurrenten aufgekauft und ist heute Marktführer im deutschen Sektgeschäft. Florena hingegen gehört inzwischen zur Beiersdorf AG, die auch Nivea-Creme herstellt, Spee wurde vom Persil-Hersteller Henkel übernommen.
Die Einheit brachte den Einbruch
Rotkäppchen dagegen ist die unternehmerische Erfolgsgeschichte der Ex-DDR schlechthin. Die Sektkellerei wurde bereits 1856, vor über 150 Jahren, in Freyburg an der Unstrut begründet. Hier liegt heute mit 650 Hektar eines der kleinsten Weinanbaugebiete Deutschlands. Allerdings stammen nur ein paar Prozent der Trauben, die der Schaumweinhersteller verbraucht, von hier. Die meisten Früchte werden in Frankreich, Italien, Spanien und Westdeutschland dazugekauft.
Während der DDR-Zeit wurde das Unternehmen verstaatlicht und produzierte als Volkseigener Betrieb (VEB) jährlich vorgeschriebene 15 Millionen Flaschen Sekt. Nach der politischen Wende 1989 tranken auch die Ostdeutschen lieber die Prickelbrause aus dem Westen oder dem Ausland, die Deutsche Einheit brachte den Einbruch: Der Absatz sank 1991 auf 2,9 Millionen verkaufte Flaschen Sekt mit der roten Kappe.
Wende durch Management-Buy-out
Die Wende für die Sektkellerei kam dann erst 1993: Zusammen mit vier Kollegen übernahm der damalige technische Leiter Gunter Heise in einem Management-Buy-out den maroden Staatsbetrieb von der Treuhandgesellschaft. Den größten Anteil des Kaufpreises zahlten der Unternehmer Harald Eckes-Chantré und seine Familie. Den Rest übernahmen die beteiligten fünf Geschäftsführer. Heute hält die Familie Eckes-Chantré über 50 Prozent des Unternehmens. Heise und noch drei seiner Kollegen haben die übrigen Anteile inne.
Von 1994 an hieß das Ziel der Sekt-Unternehmer, die ostdeutsche Hausmarke Rotkäppchen auch auf dem West-Markt zu etablieren. Das gelang so erfolgreich, dass der Ost-Betrieb im Jahr 2000 mit insgesamt 50 Millionen Flaschen Absatz die Sekt-Marktführerschaft in Deutschland übernahm.
Rotkäppchen auf Einkaufstour im Westen
Nun hatte die Geschäftsführung in Freyburg genug Geld in der Kasse, um 2002 die hessischen Sektmarken Mumm, Jules Mumm und MM Extra vom kanadischen Getränkehersteller Seagram zu übernehmen. Ein Jahr später kaufte die Rotkäppchen-Mumm Sektkellereien GmbH zudem die kleine Sekt-Edelmarke Geldermann aus Baden dazu.
Im Jahr 2007 lag der Anteil der Rotkäppchen-Kellereien am deutschen Sektmarkt laut Unternehmensangaben bei fast 40 Prozent. Die Nummer zwei, Freixenet aus Spanien, erreichte einen Marktanteil von rund 17 Prozent. Weltweit sieht die Reihenfolge anders aus: Hier führt Freixenet den Markt an, Rotkäppchen liegt auf einem beachtlichen zweiten Platz.
Einstieg in das Spirituosengeschäft
Das bislang letzte Mal kaufte die Rotkäppchen-Mumm Sektkellereien GmbH Ende 2006 ein westdeutsches Unternehmen auf: den Spirituosenhersteller Eckes Spirituosen & Wein GmbH mit seinen Marken Chantré- und Mariacron-Weinbrand, Eckes Edelkirsch-Likör sowie Nordhäuser Doppelkorn. Seitdem ist sie auch die Nummer eins im deutschen Spirituosenmarkt.
2007 war insgesamt das bislang erfolgreichste Jahr des einstigen Sanierungsfalls Rotkäppchen: Der Absatz von Sekt, Spirituosen und Wein stieg laut Unternehmensangaben auf 186 Millionen Flaschen insgesamt - ein Plus von 10,5 Prozent. Der Absatz beim Sekt, der den größten Anteil ausmacht, steigerte sich im Vergleich zum Vorjahr um 12,6 Prozent. Beim Umsatz wurde mit insgesamt 709,5 Millionen Euro ein Zuwachs von 8,9 Prozent gegenüber 2006 erzielt. Über den Gewinn sagt das privat geführte Unternehmen hingegen nichts.
Das Ziel: Gesamtdeutsche Hausmarke
Für Joachim Schütz, Geschäftsführer des Interessensverbandes Markenverband, in dem auch Rotkäppchen Mitglied ist, kam der Erfolg des Unternehmens 1993 mit der neuen Markenstrategie: "Nach dem Management-Buy-out richtete die Geschäftsführung die Werbekampagne ganz auf Rotkäppchen als nationale Marke aus." Aus der bis dato Ost-Brause sollte die gesamtdeutsche Hausmarke werden. "Rotkäppchen hatte das Potenzial, sich als nationale Marke am Markt zu positionieren. Weil die das auch frühzeitig umgesetzt haben, waren sie damit so erfolgreich", zeigt sich Schütz sicher.
Erst wurde mit der eigenen Marke Rotkäppchen Geld verdient, dann wurden West-Marken dazugekauft. Absatzzahlen der einzelnen Sektmarken aus dem Hause Rotkäppchen-Mumm Sektkellereien GmbH für die alten und neuen Bundesländer gibt das Unternehmen nicht bekannt.
Sicher ist jedoch: Inzwischen prickelt speziell auch Rotkäppchen-Sekt bei vielen Gelegenheiten in Westdeutschland im Glas, das Image der Ost-Marke ist die Brause aber bislang nicht ganz losgeworden. Die Firma Rotkäppchen hat sich nach eigenen Angaben nie aktiv darum bemüht, ihre ostdeutsche Kundschaft speziell anzusprechen. "Am liebsten würden wir das Ost-Image ganz loswerden", sagt ein Unternehmenssprecher. Für Pressebeiträge, die sich mit der ostdeutschen Erfolgsgeschichte Rotkäppchens beschäftigen, steht die Geschäftsführung denn auch nicht für Gespräche zur Verfügung. Begründung: "Die DDR-Geschichte ist nur ein Teil unserer über 150-jährigen Tradition. Wir sind ein an der Zukunft orientiertes Unternehmen", so der Unternehmenssprecher weiter.
Der Erfolg gibt der nationalen Markenstrategie Recht. "Kunden aus Ostdeutschland fühlen sich auch nicht zurückgelassen. Sie werden durch die Werbung wie Westkunden angesprochen", sagt Schütz vom Markenverband in Berlin. Eine erfolgreiche deutsche Wiedervereinigung mit dem Sektkelch in der Hand.