Damals ermordeten Angehörige der Hutu-Mehrheit bis zu eine Million Menschen. In der Hauptstadt Kigali gedachten führende Politiker der Opfer. Frankreich will dem Völkermord einen eigenen Gedenktag widmen.
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Mit einer bewegenden Zeremonie hat Ruanda an das beispiellose Blutvergießen vor 25 Jahren erinnert. Präsident Paul Kagame entzündete am Völkermord-Denkmal in der Hauptstadt Kigali eine Kerze für die Hunderttausenden Opfer und markierte damit den Beginn für 100 Tage Staatstrauer.
Begleitet wurde er dabei vom Kommissionspräsidenten der Afrikanischen Union, Moussa Faki Mahamat, sowie EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker. Das Gedenken an die Opfer habe ihn zutiefst berührt, sagte Juncker, "Es ist unsere Pflicht, uns zu erinnern."
Nach dem Genozid habe es "keine Hoffnung gegeben, aber die Arme unserer Menschen haben geholfen, die Nation wieder aufzubauen", sagte Kagame dann bei der offiziellen Gedenkveranstaltung im Nationalstadion. Dorthin hatten sich während des Völkermords 1994 Tausende Menschen mit Hilfe der UN in Sicherheit gebracht.
Gedenken in Ruanda
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Der Staatschef lobte, wie weit Ruanda nach dem Völkermord gekommen sei. "25 Jahre später sind wir hier, alle zusammen. Verletzt und mit gebrochenen Herzen, aber unbesiegt." Auch warnte er jegliche Gegner im In- und Ausland: "Niemand hat die Macht, die Ruander jemals wieder gegeneinander aufzubringen." Zu der Feier sind zahlreiche afrikanische Staats- und Regierungschefs und Gäste aus aller Welt angereist. Deutschland wird durch Altbundespräsident Horst Köhler vertreten.
Bald eigener Gedenktag in Frankreich
Frankreich lässt sich von dem Parlamentsabgeordneten Hervé Berville vertreten, der aus einer Tutsi-Familie stammt. Darüber hinaus will die französische Regierung dem Massaker einen eigenen Gedenktag, ebenfalls am 7. April, widmen, wie der Élyséepalast mitteilte. Wenige Tage zuvor hatte Staatschef Emmanuel Macron eine Kommission berufen, um die Rolle Frankreichs bei dem Völkermord untersuchen zu lassen.
Denn dem EU-Land wird - auch von Kagame - immer wieder vorgeworfen, in die Vorbereitung und Ausführung involviert gewesen zu sein. Die französische Armee soll den Völkermördern freies Geleit in den Kongo gewährt haben. Paris und Kigali hatten in der Vergangenheit zwischenzeitlich ihre diplomatischen Beziehungen abgebrochen.
Weltgemeinschaft schaute weitgehend weg
Auslöser des Völkermords in der früheren deutschen und belgischen Kolonie Ruanda war der bis heute ungeklärte Abschuss des Flugzeugs des autoritären Präsidenten Juvénal Habyarimana am 6. April 1994. Noch in derselben Nacht begann das Morden. Vertreter der Hutu-Mehrheit töteten bis zu einer Million Menschen, die meisten davon Angehörige der Tutsi-Minderheit, aber auch gemäßigte Hutu. Die Massaker wurden erst nach rund 100 Tagen beendet, als die im Exil von Tutsi gegründete Ruandische Patriotische Front (RPF) mit Paul Kagame an der Spitze aus Uganda einmarschierte.
100 Tage Morden
An diesem 6. April ist es 25 Jahre her, dass der Völkermord in Ruanda die Welt schockte. 1994 ließ die Internationale Gemeinschaft - vor allem die UN und Frankreich - die Menschen im Stich.
Bild: Timothy Kisambira
Signal zum Völkermord
Am 6. April 1994 schießen Unbekannte das Flugzeug des ruandischen Präsidenten Juvénal Habyarimana beim Landeanflug auf die Hauptstadt Kigali mit einer Rakete ab. Habyarimana, sein Amtskollege aus Burundi und acht weitere Insassen sterben. Am Tag darauf beginnen Massaker, die drei Monate andauern und mindestens 800.000 Ruander das Leben kosten.
Bild: AP
Gezieltes Töten
Nach dem Attentat auf den Präsidenten gehen extremistische Hutu auf die Minderheit der Tutsi und auf gemäßigte Hutu los. Die Mörder sind gut vorbereitet und gehen gezielt vor. Im Visier haben sie vor allem Menschenrechtler, Journalisten und Politiker. Zu den ersten Opfern am 7. April gehört Premierministerin Agathe Uwiringiymana.
Bild: picture-alliance/dpa
Rettung für Ausländer
Während in Kigali und auf dem Land in den folgenden Tagen täglich an die Tausend Ruander getötet werden, evakuieren belgische und französische Spezialtruppen etwa 3500 Ausländer. Belgische Fallschirmjäger retten am 13. April auch die sieben deutschen Mitarbeiter und ihre Familien aus der Sendestation der Deutschen Welle in Kigali. Nur 80 der 120 einheimischen Mitarbeiter überleben den Genozid.
Bild: P.Guyot/AFP/GettyImages
Ungehörter Hilferuf
Hinweise auf die geplante Vernichtung der Tutsi liegen dem kanadischen Blauhelmkommandeur Romeo Dallaire schon Anfang 1994 vor. Seine als "Genocide-Fax" bekannt gewordene Nachricht vom 11. Januar an die UN wird zurückgewiesen. Auch spätere, verzweifelte Appelle des Generals während des Völkermords lässt der damalige UN-Chef für friedenserhaltende Maßnahmen, Kofi Annan, nicht gelten.
Bild: A.Joe/AFP/GettyImages
Hassmedien
Der Radiosender Mille Collines (RTLM) und die Wochenzeitung Kangura stacheln zum Hass auf Tutsi an. Kangura etwa veröffentlicht schon 1990 die rassistischen "Zehn Gebote der Hutu". Das durch Popmusik und Sportberichte populäre Radio Mille Collines ruft täglich zur Hetzjagd und Ermordung auf. Regisseur Milo Rau widmet diesen menschenverachtenden Sendungen später seinen Film "Hate Radio" (Foto).
Bild: IIPM/Daniel Seiffert
Zuflucht im Hotel
In Kigali versteckt Paul Rusesabagina mehr als 1000 Menschen im Hotel Des Mille Collines. Nachdem der belgische Manager das Land verlassen hatte, hatte Rusesabagina dessen Posten eingenommen. Mit viel Alkohol und Geld kann er die Hutu-Milizen davon abhalten, die Flüchtlinge zu töten. An vielen anderen vermeintlichen Zufluchtsorten entkommen die Opfer dem Morden nicht.
Bild: Gianluigi Guercia/AFP/GettyImages
Massaker in Kirchen
Selbst vor Kirchen, in denen viele Menschen Schutz suchen, machen die Mörder nicht Halt. Rund 4000 Männer, Frauen und Kinder werden im Gotteshaus von Ntarama in der Nähe von Kigali mit Äxten, Messern und Macheten ermordet. Heute ist die Kirche eine der vielen Gedenkstätten. Aufgereihte Totenköpfe und Menschenknochen sowie Einschusslöcher in den Wänden erinnern bis heute an den Genozid.
Bild: epd
Frankreichs Rolle
Paris pflegt enge Kontakte zum Hutu-Regime. Als die Rebellen der Ruandischen Patriotischen Front (RPF) die Völkermörder weit zurückgedrängt haben, greift im Juni Frankreichs Armee ein. Sie ermöglicht den für den Genozid verantwortlichen Soldaten und Milizionären, mit ihren Waffen nach Zaire, in die heutige Demokratische Republik Kongo, zu fliehen.
Bild: P.Guyot/AFP/GettyImages
Flüchtlingsströme
Während des Mordens fliehen Millionen Ruander - Tutsi und Hutu - in die Nachbarländer Tansania, Zaire und Uganda. Zwei Millionen Flüchtlinge kommen allein nach Zaire. Ehemalige Armeeangehörige und Völkermörder unter ihnen gründen die Demokratischen Kräfte zur Befreiung Ruandas (FDLR) und sorgen bis heute für Unsicherheit im Ostkongo.
Bild: picture-alliance/dpa
Einnahme Kigalis
Vor der Kirche der Heiligen Familie in Kigali patrouillieren am 4. Juli 1994 Rebellen der RPF. Inzwischen haben sie die meisten Landesteile befreit und die Völkermörder in die Flucht getrieben. Menschenrechtler beklagen allerdings, dass auch die Rebellen Verbrechen begehen - für die bis heute niemand zur Verantwortung gezogen wurde.
Bild: Alexander Joe/AFP/GettyImages
Ende des Genozids
Generalmajor Paul Kagame, Chef der RPF, erklärt am 18. Juli 1994 den Krieg gegen die Regierungstruppen für beendet. Die Rebellen kontrollieren die Hauptstadt und andere wichtige Städte. Zunächst setzen sie eine provisorische Regierung ein. Seit dem Jahr 2000 ist Kagame Präsident Ruandas.
Bild: Alexander Joe/AFP/GettyImages
Bleibende Narben
Der Genozid dauerte knapp drei Monate. Die Opfer wurden meist mit Macheten bestialisch ermordet. Nachbarn töteten Nachbarn. Leichen oder Leichenteile von Babys, Kindern, Erwachsenen und Greisen säumen die Straßen. Es gibt keine Familie, die nicht betroffen ist. Nicht nur die Narben an den Körpern der Überlebenden halten die Erinnerung an den Völkermord wach.
Bild: Timothy Kisambira
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Die internationale Gemeinschaft ignorierte die Krise lange, obwohl der Kommandeur der UN-Truppen vor einem drohenden Genozid gewarnt hatte.Die 2500 Blauhelme vor Ort durften nicht eingreifen, weil der UN-Sicherheitsrat ihnen ein robustes Mandat versagte.
Auch Bundesaußenminister Heiko Maas erinnerte am Samstagabend in Berlin an die mehr als 800.000 Toten und ihre Angehörigen. Ein solches "Verbrechen unvorstellbaren Ausmaßes" müsse "eine Mahnung für zukünftige Generationen sein". "Im Frühjahr 1994 hat die Weltgemeinschaft die Warnzeichen des bevorstehenden Völkermords nicht rechtzeitig wahrgenommen", so Maas. Heute habe sich das Instrumentarium der Krisenfrüherkennung und der Krisenprävention deutlich fortentwickelt.
Kagame regiert seit 1994 durch
Nach der Beendung des Massakers und dem Sieg über die Hutu-Extremisten übernahm RPF-Chef Paul Kagame die Macht in Ruanda. Er regiert bis heute. Kagame verordnete einen Versöhnungskurs. Täter mussten sich in Dorfgerichten, den sogenannten Gacaca, verantworten. Drahtzieher des Völkermords wurden vor das internationale Tribunal im tansanischen Arusha gestellt.
Kagame ließ 2015 die Verfassung ändern, um weiterregieren zu können. 2017 wurde er mit mehr als 98 Prozent der Stimmen wiedergewählt. Sein Regierungsstil ist autoritär, es gibt kaum Opposition oder kritische Medien. Der Präsident wird wegen wirtschaftlicher Erfolge gelobt, aber wegen der Unterstützung von Rebellen im Ostkongo kritisiert.
Ruanda gehört mit mehr als 450 Einwohnern pro Quadratkilometer zu den am dichtesten besiedelten Ländern Afrikas. Von den rund 13 Millionen Einwohnern sind geschätzte 80 bis 85 Prozent Hutu, 10 Prozent Tutsi. Offiziell werden die Volksgruppen nicht mehr unterschieden.