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PolitikAfrika

Ruanda und DR Kongo: Gelingt die Deeskalation?

8. Juli 2022

Beobachter schlossen zuletzt sogar einen Krieg der beiden Nachbarn nicht aus. Jetzt wollen Ruanda und Kongo aufeinander zugehen. Doch dabei haben sie die Rechnung ohne die Rebellen der M23 gemacht.

DR Kongo | kongolesische Soldaten auf dem Weg zur Front im Kampf gegen die M23-Rebellen
Kongolesische Soldaten auf dem Weg zur Front im Kampf gegen die M23-RebellenBild: Arlette Bashizi/AFP/Getty Images

Die meisten politischen Vereinbarungen sind nicht für die Ewigkeit - doch die Lebensdauer des allerersten Ziels der sogenannten Roadmap war dramatisch kurz. Unter angolanischer Vermittlung hatten die Präsidenten der Demokratischen Republik Kongo und Ruandas, Felix Tshisekedi und Paul Kagame, Schritte zur Verbesserung ihrer Beziehungen beschlossen.

In der sechs Punkte umfassenden Vereinbarung bekannten sich beide Seiten zu einem "sofortigen Rückzug der M23". Doch die Rebellengruppe setzte ein Zeichen, dass nicht über ihren Kopf hinweg entschieden werden kann und verübte neue Angriffe. "Wir sind Kongolesen, keine Ruander", ließ sich M23-Sprecher Willy Ngoma von der Nachrichtenagentur AFP zitieren. "Ein Waffenstillstand kann nur zwischen uns und der kongolesischen Regierung vereinbart werden."

Ist damit der jüngste Anlauf für Frieden in der konfliktgebeutelten Region im Osten Afrikas schon gescheitert, bevor er begonnen hat?

Wer sind die M23-Rebellen?

Die M23 galten lange als Geist der Vergangenheit: 2012 hatten ihre Kämpfer die an Ruanda grenzende Millionenstadt Goma am Kivusee eingenommen. Blauhelm-Soldaten der UN-Truppe MONUSCO drängten sie damals zurück; ein Jahr später verschwand die M23 von der Bildfläche. Nach ersten Lebenszeichen Ende 2021 kam es in den vergangenen Monaten wieder zu Angriffen; unter anderem übernahm die M23 die Kontrolle über mehrere Dörfer im kongolesischen Grenzgebiet.

Die M23 sehen ihre Mission unter anderem darin, Tutsi vor ethnischer Gewalt im Ostkongo zu beschützen. Die Gruppe wird selbst von Tutsi dominiert - und ist eine von vielen bewaffneten Gruppen, die in den Nachwehen des Genozids in Ruanda 1994 weiteres Leid über die Region der Großen Seen gebracht haben. Damals hatten radikalisierte Hutu rund 800.000 Tutsi und gemäßigte Hutu unter den Augen von UN-Blauhelmsoldaten ermordet; beendet wurde der Genozid erst durch eine Tutsi-Truppe unter dem späteren ruandischen Präsidenten Kagame.

"Im Kongo wird die M23 mit Ruanda gleichgesetzt. Es gibt viele Fakten, die darauf hindeuten, dass sie von außen Unterstützung erhalten: beispielsweise die sehr gute militärische Ausrüstung der M23", sagt Jakob Kerstan, der das Büro der deutschen CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung in Kinshasa leitet. Nach der Entstehung der M23 legte sogar ein Expertenbericht im Auftrag der Vereinten Nationen derartige Unterstützung aus Ruanda nahe.

 Weder Kongo noch Ruanda wollen Krieg

Die Rückkehr der M23 trug dann auch zu einer Verschlechterung der kongolesisch-ruandischen Beziehungen bei. Wieder wirft Kongo Ruanda vor, die Rebellen zu unterstützen, was aus Kigali jedoch abgestritten wird. Die Spannungen zwischen beiden Ländern waren in den vergangenen Monaten so groß geworden, dass selbst ein direkter Krieg in den Bereich des Möglichen gerückt war: Im Februar beklagte Kagame die Aktivitäten einer Hutu-Miliz im Ostkongo und drohte vor dem versammelten Parlament mit einem Militäreinsatz "mit oder ohne Zustimmung" aus Kinshasa. Die kongolesische Regierung wiederum bezichtigte Ruanda, Raketen über die Grenze geschossen zu haben.

Die Kluft überwinden: Kagame (r.) und Tshisekedi 2021 begutachten Schäden nach einem Ausbruch des NyiragongoBild: Simon Wohlfahrt/AFP/Getty Images

Letztendlich hätten aber weder Kagame noch Tshisekedi ein Interesse daran, die Situation weiter eskalieren zu lassen, sagte Phil Clark, Professor für Internationale Politik an der SOAS-Universität in London, der DW: "Beide wollen einen stabilen Ostkongo. Tshisekedi will die Zivilbevölkerung schützen, Kagame hat unter anderem Ruandas wirtschaftliche Interessen im Blick." Eine mögliche Eskalation der Gewalt gefährde beides.

Neuer militärischer Anlauf

Kurzfristig soll eine neue militärische Intervention die Lage in der Region stabilisieren: Die Ostafrikanische Gemeinschaft (EAC) hatte im sogenannten Nairobi-Prozess die Gründung einer Eingreiftruppe unter Führung Kenias beschlossen. Zwischenzeitlich hatten sich darüber die Fronten weiter verhärtet, als Kinshasa die Mitwirkung ruandischer Truppen blockierte - inzwischen gab Ruanda den Widerstand gegen die Ausgrenzung seiner Armee auf.

Direkte Friedensgespräche mit den M23 gelten derzeit als nahezu ausgeschlossen. Die Bevölkerung in der Region Nord-Kivu trete mit klaren Erwartungen an die Zentralregierung heran, sagte Marrion Ngavo, Präsidentin einer lokalen Bürgergruppe der DW: "Die Bevölkerung will, dass zuerst der Feind von der Armee vertrieben wird." Über alles andere könne man reden, sobald die Dörfer aus der Gewalt der Angreifer befreit worden seien.

Die Leidtragenden sind die Anwohner: Das Wiedererstarken der M23 hat Tausende in die Flucht getriebenBild: ESDRAS TSONGO/AFP via Getty Images

KAS-Büroleiter Kerstan dämpft im Gespräch mit der DW die Erwartungen an eine neue Intervention: "Ich glaube nicht, dass die Eingreiftruppe der Ostafrikanischen Gemeinschaft stark und vor allem schnell zu einer entscheidenden Verbesserung der Lage beitragen kann." Zugleich sei Ländern wie Uganda und Kenia jedoch an einem stabilen Kongo gelegen, "vor allem aus wirtschaftlichem Interesse, weil es für sie neue Märkte von bis zu 100 Millionen Konsumenten bedeutet". Erst Ende März war die DR Kongo der Regionalgemeinschaft beigetreten.

Dringend benötigt: ein "umfassender Friedensprozess"

Zugleich wird jedoch auch Uganda vorgeworfen, bestimmte Milizen im Ostkongo zu unterstützen. Auch sollen Uganda und Ruanda Profite mit dem Export von Gold, Coltan und anderen Rohstoffen machen, die zuvor illegal über die Grenze geschafft wurden. Manche Analysten sind sogar der Ansicht, dass Uganda und Ruanda die verschiedenen Milizen im Ostkongo - nicht nur geografisch weit entfernt vom Einfluss der Zentralregierung in Kinshasa - für einen Stellvertreterkonflikt nutzen.

Transitzentrum in Uganda: Auch die Nachbarländer nehmen Geflüchtete aufBild: Badru Katumba/AFP/Getty Images

"In der Region ist ein umfassender Friedensprozess von Nöten", sagt der Direktor des Afrika-Programms am Zentrum für Strategische und Internationale Studien (CSIS), Mvemba Pheso Dizolele, im DW-Interview: "Wir können nicht nach Gutdünken Milizen einsetzen, wie es uns gefällt. Die Führung in Kigali sollte echte Führungsstärke zeigen und den Kongolesen entgegenkommen, um den Groll auf beiden Seiten auszuräumen."

Frischer Wind aus Angola und Kenia?

Tatsächlich vereinbarten Kagame und Tshisekedi unter Vermittlung des dafür von der Afrikanischen Union eingesetzten angolanischen Präsidenten João Lourenço noch weitergehende Punkte: Bei einem außerordentlichen Gipfeltreffen der Region der Großen Seen sollen Fortschritte der Vereinbarung überprüft werden; dem neutralen Vermittler Angola kommt die Rolle zu, gegenseitige Vorwürfe zu untersuchen. Der in der kenianischen Hauptstadt begonnene Nairobi-Prozess soll weiter vorangetrieben werden.

Vermittler für Ostafrika: Angolas Präsident Joao Lourenco (M.) am Mittwoch mit Kagame (l.) und TshisekediBild: JORGE NSIMBA/AFP

"Ich glaube, dass durch stärkeres Interesse von weiteren Playern, beispielsweise Kenia, noch einmal eine neue Dynamik in die Friedensverhandlungen hineinkommen könnte", resümiert KAS-Kongoexperte Kerstan. "Gleichzeitig ist es aber ein Konflikt, der seit Jahrzehnten da ist." Viele Lösungsversuche seien bereits gescheitert - und zumindest kurz- und mittelfristig sei eine Beilegung des Konflikts nicht absehbar. Ob das bei dem neuen Anlauf anders wird, muss sich zeigen.

Mitarbeit: Isaac Mugabi, Eddy Micah Jr., Zanem Nety Zaidi (Goma)

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