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Ruandas Frauen nach dem Genozid

Sandra Petersmann16. Oktober 2003

Während des ruandischen Völkermordes 1994 haben auch unzählige Frauen ihre Ehemänner verloren. In der Not ging auch das traditionelle Geschlechterverhältnis zu Bruch.

Ein Dorfgericht berät über Strafen für Schuldige des VölkermordesBild: AP

Audette Mukanzoro starrt auf den Boden und atmet tief ein. Die 40-jährige Witwe redet nicht gerne über ihre Vergangenheit. Die Erinnerung ist schmerzhaft, sagt Mukanzoro. Um zu vergessen, hat sie sich nach dem großen Verlust in Arbeit gestürzt. Und anderen Frauen geholfen, die das gleiche durchgemacht haben wie sie.

Audette Mukanzoro hat ihren Mann in dem großen Schlachten verloren. "Ich weiß immer noch nicht genau, was damals mit ihm passiert ist. Jeder ist geflüchtet. Der eine da hin, der andere dort hin, nur weg", sagt sie. Später hat sie dann gehört, dass ihr Mann tot sei. Nach dem Genozid in Ruanda 1994 hat sie versucht zu erfahren, wer ihn umgebracht hat, aber das ist ihr nicht gelungen. "Wir Frauen haben uns dann da, wo ich wohne, zusammengefunden und eine Selbsthilfegruppe gegründet. Alles Frauen, die auf einmal eine Familie führen müssen, weil der Mann nicht mehr da ist. Weil er tot ist, weil er verschwunden ist, weil er ein Mörder ist und im Gefängnis sitzt." Letztlich haben alle die gleichen Probleme. Frauen müssen plötzlich einem Haushalt vorstehen, und in der ruandischen Gesellschaft, wo eigentlich alles den Männern gehört, ist das nicht so einfach.

800.000 Morde in 13 Wochen

Opfer des Völkermordes in RuandaBild: AP

Der Völkermord in Ruanda liegt erst neun Jahre zurück. Damals starben in dem zentralafrikanischen Land über 800.000 Menschen. Das unvorstellbare Morden dauerte 13 Wochen. Die Weltgemeinschaft schaute ungläubig zu, tat aber nichts. Seit dem Genozid und dem anschließenden Bürgerkrieg ist in dem kleinen Land der 1000 Hügel und Täler nichts mehr so, wie es mal war. Und auch die Rolle der ruandischen Frauen hat sich in dramatisch kurzer Zeit für immer verändert.

Mukanzoro versucht die Situation zu umschreiben: "Das ist ja auch ein unglaublicher Sturm der Gefühle. Du bist plötzlich in einer völlig neuen Situation. Du musst Deinen Kindern Liebe geben, Du musst Deinen Eltern Liebe geben, wenn sie überlebt haben, aber wer gibt Dir Liebe?" Der Neuanfang nach dem großen Morden war für alle Frauen gleich schwer, egal, ob die Männer Opfer oder Täter des Genozids waren.

Traditionen funktionieren nicht mehr

Denn nach der traditionellen Erziehung in Ruanda waren die Mütter völlig abhängig von den Vätern. So hatten es auch alle Kinder erlebt und gelernt. Die überlebenden Mütter waren gar nicht darauf vorbereitet eine Familie zu leiten und eigene Entscheidungen zu treffen. Sie wußten nicht, worauf es ankommt. Und sie hatten niemanden, den sie fragen konnten, keine Autorität mehr.

Ein anderes Problem war, dass die meisten buchstäblich mit nichts weiterleben mussten. "Wir hatten kein Haus, wir hatten kein Geld, wir hatten keine Arbeit. Viele Frauen hatten ihre Kinder auf der Flucht verloren. Wir mussten aus dem Nichts ein Familienleben aufbauen. Und die Kinder haben dann in dieser Situation Forderungen an ihre Mütter gestellt, mit denen sie vorher nie konfrontiert waren. Und die Mütter wussten nicht, wie sie damit umgehen sollten. Wir Frauen mussten lernen, wie sie sich zu Hause durchsetzen können. Und dabei haben wir uns gegenseitig geholfen", beschreibt Mukanzoro die Zeit unmittelbar nach dem Völkermord.

Neues weibliches Selbstbewußtsein

Mukanzoro gibt zu, dass die ruandische Gesellschaft noch immer von Männern dominiert wird. "Aber wir Frauen haben aufgeholt", sagt sie selbstbewusst. "Vor dem Genozid gab es keine Frau, die ein Haus gebaut hätte, oder die arbeiten gegangen ist, wenn sie verheiratet war. Oder die abends noch zur Schule gegangen wäre, um sich weiterzubilden. Aber jetzt gibt es das. Frauen besuchen Abendschulen, Frauen bauen Häuser, Frauen haben Berufe, sie verdienen das Geld für ihre Familie. Und selbst die Frauen, die verheiratet sind und das gar nicht müssen, wissen jetzt, dass sie es jederzeit tun können, wenn sich ihre Situation verändert und sie reagieren müssen. Und dass sie es auch schaffen können."

Verlorene Kinder

Doch nicht nur Frauen und Mütter standen nach dem Genozid oft alleine da, viele Kinder haben ihre Eltern verloren. Als Mukanzoro selbst vor dem Genozid floh, traf sie zwei kleine Kinder, die ihre Eltern verloren hatten. Die Eltern tauchten nie wieder auf, also nahm die Frau die beiden zu sich. Heute ist Mukanzoro im Straßenkinderzentrum des Deutschen Roten Kreuzes in Kigali für über 80 Kinder verantwortlich, die entweder gar keine Familie mehr haben oder die verstoßen worden sind, weil die Familie zu arm ist.

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