1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

Ruandas Nachbarschaftskrise

Cristina Krippahl ms
6. April 2019

Der Völkermord von 1994 beeinflusst Ruandas Verhältnis zu den Nachbarländern bis heute. Auch nach 25 Jahren spielen ethnische Kategorien und alte Verbindungen in der Region noch immer eine wichtige Rolle.

Ugandas Präsident Yoweri Museveni und Ruandas Präsident Paul Kagame bei einem Treffen in Uganda 2018
Bild: Getty Images/AFP/M. Sibiloni

Ein Vierteljahrhundert liegt der grausame Völkermord in Ruanda zurück. Heute wird das kleine ostafrikanische Land als Vorzeigebeispiel für Stabilität gelobt: Vor allem in wirtschaftlicher Hinsicht hat sich der Staat in den letzten 25 Jahren gut erholt. Aber der Genozid der radikalen Hutu-Mehrheit an den Tutsi und gemäßigten Hutu 1994 hat das Land und seine Gesellschaft tief traumatisiert. Die zwölf Millionen Einwohner leben friedlich miteinander, aber die Erinnerung an die Gräueltaten hat sich eingebrannt: Zwischen April und Juli 1994 starben rund 800.000 Menschen, die Infrastruktur wurde völlig zerstört.

Der Erfolg, zu einer weitgehend funktionierenden Gesellschaft gewachsen zu sein, wird in erster Linie Präsident Paul Kagame zugeschrieben. "Er hat herausragende Arbeit geleistet. Er hat die Entwicklung des Landes vorangebracht und internationale Investoren ins Land geholt", sagt Patrick Hajayandi, Mitarbeiter des südafrikanischen Instituts für Gerechtigkeit und Versöhnung (IJR), im DW-Interview.

'Beschützer der Tutsi'

Ruanda ist aber auch ein Land, das innen- und außenpolitisch stark durch seine Geschichte geprägt ist. Der Genozid hat deutliche Spuren hinterlassen. "Die Rolle, die der Völkermord an den Tutsi für Kagame spielt, kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden", sagt Phil Clark, Mitarbeiter der Londoner SOAS-Universität. "Die ruandische Regierung ist die stärkste Instanz, wenn es darum geht, die soziale und wirtschaftliche Ungleichheit zwischen den ethnischen Gruppen der Hutu und Tutsi abzuschaffen."

Die Erinnerung an den Völkermord prägt Ruandas PolitikBild: Getty Images/AFP/S. Maina

Genau diese Geisteshaltung liege dem autoritären Führungsstil des Präsidenten zugrunde, sagt Clark im DW-Interview. Aus Kagames Sicht rufe politischer Widerstand nur Unruhen hervor. Menschenrechte stünden daher nicht hoch oben auf der politischen Tagesordnung für Ruandas Präsidenten. Es gehe ihm hauptsächlich darum, ein mögliches Aufflammen von Gewalt um jeden Preis zu verhindern. "Daraus ergibt sich Ruandas Bedürfnis, die Tutsi in der gesamten Region zu schützen", sagt Clark. Das betreffe vor allem die Tutsi in den Ländern Burundi, Uganda und im Osten der Demokratischen Republik Kongo. "In diesen Ländern werden die Tutsi seit Jahrzehnten systematisch von bestimmten Fraktionen angefeindet."

Kagame äußerte bereits häufiger Kritik gegenüber oppositionelle Gruppen, die aus den Nachbarländern heraus operierten und in seinen Augen den Integrationsprozess im Osten Afrikas störten. Kürzlich erreichten die politischen Spannungen einen Höhepunkt, als Kagames Regierung einen Grenzübergang zu Uganda schloss. Der ugandische Analyst Mwambutsya Ndebesa von der Makerere Universität in Kampala sieht darin ein Zeichen für den regionalen Machtkampf: "Es geht um die politische Vorherrschaft in der Region", sagt er im DW-Interview. "Aber auch um persönliche Feindseligkeiten."

Ruanda schloss zeitweilig seine Grenze zum Nachbarland UgandaBild: DW/A. Gitta

Ugandas Präsident Yoweri Museveni und Ruandas Paul Kagame waren einst Vertraute. Kagame war eine Schlüsselfigur in der Rebellenorganisation und heutigen Regierungspartei Ruandas "Rwandan Patriotic Front" (RPF), die Museveni 1986 zur Machtübernahme verhalf. Sie war aus Musevenis "National Resistance Movement" (NRM) hervorgegangen. Als die RPF-Rebellen 1994 in Ruanda einmarschierten, den Völkermord stoppten und Paul Kagames Weg an die Spitze des Landes ebneten, erhielten sie aktive Unterstützung von Uganda.

Seither haben sich die Beziehungen zwischen den früheren Kampfgenossen verschlechtert. "Präsident Museveni und seine Generäle glauben, die Regierung in Ruanda schulde ihnen etwas", sagt Christopher Kayumba von der Universität Ruanda. "Schließlich haben sie ihm damals geholfen, das Regime von Juvénal Habyarimana zu stürzen und den Genozid zu stoppen." Kagame reibe sich daran, als Günstling behandelt zu werden. Denn er habe Ambitionen, mehr Macht in der Region zu gewinnen.

Angst vor Gewalt

Museveni ist nicht die einzige afrikanische Führungsperson, die mit Kagame im Streit liegt. Auch die politischen Spannungen zwischen Ruanda und dem südlichen Nachbarstaat Burundi sind gewachsen. Auch hier spielen persönliche Animositäten zwischen Kagame und dem Präsidenten von Burundi, Pierre Nkurunziza, eine Rolle. Aber der burundische Analyst Patrick Hajayandi glaubt, die Feindschaft habe auch eine ethnische Komponente: "In Ruanda sagt jeder, wir sind alle Ruander. Aber wenn man mit Leuten spricht, erzählen sie, dass Hutu in gewisser Weise ausgeschlossen werden."

Ruandas Präsident Paul Kagame liegt mit zahlreichen Nachbarländern in StreitBild: picture-alliance/C. Ndegeya

Laut Hajayandi werden die Hutu in Ruanda noch für den Genozid verantwortlich gemacht und gelten als nicht vertrauenswürdig. Burundi hingegen weise Erfolge in der ethnischen Integration auf - und stelle damit eine Bedrohung für Kagames Ambitionen dar, in der Region mehr Macht zu erlangen. Hajayandi weist die Kritik aus Kigali zurück, Präsident Nkurunziza helfe den Rebellen im Kongo, gegen Kagame zu kämpfen: "Die Grenzen sind durchlässig, sicherlich gibt es Waffenschmuggel. Aber ich glaube nicht, dass die Regierung in Burundi beabsichtigt, Ruanda durch bewaffnete Rebellengruppen zu destabilisieren."

Viele Beobachter fürchten, dass die Spannungen in der Region in offene Gewalt umschlagen könnten. Aber es sei unwahrscheinlich, dass der Westen mehr Druck auf die Kagame-Regierung ausüben werde, damit sie das Verhältnis zu ihren Nachbarn in Ordnung bringe. "Ruanda ist zwar noch zum größten Teil auf Finanzhilfe angewiesen, aber Kagame nutzt die Schwächen des Westens meisterhaft aus", sagt Phil Clark. Die Regierungen reicher Länder gerieten in Erklärungsnot gegenüber ihren Bürgern, warum sie armen Ländern überhaupt helfen sollten: "Die internationalen Geldgeber sitzen in einer echten Klemme. Regierungen, die ihre Hilfe als sanftes Druckmittel nutzen wollen, weisen auf Ruanda als Vorzeigebeispiel für den positiven Wandel hin, der durch westliche Hilfe gelingen kann." Ruanda als den Bösewicht in der Geschichte darzustellen, würde dieser Strategie zuwiderlaufen.

Gedenken in Ruanda

03:08

This browser does not support the video element.

Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen