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Rufer in der digitalen Wüste

Rolf Wenkel
16. November 2016

Vor dem 10. Nationalen IT-Gipfel in Saarbrücken warnen Unternehmer und Wissenschaftler, die Branche werde im globalen Vergleich abgehängt. Sie fordern eine europäische Initiative nach dem Vorbild von Airbus.

Deutschland, Symbolbild Industrie 4.0
Bild: picture-alliance/dpa/D. Maurer

An diesem Mittwoch (16.11.2016) wird Saarbrücken zur Bühne für den 10. Nationalen IT-Gipfel. Die Bundesregierung und ihre für die Digitalisierung zuständigen Minister Alexander Dobrindt und Sigmar Gabriel werden wohl erst mal Fortschritte in eigener Sache feiern. "Wir haben eine Menge geschafft", glaubt etwa Wirtschaftsminister Gabriel, "wir sind auf einem exzellenten Weg", ergänzt Verkehrsminister Dobrindt in Bezug auf den Netzausbau in Deutschland.

Tatsächlich berichtet eine Studie von TNS Infratest und dem Mannheimer Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW): "Die Digitalisierung der gewerblichen Wirtschaft nimmt Fahrt auf." Vereinfacht kann man sagen, dass dieser Studie zufolge ein gutes Viertel der deutschen Wirtschaft "gut", knapp die Hälfte "durchschnittlich" und das letzte Viertel "niedrig" digitalisiert ist. Im Schnitt sind fast die Hälfte aller unternehmensinternen Prozesse und Arbeitsabläufe digitalisiert - 2015 war das nur ein gutes Drittel.

Die deutsche Informations- und Telekommunikationsbranche ist im Jahr 2015 mit 223 Milliarden Euro Umsatz der fünftgrößte Markt nach den USA, China, Japan und Großbritannien. Mit einem Anteil von knapp fünf Prozent an der gewerblichen Wertschöpfung rangiert sie vor dem Maschinenbau und hinter Verkehr und Logistik. Rund 111 Milliarden Euro erlöst die deutsche Internetwirtschaft, womit sie, gemessen am pro-Kopf-Umsatz, auch hier im globalen Vergleich den fünften Rang behauptet.

Milliarden für den Netzausbau

Auch in Sachen Netzausbau wähnt sich die Bundesregierung auf gutem Weg, Eine "gigabitfähige konvergente Infrastruktur" soll bis Ende 2025 stehen, sagte Verkehrsminister Alexander Dobrindt vergangene Woche nach einem Treffen der so genannten Netzallianz in Berlin. Dazu investieren die Netzbetreiber je acht Milliarden Euro in diesem und im nächsten Jahr, und der Bund steuert vier Milliarden bei.

In Wirtschaft und Wissenschaft wachsen allerdings die Zweifel, ob das alles ausreicht. Eine Gruppe von sieben Professoren und Firmenlenkern will den Gipfel für einen Weckruf nutzen. In einem  achtseitigen Papier, das sie "Saarbrücker Manifest" nennen, zählen die Autoren Versäumnisse im internationalen Wettbewerb auf und äußern ihre Sorge, dass Deutschland die Chancen der Digitalisierung ungenutzt lässt.

Helfen soll Industriepolitik im großen Stil: "Für einen echten Niveausprung zu einer Weltgeltung benötigt man ein europäisches Programm, ähnlich den Airbus- oder Cern-Projekten", heißt es in dem Papier.

CERN (Europäische Organisation für Kernforschung) ist eine Großforschungseinrichtung in der Schweiz. Hier wird physikalische Grundlagenforschung betrieben. Mit Hilfe großer Teilchenbeschleuniger wird der Aufbau der Materie erforscht. Bild: Getty Images/FABRICE COFFRINI

Verfasst haben das Manifest der ehemalige Präsident des Branchenverbandes Bitkom und Gründer der IDS-Scheer-Gruppe, August-Wilhelm Scheer, und Wolfgang Wahlster, Direktor des Deutschen Forschungszentrums für Künstliche Intelligenz.

Gefahr für traditionelle Geschäftsmodelle

Dass mit Ex-SAP-Chef Henning Kagermann einer der prominentesten Köpfe der Branche und Regierungsberater zu den Unterstützern des Appells gehört, dürfte Aufmerksamkeit erregen. Selten zuvor haben führende Köpfe ihrer eigenen Branche so eindringlich die Versäumnisse und Herausforderungen vorgehalten - man zehre immer noch von alten Erfolgen, heißt es.

Immerhin räumen die Autoren ein, dass man ein Silicon Valley mit seiner Kombination aus Unternehmergeist, Spitzenforschung, Wagniskapital, Business Angels und erfolgreichen Großunternehmen nicht einfach kopieren kann. Auch die Gründungswelle im Software-Cluster im Südwesten Deutschlands oder in der Start-up-Szene in Berlin oder München sei "erfreulich". Sie hätte aber bislang "noch kein einziges Weltunternehmen hervorgebracht. So zehren wir noch immer von den mittlerweile rund 50 Jahre alten Unternehmenserfolgen von SAP und Software AG", schreiben die Autoren und Unterzeichner.

Digitalisierungruck gefordert

Eines der großen Themen der Autoindustrie: autonomes FahrenBild: picture-alliance/dpa/D. Naupold

Die laufende Digitalisierungswelle in der Industrie gilt für viele derzeit international führende Unternehmen aus Deutschland als Erfolgskriterium. Vor allem Autohersteller, Medizintechnik-, Maschinenbau- oder Infrastrukturkonzerne erkennen immer mehr, dass Daten und Kommunikation zunehmend Teil des Geschäftsmodells werden. Beispiel autonomes Fahren: In der deutschen Wirtschaft wächst die Sorge, dass Konzerne wie Google oder Apple hiesigen Anbietern wie Volkswagen oder Daimler mit Innovationen das Geschäft streitig machen.

Hinzu kommen Gefahren, die deutschen Unternehmen durch völlig neue Geschäftsmodelle drohen - Fachleute sprechen von der so genannten Plattformökonomie. "Digitale internationale Plattformunternehmen dringen in bisher von Fertigungstechnologie beherrschte Märkte ein und bedrohen die klassischen Marktführer", heißt es dazu im IT-Manifest. "Neue mögliche Businessmodelle, die das bisherige Geschäft kannibalisieren können, müssen durch Ausgründungen gefördert werden. Besser, man kannibalisiert sich selbst, als dass es andere tun."

Brachland E-Government

Es ist zehn Jahre her, dass die Bundesregierung die Digitalisierung mit dem ersten IT-Gipfel 2006 in Deutschland ganz oben auf die politische Tagesordnung gesetzt hat. Doch eine Dekade später halten Branchenvertreter das Erreichte für zu wenig. Sie sehen dabei nicht nur die Regierung in der Pflicht. Es müsse jetzt endlich ein "Digitalisierungsruck durch Politik, Wirtschaft und Gesellschaft" gehen, heißt es im Saarbrücker Manifest.

Deutschland dürfe nicht nur besser werden, fordert Scheer. Man müsse viel besser werden und sich an fortschrittlichen Ländern wie Südkorea orientieren. "Gigabit- Netze müssen zum Standard werden." Wie schon seit Jahren ärgern sich die Autoren darüber, dass die deutschen Behörden bei der elektronischen Verwaltung meilenweit hinterher hinken: "Im E-Government liegt Deutschland im internationalen Mittelfeld und wird sogar von kleinen Staaten im Baltikum überholt." Dabei müsse der Staat bei der Digitalisierung mit gutem Beispiel vorangehen, "Hemmnisse der verteilten Zuständigkeiten von Bund, Ländern und Gemeinden ausgeräumt und bundesweit einheitliche Systeme eingeführt werden", heißt es in dem Manifest.

 

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