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Politik

Ruhe für eine Million Jahre

23. März 2017

Für die Entsorgung von Atommüll hat der Bundestag neue Regeln verabschiedet. Es geht darum, wie und wo der strahlende Abfall auf Dauer gelagert werden soll. Der Streit darüber dauert schon Jahrzehnte. Ein Rückblick.

Bildgalerie Atomkraft in Deutschland Lagerung radioaktiver Abfälle in ehemaligen Salzbergwerk
Bild: picture-alliance/ dpa

Am Anfang gilt das Verfahren der "fünf V". Die Amerikaner sind in den 1940er Jahren die ersten, die diese Entsorgungsformel praktizieren, dann machen es die Briten nach: Verdünnen, Verteilen, Vergraben, Versickern, Versenken. Es ist die Zeit der Kinderstube der Atomenergie. Berauscht von der Kraft der neuen Energie spielt die Antwort auf die Endlagerfrage keine Rolle. Der gefährliche Müll landet in Erdlöchern, wird in den Boden gepumpt oder in Fässern verpackt über dem Meer abgeworfen.

Einen besonders kühnen Entsorgungsvorschlag macht der Münchner Physiker Bernhard Philberth schon in den 1950er Jahren. Er plant den Müll als Bomben über dem Südpol abzuwerfen. Durch die natürliche Wärme der strahlenden Geschosse, so seine Logik, werde sich der Müll ganz von allein in das Eis eingraben und das Problem für die nächsten Jahrtausende erledigen. Das Vorhaben, das sich der Deutsche patentieren lässt, wird 1960 politisch beerdigt.  

Verharmlosen, tricksen, hoffen

Jahrzehnte später ist die Entsorgungspolitik längst ein eigenständiges Thema bundesrepublikanischer Geschichte. Als 1960 im unterfränkischen Kahl Deutschlands erstes kommerzielles Kernkraftwerk in Betrieb geht, ist die Absichtserklärung von Politik und Genehmigungsbehörden vor dem Bau des Meilers erst die Entsorgungsfrage zu klären schon beerdigt. Während zur gleichen Zeit in den USA noch abenteuerliche Ideen verfolgt werden, den Atommüll ins All zu schießen, entdecken deutsche Wissenschaftler ausgediente Salzstock-Bergwerke als "ideale" Lagerstätte.

"Bürgerkrieg" in Gorleben: Das Dorf in Niedersachsen wird zum Symbol der Anti-AKW-BewegungBild: picture-alliance/dpa

Die DDR macht den Anfang. In Morsleben in Sachsen-Anhalt werden bis 1998 knapp 37.000 Kubikmeter schwach- bis mittelradioaktive Abfälle eingegraben. Ende 2001 stürzt ein 5.000 Tonnen schwerer Salzbrocken auf die Müllfässer, seitdem ist Morsleben ein milliardenschwerer Sanierungsfall.

Im Westen übernimmt die Bundesregierung 1965 den Salzstock Asse II bei Wolfenbüttel. Genau 125.787 Atomfässer werden hier bis 1978 versenkt. Eingelagert wird in "freier Sturztechnik". Runter kippen, Salz drüber, fertig. "Einpökeln" nennen das die Arbeiter. Der Müll sei nur schwach strahlend, heißt offiziell. Doch später kommt heraus: 70 Prozent stammt aus Reaktoren. Dann dringt Wasser ein, 12.000 Liter täglich. Der Stollen ist einsturzgefährdet. 2008 fliegt die organisierte Vertuschung auf. Energiewirtschaft, Politik und Wissenschaft haben die Öffentlichkeit über Jahre belogen. Asse II ist nicht sicher. Geschätzte Sanierungskosten: vier Milliarden Euro.

Gorleben, das berühmteste Dorf Deutschlands

Parallel zum Fall Asse sucht die Bundesregierung seit den 1970er Jahren einen Atomstandort noch größerer Dimension. Ein Endlager, ein Zwischenlager und eine Wiederaufbereitungsanlage sollen zusammen ein Nuklearpark werden. Fündig wird man im niedersächsischen Gorleben, auch hier soll ein Salzstock letzte Ruhestätte für den Atommüll werden.

Als die Kanzlerin noch Umweltministerin war: Angela Merkel 1995 in der Atomanlage GorlebenBild: picture-alliance/dpa

Die Suche wird über Jahre als geheime Kommandosache vorangetrieben. Die Öffentlichkeit soll davon nichts mitbekommen. 1977 entscheidet der niedersächsische Ministerpräsident Ernst Albrecht, Vater der heutigen Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen, grünes Licht für Gorleben zu geben. Mit Widerstand in der Region wird nicht gerechnet. Ein Trugschluss. Gorleben wird zum Synonym für den Atomwiderstand - bis heute. Für die Bündnisgrünen ist Gorleben über Jahrzehnte programmatisches Kerngeschäft. Immer im November, wenn die Castor-Behälter aus dem französischen La Hague im Schritttempo ins Zwischenlager rollen, wird Gorleben zum berühmtesten Dorf der Republik. An Bahnschienen gekettete Demonstranten und Hundertschaften Polizisten bringen den "Bürgerkrieg" in jedes Wohnzimmer.  

Geologie schlägt Geografie

Nach Jahrzehnten interessengelenkter politischer Kontroversen über den richtigen Weg hin zu einem Endlager soll nun Vernunft einkehren. Endlager-Standorte sollen von Atombefürwortern politisch nicht mehr abgelehnt werden dürfen, wenn das Gift im eigenen Wahlkreis deponiert werden soll. Gesucht wird jetzt, so die Bundesregierung, ein Standort nach wissenschaftlich-geologischen Kriterien. Die Geografie soll kein Maßstab mehr sein.

Ein Castor-Behälter auf dem Weg in das Zwischenlager Gorleben: Umstritten seit JahrenBild: picture alliance / dpa

2022 ist Schluss mit der Atomenergie in Deutschland, bis 2031 wollen Politik und Wissenschaft einen geeigneten Endlagerplatz ausfindig machen. Für eine Million Jahre!  Es gilt das Prinzip "weiße Landkarte". Kein Ort wird ausgeschlossen.

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