Heftige Diskussion über Kunstfreiheit und BDS
19. August 2018Die Gefahr, Fehler zu machen, war groß bei dieser Debatte. Schon im Vorfeld war der kurzfristig ins Programm der Ruhrtriennale aufgenommenen Podiumsdiskussion um die "Freiheit der Künste" eine falsche Terminsetzung und ebenso falsche Herangehensweise vorgeworfen worden. Ging es doch implizit um Antisemitismus, so der Vorwurf der Israel-Unterstützer - wie konnte die Diskussion da an einem Sonnabend angesetzt werden? Und wieso durften BDS-Unterstützer überhaupt am Gespräch teilnehmen?
Die pro-israelische Fraktion war trotz des jüdischen Sabbats gut vertreten. Etwa 250 von ihnen sorgten schon vor Diskussionsbeginn in der Bochumer Turbinenhalle an der Jahrhunderthalle für Stimmung. Das kleine pro-palästinensische Grüppchen, das in einiger Entfernung seine Fahnen hochhielt, konnte sich dagegen kein Gehör verschaffen. Der Rahmen war somit schon vor dem Eingang abgesteckt: Der ewige Nahostkonflikt mit seinen unversöhnlichen Positionen warf seinen Schatten auf die Ruhrtriennale.
Lammert: "Wir werden den Nahen Osten nicht befrieden"
Ein Fehler war es ganz sicher nicht, den ehemaligen Bundestagspräsidenten Norbert Lammert als Moderator gewonnen zu haben. Ruhig, deeskalierend und diplomatisch geschickt sorgte er dafür, dass die Veranstaltung in der Bochumer Turbinenhalle nicht in Tumult scheiterte wie eine ähnliche Diskussion im Rahmen des Berliner Pop-Kultur-Festivals am Tag zuvor. Das gelang ihm unter anderem, indem er die Grenzen dessen, was Gegenstand einer solchen Debatte sein könnte, klar absteckte. Man werde den Nahost-Konflikt auch an diesem Samstag in Bochum nicht lösen. Diskursive Frustration sei vorprogrammiert. Er sollte recht behalten.
Noch nie habe eine Ruhrtriennale schon im Vorfeld so viel Aufmerksamkeit erfahren wie diese, berichtete Lammert, selbst die New York Times habe schon über das "Gezeter an der Ruhr, das wahrscheinlich weniger mit Musik als mit der deutschen Geschichte zu tun habe" berichtet. Anlass der Diskussion war im Kern die Einladung der schottischen Band "Young Fathers". Geplant war der Auftritt des Erfolgstrios auf seiner internationalen Tour für eben diesen 18. August. Das Problem: Die Band ist eine von vielen angelsächsischen Gruppen, die die BDS-Bewegung gegen Israel unterstützen. Diese fordert "Boycott, Divestment and Sanctions", Boykott, Investitionsabzug und Sanktionen nicht nur in wirtschaftlichen und staatlichen israelischen Zusammenhängen, sondern auch gegen Künstler, Sportler oder Wissenschaftler aus Israel.
Die Kernfrage: War es falsch, "Young Fathers" einzuladen?
Wie es weiterging, ist bekannt: Eine solche Band im Programm der vom Land Nordrhein-Westfalen (NRW), von Ruhrstädten und Förderern finanzierten Ruhrtriennale auftreten zu lassen, sei ein Unding, befand die in NRW regierende Politik. Armin Laschet, CDU-Ministerpräsident, hatte seinen Besuch der Eröffnungsveranstaltung abgesagt. Stefanie Carp als programmverantwortliche Intendantin sagte den Auftritt der Band ab, nur um sie kurz darauf wieder einzuladen. "Young Fathers" aber strich Bochum aus dem Tour-Programm. Intendantin Carp geriet unter heftigen Beschuss. Haltungslosigkeit, selbst Antisemitismus wurden ihr vorgeworfen.
Statt Musik nun also Diskussion. Stefanie Carp blieb sich treu, indem sie den Hergang ihres Einladungsdebakels gleich zu Beginn der Veranstaltung noch einmal selbst rekonstruierte: "Als ich die schottische Band "Young Fathers" eingeladen habe, muss ich ehrlich zugeben, habe ich das Wort BDS noch nie gehört gehabt." Teile des Publikums quittierten ihre ungeschickte Wahrhaftigkeit mit brüllendem Gelächter, das in Wut und "Bullshit"-Rufe umschlägt, als sie sagt, falsch sei lediglich gewesen, die Gruppe überhaupt auszuladen.
Carp: Wo beginnt Antisemitismus?
Carp hält dagegen. "Kann man sagen, dass eine Band, die ein Netzwerk unterstützt, das Kritik an der israelischen Regierung gegenüber den Palästinensern übt - auch praktisch ausübt - dass diese Band selber antisemitisch ist? Und ist der Folgeschluss zulässig, dass ich, weil ich diese Band einlade, auch antisemitisch bin?" Niemand stelle die Staatsräson, das Existenzrecht Israels damit infrage. Ihr ginge es darum, die Offenheit der Kunst zu verteidigen. "Man muss versuchen, die Diskussion, auch die Widersprüche und die Schmerzhaftigkeit darin, auszuhalten."
Die lautstarke Fraktion im Publikum sieht das anders. Michael Vesper, der die Ruhrtriennale einst mitbegründet hatte und heute Vorsitzender des Vereins ihrer Freunde und Förderer ist, hatte Carp schon in einem öffentlichen Brief Haltungslosigkeit vorgeworfen. Jetzt zeigte er sich empört angesichts dieser in seinen Augen unprofessionellen Ahnungslosigkeit, was BDS bedeute. "Wenn man ein Programm zusammenstellt, dann sollte man sich frühzeitig umfassend informieren, und zwar nicht nur künstlerisch, sondern in seiner Gesamtheit über das Programm", wirft er Carp vor. "Wir dürfen dem BDS nicht auf den Leim gehen!"
Pfeiffer-Poensgen: "Kunstfreiheit uneingeschränkt ja, Boykott nein!"
Die parteilose NRW-Kulturministerin Isabel Pfeiffer-Poensgen hält es in dieser aufgeheizten Debatte für notwendig zu betonen, dass die Freiheit der Kunst nicht infrage stehe. "Niemand nimmt Einfluss auf das Programm, auf die Intendanz. Und selbstverständlich können wir uns kritisch mit der Politik Israels auseinandersetzen." Trotzdem sei historisch bedingt die deutsche Perspektive eine andere als die anderer Nationen. Es sei nicht richtig, eine Boykottbewegung ohne feste Strukturen, in der es auch radikale Positionen gebe, auch nur indirekt zu unterstützen. "BDS light gibt es eben nicht!"
Hildegard de Vuyst ist für ihren verhinderten Kollegen, den der Ruhrtriennale durch mehrere Programmelemente verbundenen Alain Platel, eingesprungen. Die Choreografin aus Belgien sieht als Sympathisantin die BDS-Bewegung differenzierter. "We support BDS as a non-violent movement", ihre Compagnie unterstütze die Boykottbewegung in ihren gewaltfreien Teilen. In der Turbinenhalle wurde es laut und aggressiv, als sie versuchte, ihre Position zu erläutern.
Elliott Sharp: "Die Lösung liegt darin zuzuhören"
Der New Yorker Komponist und Performer Elliott Sharp ist dagegen besonders leise. "Ich spreche als Mensch und Künstler, als Jude und Sohn eines Holocaust-Überlebenden." Er bricht eine Lanze für Stefanie Carp. Künstler müssten Vermittler und Übersetzer sein. Israel sollte dafür Sorge tragen, Zusammenarbeit mit Palästinensern zu ermöglichen. Deshalb unterstütze er die BDS-Bewegung: "So viele Künstler und Musiker sind Juden. Und viele von uns glauben, dass Israel selbst einer der Hauptgründe für den wachsenden Antisemitismus ist, vor allem wegen seiner Politik gegenüber den Palästinensern. Wenn man Fotos vom Warschauer Ghetto betrachtet und daneben welche aus dem Gaza-Streifen, dann sehen die sich doch sehr ähnlich". Elliott Sharps bedächtige Worte gehen im Empörungsgeschrei der Israelfreunde unter. Trotzdem gelingt es ihm noch, seine Botschaft anzubringen: "Listening is the solution."
Das Ende der leisen Töne
Von leisen Tönen will der jüdische Filmemacher Udi Aloni, der sich aus dem Publikum heraus zu Wort meldet, nichts wissen. "Don't tell me how to be a Jew!", schleudert er den Israel-Unterstützern entgegen. Der Staat Israel habe wenige Wochen zuvor ein Gesetz verabschiedet, das Araber zu Menschen zweiter Klasse erkläre. "Fünf Millionen Palästinenser haben null Menschenrechte." Das pro-israelische Publikum brüllt nur noch.
Es war eine hochemotionale, aufrüttelnde Diskussion, die das Spannungsverhältnis zwischen Politik und der Freiheit der Kunst verhandelte. Trotz all der Wut und Empörung, die auf beiden Seiten zu spüren war, stand am Ende als Fazit: Kunst ermöglicht einen Freiraum, in dem Brücken gebaut werden sollten - und nicht Zäune errichtet. Dazu hat diese Veranstaltung trotz aller vorhersehbaren Gegensätze, ja sogar Feindseligkeiten durchaus beigetragen.