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Ruinöse Konkurrenz der Industrienationen

27. Juni 2004

Unternehmen spielen im Zuge der Globalisierung Regierungen gegeneinander aus, meint der Politologe Thomas Greven. Dies führe zu einer schädlichen Konkurrenz der Institutionen, die die USA mit zu verantworten haben.

Im Irak stationierte amerikanische Soldaten, die nach ihren Präferenzen für die Präsidentschaftswahl 2004 befragt werden, sehnen sich nach einem "großen" Präsidenten wie den jüngst verstorbenen Ronald Reagan. Hatten 2000 noch die Briefwahlstimmen von Soldaten den Ausschlag für George W. Bushs Vorsprung in Florida gegeben, der dann qua Urteil des Obersten Gerichtshofs bestehen bleiben durfte, so sind viele von ihrem Präsidenten nun enttäuscht. Die Medien sind voll von immer neuen Vorwürfen an die Regierung, und die New York Times schüttet Spott über Vize-Präsident Dick Cheney, der immer noch stereotyp auf eine Verbindung von Saddam Hussein und Al Qaida rekurriert. Doch genauso wenig können sich viele Soldaten mit dem Demokratischen Herausforderer John Kerry anfreunden, der zwar ein Vietnamkriegsveteran ist, später aber auch Kritiker dieses Krieges war und heute elitär und wenig entschlossen wirkt. Es scheint, als wolle Kerry vor allem auf Fehler von Bush hoffen, was geschickt sein könnte, wenn ihm dieser weiter den Gefallen tut.

Hoffnungen deutscher Sozialdemokraten

Auch die allen Wahlschlappen und internen Kämpfen zum Trotz amtierende sozialdemokratisch geführte deutsche Bundesregierung hofft wohl, dass Bush die Wahl verliert. Ein Engagement zugunsten Kerrys ist aber nicht geplant, vielmehr lässt Kanzler Schröder Bush beim G-8-Gipfel gut aussehen, um die deutsch-amerikanischen Beziehungen nach den Irritationen des Irak-Kriegs wieder zu "normalisieren". Eine wie auch immer geartete Intervention wäre auch äußerst unüblich in der internationalen Politik, jedenfalls in den Beziehungen zwischen befreundeten Industrienationen (Eingriffe in die innenpolitischen Belange subalterner Staaten füllen dagegen die Geschichtsbücher). Ich meine aber, dass im Zuge der ökonomischen Globalisierung auch Parteien ihre Perspektive transnationalisieren müssen, und damit letztlich auch Regierungen.

Viele haben begrüßt, dass Außenminister Fischer bekräftigte, dass er keine grüne, sondern deutsche Außenpolitik zu machen gedenke. Aber Unternehmen und zunehmend auch zivilgesellschaftliche Akteure wie Gewerkschaften erweitern ihren Aktionsradius um die transnationale Dimension. Unter Bedingungen immer offenerer Grenzen bestärken insbesondere die Unternehmen damit die zwischen den Nationen bestehende Institutionen-Konkurrenz: Alle gesellschaftlichen und politischen Institutionen sollen, ja müssen, im Sinne der Konkurrenzfähigkeit der im Lande ansässigen oder anzulockenden Unternehmen, und damit – so hofft man – im Sinne der Konkurrenzfähigkeit und des Wohlstands des Landes "modernisiert" werden. Und das heißt im Regelfall, dass die Institutionen am unternehmensfreundlichsten Modell ausgerichtet werden, wenn auch immer gefiltert durch das bereits bestehende Institutionengeflecht. Versuche, die von den offenen Grenzen profitierenden Unternehmen und Vermögensbesitzer regulativ "einzuholen" werden stereotyp als Protektionismus gebrandmarkt.

Reagans Verantwortung

Die Brisanz dieser globalisierten Institutionen-Konkurrenz hat der in den deutschen Nachrufen weit gehend auf seine Außenpolitik ("Mr. Gorbachev, tear down this wall") reduzierte Reagan mit zu verantworten. ...... Und zwar eben nicht nur durch seine Prägung der US-Außenwirtschaftspolitik, die prinzipiellen Freihandel und vor allem Strukturanpassungsprogramme für Entwicklungsländer mit selektivem, wahltaktisch motiviertem Protektionismus verband, sondern vor allem mit seiner Wirtschafts- und Sozialpolitik und der darin steckenden Botschaft.

Maggie Thatcher in Großbritannien prägte das Credo der neoliberalen Offensive gegen die keynesianischen Wohlfahrtsstaaten der Nachkriegszeit: "Es gibt keine Alternative". Reagan erklärte, dass der Wohlfahrtsstaat, die (Bundes-)Regierung, die gesellschaftlichen Probleme nicht nur nicht lösen könne, sondern vielmehr für sie verantwortlich sei. Zwar konnte er selbst gegen die Überreste der New-Deal-Demokraten nicht viel durchsetzen, aber seine Erben – Newt Gingrich und George W. Bush, aber in mancherlei Weise auch Bill Clinton – haben die Deregulierung, Privatisierung und ökonomische Liberalisierung der USA in einer Weise vorangetrieben, dass die Institutionen der USA zum Modell, oder jedenfalls zum Referenzpunkt für Modernisierer auch in Deutschland werden konnten. Diejenigen, denen die "staatliche Gängelung" der wirtschaftlichen Tätigkeit immer schon ein Dorn im Auge war, konnten mit Verweis auf die hohen Wachstums- und niedrigen Arbeitslosenraten sowie auf die verschärfte Unternehmenskonkurrenz in der Globalisierung nun auch geeignete Reformen in Deutschland vorschlagen. Die Unternehmenssteuern werden massiv gesenkt, was die Gefahr eines Steuersenkungswettlaufs mit sich bringt. Die Verteidiger von den Markt regulierenden Institutionen sind in der Defensive. Eine Re-Regulierung auf überstaatlicher Ebene gelingt selbst in der Europäischen Union nicht.

Und Kerry?

Könnte ein Präsident Kerry die Konkurrenz der Institutionen entschärfen? Vermutlich würde er selbst nicht viel bewegen können – selbst wenn er denn mal sagte, was er eigentlich unternehmen will. Denn erstens ist durch die Republikanische Klientel bedienende Steuersenkungs-, Rüstungs- und Subventionspolitik der Staat gezielt ausgehungert worden. Zweitens würde er vermutlich einem Republikanischen Kongress gegenüberstehen, der sich ja wieder auf den traditionellen fiskalischen Konservativismus besinnen könnte. Dennoch: Allein die Aussicht, dass bestimmte Politiken nicht weiter betrieben, andere zumindest gebremst würden, könnte eine Perspektive gegen den Trend der ruinösen Institutionen-Konkurrenz ergeben. Und das müsste doch im Interesse einer Sozialdemokratie sein, der aufgrund ihrer "Reformen" die Wählerinnen und Wähler abhanden kommen.

Dr. Thomas Greven ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am John-F.-Kennedy-Institut für Nordamerikastudien der Freien Universität Berlin. Er arbeitet zurzeit an einem Buch über die Republikanische Partei in den USA.

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