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Politik

Rumänien auf Orbans Spuren?

10. August 2021

In Rumänien wollen rechtsgerichtete Parteien ein Gesetz gegen "Homo-Propaganda" nach ungarischem Vorbild einführen. Kritiker sehen darin den Versuch, das Land auf einen antieuropäischen Kurs zu bringen.

Rumänien Bukarest  Pride 2018
Gay-Pride in Bukarest 2018Bild: DW/Cristian Ștefănescu

Was die Buchstaben LGBTQ bedeuten, dürfte vielen Menschen in Rumänien noch vor Kurzem unbekannt gewesen sein. Kein Wunder: Fragen der Geschlechtsidentität spielten in den öffentlichen Debatten des EU-Landes in den vergangenen Jahren keine herausragende Rolle. Zwar gab es im Herbst 2018 ein Referendum gegen die Homoehe, mitgetragen auch von der Rumänisch-Orthodoxen Kirche (BOR). Doch obwohl sie in der Bevölkerung großen Einfluss hat, scheiterte das Referendum an weitgehendem Desinteresse: Trotz massiver Mobilisierungsversuche beteiligten sich nur 21 Prozent der Wahlberechtigten.

Nun aber versuchen mehrere rechtsgerichtete rumänische Parteien, das Thema LGBTQ nach ganz oben auf die öffentliche Agenda zu hieven - genauer gesagt: die vermeintliche Notwendigkeit eines Kampfes gegen die so genannte "LGBTQ-Ideologie" und "Homo-Propaganda". Das Mittel dazu: ein Import von Viktor Orbans kürzlich in Kraft getretenem Gesetz gegen LGBTQ-Propaganda, in dem Pädophilie und Homo- bzw. Transsexualität miteinander vermischt werden.

Gay-Pride in Bukarest 2018Bild: DW/Cristian Ștefănescu

Auch Rumänien müsse seine Minderjährigen vor LGBTQ-Propaganda gesetzlich schützen, so die gleichlautende Begründung derjenigen rumänischen Parteien, die die Initiative tragen. Deshalb werde man einen Gesetzesvorschlag ins Parlament einbringen, der dem ungarischen Vorbild weitgehend ähnele.

Die Initiative hat gleich in mehrfacher Hinsicht große Sprengkraft und geht weit über die rumänische Innenpolitik hinaus. "Das Übel ist angerichtet", schreibt der Publizist Dan Tapalaga vom Portal G4Media, "das subversive Anti-EU-Narrativ ist auch bei uns im Mainstream angekommen." Der Rechtsanwalt und liberale ungarische Minderheitenpolitiker Peter Eckstein-Kovacs sagt der DW: "Es geht um einen Versuch, Rumänien, das bislang eindeutig proeuropäisch ist, in eine antieuropäische, kremlfreundliche Allianz einzubinden."

Unterstützung für Orbans Referendum

Die Initiative für ein Anti-LGBTQ-Gesetz nach ungarischem Vorbild kam Ende Juli zunächst von zwei außerparlamentarischen rechtsnationalistischen Parteien der ungarischen Minderheit in Rumänien, der Siebenbürgisch-Ungarischen Volkspartei (PPMT) und der Ungarischen Bürgerpartei (MPP). Die PPMT ist im Bukarester Parlament mit dem Abgeordneten Zoltan Zakarias vertreten, er wurde allerdings über die Liste der größten ungarisch-rumänischen Minderheitenpartei, des Demokratischen Verbandes der Ungarn in Rumänien (UDMR), dorthin gewählt.

Protest gegen Anti-LGBTQ-Gesetz in Budapest, Ungarn am 8.07.2021Bild: Attila Kisbenedek/AFP

Der UDMR selbst hat zu der Initiative der beiden kleinen Schwesterparteien keine Stellung bezogen - das werde man im Herbst tun, wenn der Gesetzentwurf in der neuen Sitzungsperiode des Parlamentes vorliege, so eine Parteisprecherin. Allerdings unterstützt der UDMR explizit das von Viktor Orban in Ungarn geplante Referendum über das Anti-LGBTQ-Gesetz, das für kommenden Januar geplant ist. Der UDMR ruft alle Siebenbürger Ungarn mit doppelter Staatsbürgerschaft zur Teilnahme am Referendum im Nachbarland auf - das ist möglich, weil Minderheitenungarn mit ungarischer Staatsbürgerschaft ein Wahlrecht in Ungarn besitzen.

Der "Orban Rumäniens"

Wenige Tage nach der ersten Initiative kündigte auch die im Parlament mit zehn Prozent vertretene rechtsextreme Partei Allianz für die Vereinigung der Rumänen (AUR) an, dass sie ebenfalls ein Anti-LGBTQ-Gesetz nach ungarischem Vorbild ins Parlament einbringen werde. Das Paradox: Die AUR ist explizit antiungarisch ausgerichtet und macht regelmäßig Front gegen die ungarische Minderheit in Rumänien.

George Simion bei einer Demonstration seiner rechtsextremen Partei Allianz für die Vereinigung der Rumänen (AUR)Bild: Daniel Mihailescu/AFP/Getty Images

Der AUR-Ko-Vorsitzende George Simion ist jedoch ein erklärter Bewunderer von Viktor Orban und nannte sich selbst vor Kurzem in einem Interview mit einem ungarischen Portal den "Orban Rumäniens". Seine Partei strebt an, Mitglied einer neuen europäischen Allianz von rechtspopulistischen und rechtsextremen Parteien zu werden, an deren Gründung Ungarns Premier derzeit gemeinsam mit italienischen und polnischen Verbündeten arbeitet.

Explosives Thema für Rumäniens Regierung

Noch liegt keiner der Gesetzentwürfe vor - doch die Explosivität des Themas ist bereits jetzt unübersehbar, vor allem wegen der Haltung des Ungarnverbandes. Der UDMR ist Teil der liberalen, proeuropäischen Drei-Parteien-Regierungskoalition in Rumänien, die seit Ende vergangenen Jahres amtiert. Er hat sich jedoch in den vergangenen Jahren immer mehr zu einem Sprachrohr von Orbans Politik und einem Anhängsel seiner Partei Fidesz entwickelt.

Ein Angehöriger der etwa 1,2 Millionen Menschen zählenden ungarischen Minderheit in Rumänien bei einer Folklore-VeranstaltungBild: Stephan Ozsváth

Indem der UDMR nun das ungarische Referendum und möglicherweise auch ein rumänisches Anti-LGBTQ-Gesetz unterstützt, zieht er die Regierung und seine Koalitionspartner mit in die Konflikte hinein, die Viktor Orban seit Jahren mit der Europäischen Union provoziert. Es könnte ein bewusstes Manöver sein: So etwa lehnt der UDMR bestimmte Justiz- und Anti-Korruptionsreformen ab, konnte sich aber damit nicht durchsetzen.

Siebenbürgische Wahlstimmen für Orban

Der Bukarester Politologe Cristian Pirvulescu sagt der DW, die "informelle Allianz zwischen UDMR und AUR" schaffe der liberalen Regierung in einem liberal orientierten Rumänien erhebliche Probleme. "Das spielt auch Viktor Orban in die Hände", so Pirvulescu. Zugleich sieht er in Siebenbürgen die ersten Zeichen des ungarischen Wahlkampfes für die Parlamentswahl in Ungarn im kommenden Frühjahr. "Für Orban ist es sehr wichtig, die Stimmen der siebenbürgischen Ungarn zu bekommen", sagt der Politologe. "Die sind zwar konservativ, aber nicht antieuropäisch, deshalb versucht er nun, sie mit einem Thema wie LGBTQ zu mobilisieren, das die Gesellschaft spaltet und mit dem man leicht Stimmen gewinnen kann."

Gay-Pride in Bukarest 2018Bild: DW/Cristian Ștefănescu

Der Rechtsanwalt Peter Eckstein-Kovacs, der selbst lange UDMR-Mitglied war und dort den mittlerweile nicht mehr existenten liberalen Flügel repräsentierte, sieht die heutige Politik des Ungarnverbandes mit großer Sorge und zieht eine historische Parallele. "Die Deutschen Siebenbürgens hatten einst eine sehr starke regionale Identität", sagt Eckstein. "Aber ihr Wahlspruch 'Siebenbürgen, süße Heimat', wechselte in den 1930er Jahren in 'Deutschland, Deutschland über alles'. Ich sehe die siebenbürgischen Ungarn nun ebenfalls an diesem Punkt angekommen. Aus dem Gefühl der siebenbürgischen Heimat wird das eines gemeinsamen ungarischen Blutes und Ungarns als der Heimat. Ich halte das für sehr gefährlich."

Ethnisches und kulturelles Groß-Ungarn

Der Politologe Cristian Pirvulescu bestätigt diese Diagnose. Früher habe der UDMR für die Integration der Siebenbürger Ungarn in ein multikulturelles und multiethnisches Siebenbürgen gestanden, jetzt vertrete er die Idee eines ethnischen und kulturellen Groß-Ungarns, sagt er.

Unterdessen zeigt sich in Rumänien bereits, in welche Schieflage die Regierung wegen geschlechtsidentitärer Debatten gerät. Im neuen Personalausweis, den das Innenministerium kürzlich vorstellte, war unter der Rubrik Geschlecht statt dem bisherigen SEX die Bezeichnung GEN aufgeführt. Nationalisten, Kirchenvertreter, aber auch einige Koalitionspolitiker schäumten vor Empörung und sahen darin einen Vormarsch vermeintlicher Gender-Ideologen. Prompt zog das Innenministerium die Änderung zurück.