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Rumänien: Glaube an die Kraft des Theaters

12. Oktober 2018

Die junge Regisseurin Mihaela Panainte bringt Herta Müllers "Niederungen" im rumänischen Iasi auf die Bühne. Mit ihrer eindrucksvollen Arbeit gibt sie dem Theaternachwuchs ihres Landes neue Impulse.

Theaterstück "Tinuturi Joase" | Nationaltheater Iasi in Rumänien
Bild: Odin Moise

"Ich war von diesem Text fasziniert. Themen wie Erinnerung, Identität, Vergänglichkeit, Diskontinuität, Zweideutigkeit, Zeit und Traum beschäftigen mich fast obsessiv in allen meinen Arbeiten", sagt Mihaela Panainte, die zuletzt mit einer Kafka-Inszenierung für Aufsehen sorgte. Jetzt hat sie Herta Müllers Erstlingswerk "Niederungen" für die Bühne adaptiert.

Darin beschreibt die Literaturnobelpreisträgerin das Umfeld ihrer Kindheit: ein schwäbisches Dorf in Westrumänien, geprägt vom Kommunismus, von den Folgen der Deportation vieler Rumänien-Deutscher nach dem Zweiten Weltkrieg, von alten, obsolet gewordenen deutschen Traditionen. 

Die rumänische Regisseurin Mihaela Panainte Bild: Mihail Onaca

Das Dorf: eine Anti-Idylle

Ungeschminkt und rein, aus der Perspektive des Kindes, in kraftvollen poetischen Bildern erzählt, entsteht vor dem inneren Auge des Lesers eine groteske und bizarre Welt: ein Bruch mit der oft malerisch verträumten Darstellung des Dorfes in der Literatur. Eine Anti-Idylle. Ernüchternd und ebenfalls grotesk ist auf andere Weise die Situation in vielen rumänischen Dörfern heute, vor allem in einer von Massenauswanderung und Armut geprägten Region wie der Moldau.

Eine offizielle Studie besagt, dass von 2007 bis 2017 etwa 3,4 Millionen Rumänen ihr Land verlassen haben sollen. Die Dunkelziffer liegt vermutlich viel höher. Das Bild vieler Dörfer ist trostlos. Es wachsen Kinder ohne ihre Eltern auf, weil diese den Weg aus Armut und Perspektivlosigkeit im Ausland suchen. Markenklamotten, die die Eltern den zurückgelassenen Kindern schicken, ersetzen nicht ihre Wärme und Liebe. Aus dieser Sicht bekommen Müllers Prosastücke eine neue Dimension.

Frischer Wind auf der Bühne

Mihaela Panainte, 36, ist einer Einladung des Nationaltheaters Iasi, des Goethe-Instituts und des Deutschen Kulturzentrums Iasi gefolgt und hat diesen Text für die dortige Bühne „La Cub" („Im Würfel") vorgeschlagen. Iasi (deutsch auch "Jassy"), einst Hauptstadt der Provinz Moldau, im Nordosten Rumäniens, besitzt eine bedeutende Universität und eine blühende Kulturlandschaft. Das schwarze, würfelförmige Nebengebäude des prunkvollen Nationaltheaters „Vasile Alecsandri" ist wie geschaffen für junge Künstler, für experimentierfreudige Regisseure und ein für neue Ausdrucksformen offenes Publikum.

Dr. Alexander Rubel, Leiter des Deutschen Kulturzentrums Iasi, schwärmt von Panaintes Arbeit: "Es ist eine visuell äußerst eindrucksvolle Inszenierung, und da bietet der moderne Theatersaal die passende Räumlichkeit dazu." Das Deutsche Kulturzentrum, vom Goethe-Institut finanziert, unterstützt derartige Projekte, die eine Brückenfunktion haben, um den Dialog der Kulturen zu fördern. Er sei froh darüber, dass die jetzige Unterstützung einer jungen Regisseurin zu Gute komme. Denn Frauen seien in dieser Branche in Rumänien "stark unterrepräsentiert". Mihaela Panainte bestätigt das: "In Rumänien leben wir immer noch in einer von Männern stark dominierten Welt. Frauen werden nicht besonders ermutigt, sich diesen Beruf auszusuchen."

Andrei Grigore Sava ist Mitglied des Nationaltheaters Iasi Bild: Odin Moise

Die Regisseurin hat die letzten drei Jahre in Deutschland gelebt. Dort hat sie die Arbeit an deutschen Theatern beobachtet und Mentalitätsunterschiede zwischen den Ländern festgestellt: "In Deutschland ist man offener für das Neue als in Rumänien. Hier erzeugt das Neue oft Angst, wird eher als Verrücktheit abgestempelt und kaum unterstützt. Wir scheinen ein sehr offenes Volk zu sein, sind aber konservativer, als es uns vielleicht recht ist. Während in Deutschland Experimentelles Theater auf vielen staatlichen Bühnen geschieht, gehen in Rumänien die etablierten Institutionen kaum ein solches Risiko ein."

Einfache Mittel kunstvoll in Szene gesetzt

Für "Niederungen" hat Panainte einen expressiven Raum erschaffen, in dem sie einfache Mittel wie Wasser, den sprechenden Chor nach Vorbild der griechischen Tragödie oder die Körpersprache kunstvoll in Szene setzt. "Für mich ist der Raum entscheidend. Ich habe mit dem Bildhauer Dan Istrate zusammen gearbeitet. So entstand dieser sich spiegelnde Raum", so Panainte. Die Spiegelung sei eine optische Wahrnehmung, die uns im Alltag selten bewusst werde. "Die Kindheit ist das Alter, in dem sich unser eigenes Bild von uns zu formen beginnt. Die Erinnerung an die Kindheit ist nichts anderes als der Versuch, sich im eigenen Spiegelbild zu erkennen und zu verstehen. Der Chor symbolisiert sicherlich das ganze Dorf, ist aber gleichzeitig auch eine Multiplizierung der Ich-Erzählerin, des Kindes Herta Müller."

Horia Verives und Malina Lazar in der Niederungen-InszenierungBild: Odin Moise

Die Regisseurin hat es geschafft, die teilweise sehr jungen Schauspieler, mit denen sie "Niederungen" auf die Bühne bringt, von ihrem ungewöhnlichen Projekt zu überzeugen. "Es ist eine ganz neue Erfahrung für uns.", erzählt Andrei Grigore Sava, Schauspieler am Nationaltheater Iasi, von der Bühnenarbeit: "Die Herangehensweise. Die Umsetzung der verdichteten Poesie, dieser surrealen Bilder, die Herta Müller in ihren 'Niederungen' erzeugt."

Planänderung?

Malina Lazar studiert im sechsten Semester Schauspielkunst. Sie ist so begeistert von der Arbeit mit Mihaela Panainte, dass sie sogar ihren Lebensplan überdenken möchte: "Ende des Jahres werde ich mein Studium beenden. Ursprünglich wollte ich ein Masterstudium in Frankreich aufnehmen. Jetzt bin ich mir aber nicht mehr so sicher. Vielleicht ändere ich meine Pläne…", meint die Schauspielerin lächelnd. 

Die Leidenschaft, die Mihaela Panainte mit sich bringt, ist ansteckend. Und gleichzeitig ist die Offenheit und Begeisterungsfähigkeit der jungen Darsteller auch für sie bereichernd: "Es ist fantastisch, mit jungen Schauspielern zu arbeiten. Mit sehr lebendigen Menschen, die noch an die Kraft des Theaters glauben - vielleicht nicht unbedingt in dem Sinne, dass das Theater die Welt ändern kann, aber dass es zu denken und zu fühlen anregt."

Acht junge Schauspieler geben dem Stück den letzten Schliff. Am Samstag hebt sich der Vorhang zur Premiere im Club-Saal des Nationaltheaters Iasi.

Medana Weident Autorin, Reporterin, Redakteurin, vor allem für DW Rumänisch
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