Rumänien: Ex-Präsident Ion Iliescu gestorben
6. August 2025
22. Dezember 1989, 14:35 Uhr: Im legendären Studio 4 des rumänischen Staatsfernsehens TVR, dort, wo der Umsturz der Ceausescu-Diktatur live übertragen wird, tritt ein weitgehend unbekannter Mann vor die Kamera und spricht die Zuschauer mit "Verehrte Genossen" an. Es ist Ion Iliescu, damals 59 Jahre alt.
Kurz zuvor war der Diktator Nicolae Ceausescu im Hubschrauber aus der Hauptstadt Bukarest geflohen, vertrieben von einer wütenden, zu allem entschlossenen Volksmenge. Damit hatte der Aufstand gegen die national-stalinistische Diktatur gesiegt. Im TVR-Studio 4 war das "Ende des Tyrannen" verkündet worden.
Als Iliescu auftritt, wissen die meisten Rumänen nur vage, wer er ist. In kommunistischen Parteikreisen kannte man ihn jedoch als Funktionär, den Ceausescu einst aufs Abstellgleis geschoben hatte. In einer emotionalen Ansprache klagt Iliescu die "verwirrte Ceausescu-Clique" an, Rumänien "ins Chaos und in Unordnung gestürzt" zu haben. Und er ruft die Bevölkerung zu "sozialer Disziplin" auf.
Stunden später ein zweiter Auftritt: In diesmal hölzernem Ton verkündet Iliescu, dass eine "Front der Nationalen Rettung" die Macht übernommen und Maßnahmen zur Demokratisierung Rumäniens beschlossen habe. Um ihn herum stehen hochrangige Funktionäre der gerade gestürzten Diktatur und klatschen.
Iliescu tritt als neuer rumänischer Machthaber auf - und als Führer eines Aufstandes, an dem er sich gar nicht beteiligt hatte. Die Frage nach der Legitimation stellt in jenem Augenblick niemand. Iliescu selbst sagt später in einer seiner berühmten Äußerungen, mit denen er sich selbst zum Mythos stilisiert, er sei eine "Emanation" gewesen, die Revolution habe ihn als Führer "hervorgebracht".
Ion Iliescu, nach dem Sturz Ceausescus Rumäniens provisorischer und später dreimal gewählter Staatsführer, hat das postkommunistische Rumänien geprägt wie kein anderer Politiker seines Landes. Während des einzig blutigen Umsturzes im Jahr 1989 in Osteuropa ergriff er die Macht mit dem Sendungsbewusstsein, dass nur er Rumänien retten könne.
Unter ihm wurde Rumänien zum einzigen ehemaligen Ostblock-Staat, in dem die Kommunisten auch nach dem Sturz der Diktatur sieben Jahre lang weiter herrschten, wenn auch unter anderem Namen. Er schuf eine "originelle Demokratie" (Iliescu) und eine trügerische Stabilität und Ruhe, deren Preis die rumänische Gesellschaft bis heute zahlt.
Und obwohl sein sehnlichster Traum jener der "nationalen Einheit" war, stand er am Anfang einer Spaltung, die Rumänien in gewisser Hinsicht bis heute entzweit, zu sehen an den jüngsten Wahlerfolgen der Rechtsextremen im Land.
Aufgewachsen in Armut
Geboren 1930 im Donau-Hafenstädtchen Oltenita südöstlich von Bukarest, wuchs Iliescu in ärmlichen und zerrütteten Verhältnissen auf. Seine biologische Mutter verließ ihn ein Jahr nach der Geburt, sein Vater war kommunistischer Aktivist in der Illegalität, lebte jahrelang in der Sowjetunion und starb 1945. Großgezogen wurde Ion Iliescu von seiner Stiefmutter.
Nach dem Krieg machte er schnell Karriere in der Kommunistischen Partei Rumäniens, anfangs als Studentenfunktionär, später als Verantwortlicher für Propaganda im Zentralkomitee sowie als Jugendminister. Er war ein Zögling Ceausescus und galt zeitweise als dessen Kronprinz.
Als der Diktator 1971 eine neostalinistische Wende einleitete, degradierte er Iliescu wegen "Intellektualismus" zum Kreisparteileiter. Iliescu selbst behauptete nach 1990 in einer weiteren Selbstmythologisierung, er sei ein "Symbol der Opposition gegen Ceausescu" gewesen und habe seit Anfang der 1970er Jahre sozialdemokratische Ideale vertreten. Tatsächlich war er ein stiller, verspäteter Reformsozialist. Die letzten Jahre der Diktatur verbrachte er marginalisiert auf dem Posten des Direktors eines technischen Verlages in Bukarest.
Volksaufstand oder Putsch?
Ob und wie Iliescu gegen Ceausescu konspirierte, bleibt ungeklärt. Fest steht, dass er von der Person des Diktators besessen war. Er hatte die geheime Hinrichtung des Ceausescu-Ehepaares am 25. Dezember 1989 mit angeordnet. In Gesprächen wurde er oft hochemotional, wenn es um Ceausescu ging. Einmal sprach er einen Kontrahenten in einer Wahlkampfdebatte mit dem Namen des Diktators an.
Die Frage, ob der Sturz Ceausescus und die anschließende Machtergreifung Iliescus ein Volksaufstand oder ein Putsch waren, ist inzwischen beantwortet: Es war eine Mischung aus beidem. Dennoch bewegt das Thema die rumänische Gesellschaft bis heute. Denn noch nachdem Ceausescu am 22. Dezember bereits entmachtet worden war, starben 857 Menschen. Sie - wie auch 2382 Verletzte - waren Opfer in chaotischen Straßenkämpfen angeblich Ceausescu-treuer "Terroristen". Wie sich später herausstellte, hatten Iliescu und sein Kreis der neuen Machthaber die Kämpfe inszenieren lassen, um in den Wirren ihre provisorische Macht zu stabilisieren. Die Toten nahmen sie in Kauf.
"Präsident der Ruhe"
Bald darauf, im Mai 1990, wurde Iliescu unter dem Slogan eines "Präsidenten der Ruhe" mit großer Mehrheit auch formal zum Staatschef gewählt. Seine Ruhe war falsch und endete böse: Mehrfach ließ Iliescu tausende Bergarbeiter aus dem westrumänischen Schiltal nach Bukarest bringen, die Oppositionspolitiker und Regimegegner niederknüppelten. Die schlimmste dieser sogenannten "Mineriaden" fand im Juni 1990 statt, als ein studentisches Protestcamp auf dem Bukarester Universitätsplatz "eliminiert" wurde und Bergarbeiter den Studentenführer Marian Munteanu fast totprügelten. Iliescu dankte ihnen hinterher für ihr "hohes Bürgerbewusstsein".
Die "Front der Nationalen Rettung", die nach dem Sturz Ceausescus die Regierungsgeschäfte übernommen hatte, formte Iliescu als Staatschef erfolgreich um zu einem Sammelbecken für ehemalige KP-Funktionäre, Geheimdienst-Mitarbeiter, Ceausescu-Hofschranzen und frühere Betriebsdirektoren - unter dem Etikett einer sozialdemokratischen Partei. Dass die rumänische Gesellschaft sich trotzdem langsam demokratisierte, konnte Iliescu jedoch nicht verhindern. Ende 1996 wurden er und seine Partei von der Macht abgewählt - es war der erste echte freie und demokratisch legitimierte Machtwechsel in der Geschichte Rumäniens. Immerhin fügte sich Iliescu ins Unvermeidliche und rief nach seiner Abwahl nicht zu Gewalt auf.
Später Retter Rumäniens
Später rettete er Rumänien wirklich: im Jahr 2000, als der faschistische Großrumänien-Ideologe Corneliu Vadim Tudor, ehemals Mitarbeiter des berüchtigten Geheimdienstes Securitate und Hofdichter Ceausescus, in die Stichwahl um das Präsidentenamt einzog. Iliescu war sein Kontrahent - und der Favorit: Viele seiner Kritiker stimmten notgedrungen für ihn, weil sie das Land nicht in einen Bürgerkrieg und in eine neue Diktatur abgleiten sehen wollten. So erfüllte sich für kurze Zeit und halbherzig Ion Iliescus große Sehnsucht nach der "nationalen Versöhnung", bei der alle allen schweigend die Hand reichen. Iliescu wäre gern als Symbol dieser Versöhnung in die Geschichte eingegangen
Es sollte nicht sein. Die 857 Menschen, die nach der Flucht Ceausescus umkamen, wie auch die Opfer der von Iliescu angezettelten Mineriaden lagen bis zum Schluss als Schatten über allem, wofür er eine Würdigung hätte erfahren können. Über drei Jahrzehnte ermittelten Kommissionen und Staatsanwälte deswegen gegen ihn - eine Odyssee für Hinterbliebene und Betroffene. Letztlich musste Iliescu nie vor Gericht erscheinen. Zugleich verstummten aber die Fragen der Öffentlichkeit an ihn nie. Echte Reue zeigte er nicht. Ion Iliescu verstarb am 5.08.2025 in einem Bukarester Krankenhaus.